Ein Präsident und Freund Österreichs

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Dem gewohnten Ritual, das Spitzenpersonal der Politik erst post mortem als würdig und weise zu rühmen, war Richard von Weizsäcker schon früh entkommen. Seine Familiengeschichte, sein elegantes Weltbürgertum und seine Gabe des rechten Wortes hatten ihn durch hohe Ämter begleitet: als Parlamentarier, Präsident des Evangelischen Kirchentags, Bürgermeister des geteilten Berlin - und deutscher Bundespräsident von 1984-1994. Von Helmut Kohl entdeckt, war er über Jahrzehnte dessen komplementäre Gestalt: Hier der machtbewusste, bodennahe Kanzler - dort der geschichtsbewusste, intellektuelle Staatsmann. Kein Anderer hat die Reifungsgeschichte der Bundesrepublik deutlicher personifiziert als Weizsäcker: Sohn eines NS-Staatssekretärs, dann Autor der großen Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes ("Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung!") und schließlich "Zeremonienmeister" der Wiedervereinigung. Wer ihn näher kannte, der erlebte eine facettenreiche Persönlichkeit: ausgestattet mit allen Talenten des Wohlwollens - und doch distanziert, ja scheu. Seit Jugendtagen voll von Glaube und Geist - aber nie ohne Freude an feiner Ironie. Den Amtskollegen schenkte er die Gunst, miteinander per Vornamen zu verkehren - aber mit höflichem "Sie". Mit Österreich verband Richard von Weizsäcker eine Beziehung besonderer Art: Hier lernte er als Bub das Schwimmen. Hier ging er wandern und zum sommerlichen Kunstgenuss, als das hohe Amt seine Privatheit gefährdete. Hierher begleitete er Václav Havel, als dieser 1990 bei den Salzburger Festspielen "Geleitschutz" vor Kurt Waldheim suchte - bis sich alle drei ungewollt, aber lachend, in derselben Telefonzelle wiederfanden. Hier fand er in Thomas Klestil einen begabten "Nachbarn" ("Gut gebrüllt, junger Löwe" rief er ihm anerkennend bei einer Begegnung am Bodensee zu). Miteinander starteten beide jene "Zentraleuropäischen Präsidententreffen", die nach der Ost-Öffnung neue Bilder der Gemeinsamkeit schaffen sollten - und heute bereits 18 Staatsoberhäupter vereinen. Höhepunkt dieser Nähe war ein Abend im Dezember 1993 in Berlin: Bei Regen und Nebel durchschritten die zwei Präsidenten in einer nahezu unwirklichen Szene das wieder geöffnete Brandenburger Tor. An dieser einstigen Trennlinie der europäischen Teilung erinnerte Weizsäcker dankbar an die entscheidende Rolle Österreichs bei der Massenflucht von Ostdeutschen in den Westen. Deutschland hat am vergangenen Samstag eine historische Gestalt verloren - und Österreich einen Freund.

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