Ein Staat, den es nicht gibt

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Am 2. September 1990 hat sich Transnistrien unabhängig erklärt - 15 Jahre später präsentiert sich die Separatisten-Republik immer noch als Freiluft-Museum für Sowjet-Kommunismus.

Moldova ist nicht klein, es hat schließlich zwei Etagen", sagt der Fremdenführer im Weinkeller von Cricova. Dieser größte Weinkeller der Welt liegt ein wenig nördlich von Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau - die Bezeichnung "Moldawien" wird aus historischen Gründen abgelehnt. 60 Kilometer lang sind die Straßen in dieser Weinstadt unter der Stadt; die Straßenschilder zeigen den Inhalt Hunderter Holz- und Alufässer und Tausender Weinflaschen: "Cabernet", "Merlot", "Dionis"... - insgesamt über 30 Millionen Liter. Berühmt ist Cricova aber für seine Schaumweine. Um den Sekt von den Gärrückständen im Flaschenhals zu befreien, wird dieser schockgefroren, Stoppel und Fermente fliegen raus, reiner Sekt bleibt zurück.

"Eingefrorener Konflikt"

Was beim moldauischen Wein funktioniert, lässt in der moldauischen Politik noch auf den Erfolg warten. Die Republik Moldau wäre auch ohne unterirdisches Stockwerk größer als jetzt - wenn das moldauische Staatsgebiet östlich des Flusses Dnjestr nicht auf seine Unabhängigkeit pochen würde. So wie der Schaumwein in Cricova, ist auch dieser Konflikt "eingefroren", sagt William Hill, osze-Botschafter in Chisinau zur Furche. Anders als beim Sekt bleiben aber in der Politik die schlechten Gärstoffe im Verhältnis zwischen den Republiken Moldau und Dnjestr (Transnistrien) bestimmend. Der Konflikt sei sogar komplizierter geworden, meint Hill, "denn die Beziehung zwischen Chisinau und Moskau ist heute sehr schlecht" - und Russland spielt eine Schlüsselrolle.

In der Perestroika Michail Gorbatschows hat der Streit zwischen der West- und Ostseite des Dnjestr seinen Ausgang genommen: 1989 führt die moldawische Sowjet-Republik ihren rumänischen Dialekt als Amtssprache ein, kehrt vom kyrillischen zum lateinischen Alphabet zurück und sympathisiert mit einem Anschluss an Rumänien. "Dieses dämliche Sprachgesetz hat zum Krieg geführt", sagt Oxana Alistratova aus Tiraspol, der Hauptstadt von Transnistrien. Heute bemüht sie sich mit zweisprachigen Zeitschriften und Kindertheater um Aussöhnung zwischen den Sprachgruppen.

Damals, nach dem 15. September 1990 und der Unabhängigkeitserklärung des mehrheitlich russischsprachigen Transnistrien, kommt es zum Bürgerkrieg. Rund 2.000 Menschenleben fordert die Auseinandersetzung, Zigtausende Flüchtlinge verlieren ihr Zuhause. Dank der Bruderhilfe der in Tiraspol stationierten 14. Russischen Armee unter dem legendären General Lebed kann die transnistrische Seite die Kämpfe im Sommer 1992 für sich entscheiden. Ein halbes Jahr zuvor schon wurde der Ingenieur Igor Smirnow aus Chabarowsk im äußersten Sibirien zum Präsidenten der Dnjestr-Republik gewählt - und er regiert heute noch.

Russische Blauhelme

Genauso wie nach wie vor ein Rest von 1.500 russischen Soldaten östlich des Dnjestr geblieben ist. In die komplizierten Formalitäten beim Grenzübertritt von Moldau nach Transnistrien mischen sich die russischen Posten nicht ein; um ihre Stahlhelme gewickelte blaue Klebebänder sollen sie als Friedenstruppen ausweisen, die russischen Panzer neben der Straße senden aber andere Signale aus. Die russischen Soldaten in Transnistrien haben "keine militärische Bedeutung mehr", sagt Botschafter Hill, dafür aber eine "politisch-symbolische". Karikaturen in moldauischen Zeitungen, erzählt der Diplomat, zeigen gerne russische Panzer, denen Wurzeln gewachsen sind - aber "solange diese Wurzeln weiter wachsen, ist keine Lösung des Konflikts in Sicht".

Panzer, die Wurzeln schlagen

Auch für den ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko, der mit einem Friedensplan im April Bewegung in die festgefahrenen Fronten gebracht hat, ist der Abzug der russischen Truppen von entscheidender Bedeutung. Die Ukraine fühlt sich nach dem Machtwechsel Ende letztes Jahres zunehmend unwohl neben dem als Schmuggler- und Mafia-Hochburg verrufenen und international nicht anerkannten Transnistrien.

Für den moldauischen Parlamentspräsidenten Marian Lupu ist der Kurswechsel in Kiew ein Hoffnungszeichen: "Jetzt gibt es erstmals in der Ukraine einen Willen zur Lösung des Konflikts", zeigt er sich im Gespräch mit der Furche erfreut. Vor allem die ukrainische Forderung nach einer demokratischen Abstimmung der Transnistrier über ihre Zukunft, findet bei Lupu volle Zustimmung: "Wir bestehen darauf, die Stimme der Menschen am anderen Dnjestr-Ufer zu hören und nicht die Propaganda von Smirnow und seinem Sicherheitsapparat."

Jetzt ist es mit der demokratischen Reife in der Republik Moldau auch noch nicht weit her - erst bei den Präsidentenwahlen im März brachte der Europarat seine Besorgnis über den "fehlenden Wahlkampf" im mittlerweile eu-orientierten Moldau zum Ausdruck. Im Vergleich zu Transnistrien ist Moldau jedoch ein Hort der Freiheit - "in den letzten vier Jahren hat es in Moldau einen bemerkenswerten politischen Wandel gegeben", konstatiert Botschafter Hill, "doch in Transnistrien regiert nach wie vor der kgb."

Lenin, roter Stern und KGB

Die Hauptstadt Tiraspol präsentiert sich als Freilichtmuseum des Kommunismus: vor dem Gebäude des Obersten Sowjet ein Lenindenkmal, ein Staatswappen mit Hammer, Sichel, Ähren und rotem Stern, kommunistische Feiertage, Straßennamen und Parolen. Präsident Smirnow stützt sich auf die Macht seines Geheimdienstes und die Allgegenwart seines "Sheriff"-Konzerns. Der Smirnow-Sohn ist Chef der Zollbehörde, was den der Familie vorgeworfenen Drogen-, Waffen- und Menschenhandel sehr erleichtern soll. Smirnows Sowjetzirkus diene nur der Tarnung seiner Mafiastrukturen, heißt es mittlerweile unverhohlen.

Doch so gefestigt wie in den letzten 15 Jahren ist Smirnows Macht heute nicht mehr - "die orangene Revolution in der Ukraine hat auch bei uns ein Umdenken eingeleitet", sagt eine politisch engagierte Frau aus Tiraspol, die zum Gespräch lieber nach Chi¸sinØau gekommen ist. "Es gibt jetzt auch Opposition innerhalb des Regimes", macht sich die Frau selber Mut. An den Menschen an beiden Ufern des Dnjestr scheitere eine Wiedervereinigung nicht, ist sie überzeugt: "Das ist nur mehr ein Streit zwischen Politikern." - Und sollte es tatsächlich irgendwann zur Aussöhnung kommen - ausreichend Sekt zum Anstoßen lagert jetzt schon gut gekühlt im Weinkeller von Cricova.

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