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Nach dem (Nicht-)Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts im "Kopftuch-Streit": Auch hierzulande gilt es, die Balance zwischen Religionsfreiheit und "agnostischem" Rechtsstaat zu klären.

M anche gesellschaftlichen Diskussionen werden in Deutschland mit viel mehr Verbissenheit geführt als hierzulande. Die Debatte ums Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuch in der Schule ist ein Beispiel hiefür: Der jahrelange Kampf der muslimischen Lehrerin Fereshda Ludin fürs Kopftuchtragen beim Unterrichten wurde von den deutschen Verfassungshütern mit einem klaren "Jein" beschieden: Es könne wohl sein, dass das Tragen eines Kopftuchs die weltanschauliche Neutralität, der die Schule verpflichtet ist, beeinträchtige. Andererseits gebe es Gründe - auch das steht im Urteil -, dass dadurch die zunehmende religiöse Vielfalt in der Schule als Mittel für die Einübung gegenseitiger Toleranz zu nutzen sei. Fazit: Das Verfassungsgericht verbietet oder erlaubt nichts, sondern weist die deutschen Länderparlamente darauf hin, dass sie ja per Gesetz ein Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen erlassen könnten - oder eben nicht.

"Karlsruhe drückt sich" (FAZ) oder "Feige Richter" (Die Zeit): So klang die öffentliche Schelte am deutschen Urteil. In der Sache richtig und dennoch zu kurz greifend klingt solche Beurteilung. Denn die Verfassungsrichter bestätigten mit diesem Urteil bloß, dass die heikle Balance zwischen Religionsfreiheit und säkularem (aus seinem Grundverständnis her besser: "agnostischem", weil keiner Religion verpflichteten) Rechtsstaat nicht geklärt ist, und dass dafür noch Diskussions- wie Zeitbedarf besteht.

Man muss auch hierzulande dankbar sein, dass die deutsche Entscheidung halbherzig und nicht als Festschreibung gefällt wurde. Denn die Auseinandersetzung ist nicht am Ende und weist konträre Facetten auf.

Zum einen geht es um die Religionsfreiheit, um ein Menschenrecht - und somit gerade für westliche Demokratien um einen Grundpfeiler. Keine Frage, dass Priester im Talar oder Ordensfrauen im Habit selbstverständlich zum öffentlichen Bild in diesen Ländern gehören (auch wenn es in extrem laizistischen Staatsformen Versuche gab, solche "Religionsdemonstration" hintanzuhalten). Analog dieser Argumentation muss es auch für Muslime in Europa ohne Wenn und Aber möglich sein, sich ihren religiösen Bedürfnissen entsprechend zu kleiden.

Das enthebt die Muslime, aber auch die ganze Gesellschaft keineswegs davon, die Vereinbarkeit von Religion und liberalem Rechtsstaat, von Glauben und uneingeschränkter Gültigkeit der Menschenrechte zu gewährleisten. Natürlich - viele Muslime gestehen das auch ein - gibt es die Gefahr, dass hermetische Subgesellschaften unter den Muslimen Europas entstehen (oder entstanden sind) - mit mehr als restriktiven sozialen Codes. Auch die Stellung der Frau bleibt eines der heißen Eisen dabei - ob das manchen Strenggläubigen passt oder nicht. (Im Übrigen ist das Ableiten eines Kopftuch-, resp. Schleier-"Gebots" aus dem Koran kein lückenloser Konsens der islamischen Gelehrten, wenn auch zur Zeit der theologische Mainstream.)

Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist zu führen - aber sie darf sich von keiner Seite her zum Kulturkampf ausweiten. Schon gar nicht von (vorgeblichen) Demokratieverfechtern: Ein hässliches Beispiel liefert dazu der jüngste Spiegel, der in der deutschen Kopftuch-Debatte auf die gleiche Weise agiert, wie er immer wieder seine antikatholischen Mütchen kühlt: Kopftuchtragen bedeutet in der Spiegel-Logik Islamismus, Rückständigkeit, und überhaupt seien die islamischen Gemeinschaften Deutschlands dabei, das Land zu untergraben - jedenfalls würden sie Terroristen zuhauf hervorbringen.

Warum solch verbissener

Kopftuch-Streit hierzulande unbekannt ist? Der Österreicher Verhältnis zu diesen Fragen mag generell ein wenig blauäugig sein, doch ein - grosso modo - entspannterer Umgang mit den Muslimen gehört seit jeher zu den österreichischen Besonderheiten: Die Rechtsstellung der Muslime rührt in Österreich aus der Monarchie her - und ist EU-weit einzigartig. Auch das mag zu diesem Verhältnis beitragen.

Apropos Monarchie: In Sarajevo, der Hauptstadt des europäischen Islam, in dessen Altstadt Österreich auf Schritt und Tritt gegenwärtig ist, trifft man weit weniger Frauen mit Kopftuch als in manchen Vierteln Wiens, von Berlin oder Paris gar nicht zu reden. Sarajevo taugt als Beispiel für eine historische Inkulturation des Islam in Europa - viel mehr als die derzeitigen (Bekleidungs)-Debatten.

otto.friedrich@furche.at

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