"Eine Diktatur pflanzt keine Blumen im Menschen"

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Der Richter: Rizgar Mohammed Amin ist vom Amt des Saddam-Richters zurückgetreten, als die Politik Einfluss auf das Verfahren nehmen wollte. Jetzt ist er Höchstrichter und will den Irakern den Glauben an das Recht zurückgeben.

Kein Leibwächter, sondern ein Diener öffnet die Tür zu Richter Rizgar Mohammed Amins Haus in der nordirakischen Stadt Sulaymaniah. Auch im Einfamilienhaus fehlen Wachen, leben der Richter und seine Familie ungeschützt. Er sei es gewohnt, sich von Drohungen nicht einschüchtern zu lassen, begründet Amin den fehlenden Personenschutz - etwas für Iraker in seiner Position völlig Unübliches. Gerüchte, wonach Amins schwerer Autounfall nach seinem Rücktritt vom Saddam-Prozess die Folge eines Mordanschlag gewesen sein soll, dementiert der 51-Jährige. Dafür macht er allein einen schlechten Fahrer und die noch schlechteren irakischen Straßenverhältnisse verantwortlich.

Rizgar Amin hat im Jänner 2006 den Vorsitz im Prozess gegen den gestürzten irakischen Präsidenten Saddam Hussein zurückgelegt. Amin will sich damals dem Druck aus Politik und Öffentlichkeit nicht beugen und beharrt auf einem fairen Prozess gegen den Diktator: "Es gibt nur zwei Möglichkeiten nach dem Sturz eines Regimes", sagt er: "Die erste ist, Gewalt gegen die ehemaligen Machthaber anzuwenden, sie zu töten, ins Gefängnis zu werfen oder einen Schauprozess zu führen. Der zweite Weg ist ein faires Gerichtsverfahren - und dieser Weg ist der richtige."

Zu fair gegenüber Saddam?

Rizgar Amin ist irakischer Kurde, nach seinem Jus-Studium lehnt er den Beitritt in Saddams Baath-Partei ab. Zur Strafe verwehrt ihm der Staat das Richteramt solange, bis Rizgar in der autonomen Kurdenregion Karriere machen kann. Als nach dem Sturz und der Festnahme Saddams dessen Opfer Vergeltung fordern, verweigert sich Rizgar: "Rache soll in einem gerechten Prozess keinen Platz haben, es geht darum, Verbrechen exakt aufzudecken. Politische Dinge müssen da draußen bleiben." Im von Wut regierten Irak sehen das nicht viele so, die Beschwerden über Rizgars angeblich zu milde Prozessführung häufen sich. Dass er von ausländischen Beobachtern wegen seiner Professionalität gelobt wird, macht ihn zuhause nur noch verdächtiger. Vor allem der radikale Schiiten-Führer Moqtada al-Sadr spart nicht mit harscher Kritik an dem Richter und will damit das zarte Pflänzchen Rechtsstaat treffen, bevor es größer und für ihn gefährlich wird. Aber auch die Kurden fühlten sich vom Kurden Amin verraten, demonstrieren und fordern, dass Saddam in Halabja, wo 5000 Kurden an seinem Giftgas zugrunde gegangen sind, "vor den Opfern seiner Gräueltaten verurteilt und dann auf der Stelle zu Tode gesteinigt wird".

Der Diktator wird schließlich Ende 2006 in Bagdad gehängt, in einer Ho-ruck-Aktion mit einigen Verfahrensfehlern, "nicht dem Gesetz entsprechend, unzivilisiert und rückschrittlich". Richter Amin hat in einem fairen Prozess gegen Saddam Hussein "ein Fenster für die Demokratisierung des Irak" gesehen, beim Interview in seinem Haus zeigt er sich jetzt dementsprechend ernüchtert und fürchtet eine "gefährliche Rückentwicklung", wenn am Anfang eines neuen Iraks die Fehler des alten Iraks fortgesetzt werden.

Der Diener serviert Tee, Wasser Obst; der Richter schält sich eine Kiwi ab, so konzentriert, so präzise, wie er auf die Journalistenfragen antwortet. Ein irakischer Ludwig Adamovich sitzt da vis-a-vis - integer vom Scheitel bis zur Sohle, seriös, aber mit Feuer in den Augen, Jurist und trotzdem Menschenfreund - und erklärt, wie er sich den Irak wünscht: Ein Land, das sich der Achtung der Menschenrechte verpflichtet fühlt; ein Land, in dem die Religion vom Staat getrennt ist, "weil Religion eine Sache zwischen dem Menschen und Gott ist"; ein Land, in dem die Iraker auf das Recht und die Gesetze vertrauen können und in dem keine Regierung, kein Politiker, niemand über den Gesetzen steht …

Dass Amin diese Prinzipien lebt, beweist eine Episode, die im Nordirak mit viel Ehrfurcht erzählt wird: Jalal Talabani kommt vor seiner Ernennung zum irakischen Präsidenten 2005 ins Gericht in Sulaymaniah. Während andere Richter Talabani sofort willkommen heißen, setzt Amin seine Richterarbeit unbeirrt fort. Erst nach Verhandlungsende und nachdem er sich seinen Richtertalar ausgezogen hat, begrüßt der Bürger Amin den Präsidenten - und Talabani, so die Erzählung, soll Amin vor den anderen Richtern für seine konsequente Gewaltenteilung gelobt haben.

Ein irakischer Adamovich

Es wird dunkel in Sulaymaniah, Amin schaltet das Licht ein und zieht den Vorhang auf der Seite des Fensters zu, auf der sein Sessel steht. Der Richter will nicht in der Auslage sitzen. Gerade in letzter Zeit hat sich Amin mit harten Urteilen in schweren Korruptionsverbrechen wieder viele einflussreiche Iraker zu Feinden gemacht. Und die Politik zieht mit der Justiz keineswegs immer am gleichen Strang, der Präsident pardoniert, amnestiert Verbrecher, die Amin zuvor verurteilt hat.

"Eine so lange Zeit der Diktatur pflanzt keine Blumen in den Menschen", kommentiert Amin den schwierigen Übergangsprozess. Die unabhängige nordirakische Wochenzeitung Haulati sieht die überbordende Korruption weniger individuell, sondern im politischen System der autonomen Kurdenregion begründet. Die zwei großen Parteien - Kurdistans Demokratische Partei (KDP) und Patriotische Union Kurdistans (PUK) - teilen sich das Land unter sich und ihren Günstlingen auf.

Großparteien-Korruption

Nach der langen Zeit der blutigen Auseinandersetzungen zwischen KDP und PUK ist deren Aussöhnung zwar gut für die Sicherheit und Stabilität der Region, sagt Haulati-Kommentator Abu Shamlo, "aber sie ist schlecht für die Demokratie und sie fördert die Korruption". Acht der 44 Milliarden Dollar an Öleinnahmen sind im letzten Jahr verschwunden, es fehlt an elektrischer Energie, es fehlt an sauberem Wasser. Die Meinungs- und Pressefreiheit werden ebenfalls wieder eingeschränkt, klagt Shamlo und fühlt sich in die Zeit von Saddams Baathisten zurückversetzt: "Kurdistan hätte ein Modell für Bagdad sein sollen - jetzt ist Bagdad das Modell für uns geworden!"

Im Fall von Richter Rizgar Amin stimmt das nicht: Sein Amts- und Rechtsverständnis würde gut nach Bagdad und für den ganzen Irak passen, aber noch kann er es sich nur in Sulaymaniah erlauben, dass sein Diener und kein Leibwächter seine Gäste wieder aus dem Haus begleitet.

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