Eine Frau für Integration

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Migration ist ein Thema dieser Welt, Integration ein politisches Projekt in Österreich. Migrations-Management wird gelehrt, die Wirtschaft bietet Migranten Mentoren an.

Ihr jüngster Schützling, im Fachjargon Mentee genannt, ist 48 Jahre alt, stammt aus Nigeria und ist alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern. Sie kam mit ihrem Mann, der bei der UNO gearbeitet hat, vor vielen Jahren nach Europa und landete vor zwanzig Jahren letztendlich in Wien. Frau Jane hat sich bei unzähligen Firmen in Österreich um einen Job beworben. Jetzt endlich wurde sie fündig: Sie arbeitet für den Raiffeisen-Konzern, der allmählich Migrantinnen und Migranten als gute Kunden entdeckt.

Ihr erster Schützling stammt aus Rumänien, genauer aus Siebenbürgen. Marielena ist Jahrgang 1984 und hat sich in ihrer Heimat im Schmuckhandel umgeschaut. Nach Österreich kam sie, um einerseits die Freiheit vom Elternhaus zu erproben und andererseits, um die hier gebotenen Bildungs- und Aufstiegschancen nützen zu können. Die junge, quirlige, bildungshungrige Frau hat viel Erfahrung in der Organisation schwieriger Projekte, z. B. in der Bauindustrie. Sie beherrscht mehrere Sprachen und schreibt zurzeit an ihrer Magisterarbeit zum spannenden Thema „Einsatz und Auswirkung von NLP (Neurolinguistisches Programmieren) bei internationalen Projekten“. Sie bedurfte der Unterstützung ihrer Mentorin, um sich mit den gesellschaftlichen und somit auch beruflichen Gepflogenheiten in Österreich vertraut zu machen.

Vorbild für das Programm ist Kanada

Die Mentorin beider Frauen ist Angelika Tragauer. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin der Klosterneuburger Personalentwicklungsagentur „hearing and more“. Tragauer engagiert sich seit Beginn beim Programm „Mentoring für MigrantInnen“, das in Wien 2007/08 auf die Beine gestellt wurde. Es handelt sich dabei um ein gemeinsames Projekt der österreichischen Wirtschaftskammer (WKO), dem österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) und dem Arbeitsmarktservice (AMS).

Ziel des Programms ist die erfolgreiche Eingliederung von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt. Denn viele in Österreich lebende Personen mit Migrationshintergrund haben zwar das nötige Rüstzeug für die Aufnahme einer Beschäftigung, was ihnen allerdings fehlt, sind Kontakte und informelle Kenntnisse über den Arbeitsmarkt. Durch das Mentoringprogramm soll diese Lücke gefüllt und der berufliche Einstieg in Österreich erleichtert werden. Welch große Bedeutung informelles Wissen für den Arbeitsmarkterfolg hat, zeigt, dass in Österreich 78 Prozent der Jobsuchenden persönliche Netzwerke nutzen.

Die Personalentwicklerin Tragauer ist auf das österreichische Mentorenprorgamm, das im wesentlichen auf kanadischen Erfahrungen mit der Eingliederung von Migranten in den Arbeitsmarkt beruht, durch eine Zeitungsannonce gestoßen. Die Wirtschaftskammer, als Hauptinitiatorin des Projekts, suchte auf diesem Weg heimische Unternehmerinnen und Unternehmern, die bereit waren, sich ehrenamtlich zu engagieren. Bereits der erste Durchgang des Projekts war, trotz vieler Anlaufschwierigkeiten, ein Erfolg: Rund 60 Paarungen Mentoren-Mentees konnten gebildet werden und es kam zu zahlreichen erfolgreichen Jobvermittlungen. Meist auf gutem Niveau, denn zwei Drittel der Mentees verfügen über eine akademische Ausbildung. Tragauer scheint eine idealtypische Mentorin zu sein. Sie beschäftigte sich viele Jahre mit der Schulung und Ausbildung von Personal, bis sie sich schließlich Anfang der 1990er Jahre als Personalentwicklerin selbständig machte. Die gebürtige Passauerin (Jahrgang 1952) ist in der kleinen bayerischen Stadt Deggendorf großgeworden. Nach der Matura 1972 studierte sie in München zunächst Betriebswirtschaft und Geografie, dann Psychologie und Pädagogik. In jener Zeit sei sie, wenn überhaupt, „eine brave 68erin“ gewesen.

Vor allem die Geomorphologie hat Tragauer in ihrer Studienzeit fasziniert. „Warum ist ein Berg ein Berg und sieht so aus? Warum ist ein Tal, ein Fluss so, wie sie sind? Welche Kräfte haben wie gewirkt, damit die Form so wurde, wie sie ist?“, formuliert Tragauer noch heute mit Leidenschaft ihre brennenden Fragen von damals. Jetzt legt sie diese Fragen auf betriebliche Strukturen um: Was ist nötig, damit ein Unternehmen funktioniert? Und vor allem: Was benötigen die Mitarbeiter in einem Unternehmen, damit sie ihre Arbeit gut und vor allem mit Freude leisten können? Denn nur unter dieser Voraussetzung sei Qualitätsarbeit, egal in welcher Branche und auf welchem Hierarchie-Level, möglich.

Migranten öffnen neue Horizonte

Nach Österreich kam die Bayerin der Liebe wegen. Hier gelangt sie über ihren Mann, der bei Konsum Österreich tätig war, ebenfalls in die Genossenschaft. Angelika Tragauer unterrichtete am konsumeigenen Bildungsinstitut Hohe Warte, das sie ab 1989 leitete. Das Schulungsinstitut für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Konsum hatte innerhalb der Genossenschaft einen ungemein hohen Stellenwert, bis der Sparstift das Kommando übernahm und das Institutsareal lange vor dem Konkurs des Konsum verkauft werden musste. Das Bildungsinstitut übersiedelte in das Zentrum der Stadt und wurde auf eine Abteilung reduziert, bis schließlich ohnedies die Insolvenz des Konsum 1995 auch das Ende für das Schulungsinstitut bedeutete.

Die Arbeit als Mentorin für MigrantInnen empfindet Tragauer als ungemein bereichernd. Sie bekomme nicht nur tiefe Einblicke in die jeweiligen Herkunftsländer ihrer Mentees, sondern sie lernt auch deren Gewohnheiten und gesellschaftliche Umgangsformen kennen. Oft sei dies mit überraschenden und vor allem bereichernden Erkenntnissen verbunden. Und es scheint, als empfindet die Mentorin jedes Treffen mit ihren Schützlingen fast wie einen Ausflug in ein anderes Land, von dem sie mit neuen Wissensschätzen zurückkehrt.

* Die Autorin arbeitet als Publizistin und Kommunikationsstrategin in Wien und Salzburg

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