Ein Wahlschritt in Richtung Separation

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Die separatistische N-VA gewinnt die Wahlen in Belgien. Woher kommt dieser rasante Aufstieg? Eine kleine Exkursion in den flämischen Nationalismus.

In der Stunde des Triumphs zeigte Bart de Wever Flagge: nicht die flämische, wenngleich die obligatorischen Accessoires nach dem Wahlerfolg der Neu-flämischen Allianz (N-VA) nicht fehlten. Der Parteichef, der als Symbolfigur des Wahlsiegs gilt, posierte jedoch vor einem anderen Logo: einer abgewandelten Version der EU-Fahne, von deren Sternen einer durch einen flämischen Löwen ersetzt wurde.

Der positive Bezug auf die Union ist bemerkenswert, zeichnen sich nationalistische Bewegungen auf dem Kontinent in den letzten Jahren doch just durch ihre Opposition zur EU aus. Der N-VA dagegen ist sie zumindest ein willkommenes Mittel zum Zweck, fungiert sie doch als essenzieller Bestandteil ihrer Zukunftsvision: Demnach wird Belgien zwischen weitgehend autonomen Regionen und der EU nach und nach überflüssig, bis es sich schließlich auflöst. Unspektakulär, ohne Blutvergießen, „Evolution statt Revolution“, so benachdruckte Bart de Wever am Wahlabend.

Im frankofonen Belgien gilt die N-VA dennoch als „Extremisten-Partei“. Vertreter der Parti Socialiste, klare Wahlsiegerin im südlichen Landesteil, stellten jedoch klar, dass sie selbstverständlich mit der N-VA verhandeln werden, denn diese sei weder undemokratisch noch xenophob. Eine deutliche Abgrenzung zum rechtsextremen Vlaams Belang, in dessen Nähe die international bislang kaum beachtete N-VA aus der Ferne oft erschien. Doch anders als die Rechtsextremen, deren Wurzeln eindeutig im rassistischen bis neonazistischen Milieu liegen, wurde die N-VA von den anderen Parteien nie ausgeschlossen. Auch der Vlaams Belang war eine zeitlang die stärkste Partei Flanderns, wurde aber durch einen cordon sanitaire auf allen Ebenen außerhalb der Regierung gehalten.

Programmatisch steht die N-VA für Zuwanderungsverschärfung und ein „strenges aber gerechtes Asylwesen“.

Hegemonie Flanderns

Hinsichtlich der übrigen Migranten ist sie auf Assimilation bedacht, um die kulturelle Hegemonie Flanderns zu bewahren. Sozio-ökonomisch setzt sie vor dem Hintergrund der horrenden Staatsverschuldung Belgiens begrenzt auf soziale Einschnitte und fordert einen „gerechten“ Zusammenhang zwischen Beitrag und Profit aus staatlicher Sicherung. Daneben bedingt der kommunitaristische Grundgedanke aber auch den Anspruch, Zeit zur Kindererziehung und Altenpflege zu haben.

Das Kerngeschäft der N-VA bleibt indes Flandern. Sie schließt damit sprachlich wie inhaltlich bei der VolksUnie (VU) an, aus deren Überresten sie 2001 entstand. Vorausgegangen war ein Richtungsstreit zwischen konservativem und linksliberalem Flügel. Nach der Spaltung ging aus Ersterem die N-VA hervor, während die Linksliberalen heute in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind. Diese Entwicklung spiegelt durchaus den Inhalt des flämischen Nationalismus wider, dessen Mainstream im konservativ-bürgerlichen Milieu liegt. Der militant-rechte Flügel zog daraus 1978 die Konsequenzen und spaltete sich ab. Daraus entstand später der Vlaams Belang.

Im Mainstream dagegen fungiert die N-VA ebenso wie zuvor die VolksUnie als Sammelbecken. Entsprechend breit ist das Spektrum, aus dem sie schöpfen kann. Die fließenden Übergänge zwischen den unterschiedlichen Strömungen kommen der N-VA zugute: Ihr Aufstieg in den letzten Jahren speist sich aus den Verlusten von Christdemokraten auf ihrer linken und Vlaams Belang auf der rechten Seite. Bürgerliche Vlaams-Belang-Wähler sehen dessen radikale Positionen inzwischen als kontraproduktiv an. Der Aufstieg des Vlaams Belang basierte nicht auf dem rassistischen Weltbild des Elektorats, sondern war möglich, weil die Partei am explizitesten für flämischen Nationalismus eintrat. Den Christdemokraten ihrerseits verhalf es zu einem deutlichen Wahlsieg, als sie 2007 die flämische Karte spielten. Dass sie die versprochene Stärkung der Regionen nicht umsetzen konnten, treibt ihre Wähler nun reihenweise dem charismatischen Bart de Wever in die Arme.

Ausschlaggebend ist bei dieser Entwicklung die frühere Allianz beider Parteien: Bis 2008 bildeten Christdemokraten und N-VA ein Wahlkartell. Erstere punkteten damit im nationalistischen Spektrum, die N-VA musste sich als frisch gegründete Partei keine Sorgen über die Fünf-Prozent-Hürde machen. 2008 kündigte die N-VA aus Enttäuschung über die vermeintliche Nachgiebigkeit der Christdemokraten dieses Bündnis auf. Im Nachhinein stellte sich dieser Bruch als Wachablösung heraus: Schon bei den Wahlen zum flämischen Parlament 2009 legte die N-VA deutlich zu. Am Wochenende zeigte sich, dass sie endgültig zur Vorhut des bürgerlichen Nationalismus geworden ist.

Nach der Wahl schlug Bart de Wever zunächst vorsichtige Töne an. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die N-VA in einer Sache unbeirrt ist: Belgien ist für sie das Gegenteil funktionierender Strukturen. Deshalb will sie „es wagen zu verändern“. Belgien, so viel ist deutlich, wird dabei auf der Strecke bleiben.

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