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Eine mutige Tat

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Der 29. März war ein schwarzer Tag für Österreichs Eapilien: Trotz yqed&hglter Pro--teste der Fatrijliehverbände' hatte der Koalitions-. ausschuß, beschlossen, jährlich.. 50 Millionen Schilling - in zweckwidriger' Weise aus dem Kinderbeihilfenfonds zur Sanierung der Krankenkassen abzuzweigen Nun gibt es ja in Österreich kein Familienministerium, das gerade in solchen kritischen Situationen eingreifen könnte; es gibt aber auch sonst keinerlei behördliche Zuständigkeit für diesen entscheidenden BeTeich moderner Gesell-sebafüspolitik.— ja. heute nochjniehi-eirnnäl der vom Parlament im Dezember 1956 (!) in einer einstimmigen Entschließung geforderte familienpolitische Beirat bei der Bundesregierung. Kein Wunder, daß sich die nur auf Vereinstätigkeit basierenden Bemühungen der Familienverbände bei der Wahrnehmung der Familieninteressen in der harten Tagespolitik gegenüber den einflußreichen Kräften der politischen Parteien und der mit einem mächtigen bürokratischen Apparat ausgerüsteten beruflichen Interessenvertretung (Kammern, Gewerkschaftsbund) nicht durchzusetzen vermögen.

Diesmal aber kam es anders! Dem Beschluß des Koalitionsausschusses vom 29. März folgte eine heftige Reaktion. Drohte doch nicht nur dem Kinderbeihilfenfonds ein jährlicher Verlust von 50 Millionen Schilling auf Kosten der so dringend notwendigen Erhöhung der Kinderbeihilfen, es war damit auch das bewährte bisherige Konzept des Familienlastenausgleichs in Gefahr.

In dieser bedrohlichen Situation gaben die Familienverbände „Sturmwarnung“. In Eile wurden befreundete Organisationen und verantwortungsbewußte politische Mandatare gewonnen. Zwar bestand wenig Aussicht auf einen augenblicklichen Erfolg, denn der Koalitionsausschuß hatte ja sein Machtwort schon gesprochen. Doch Gegenmaßnahmen für eine spätere Aufhebung dieser familienfeindlichen Tat sollten unverzüglich anlaufen. Von vielen Stellen kam ein positives Echo. Die wesentliche Unterstützung aber sollte von einer Handvoll beherzter christlicher

Mandatare kommen. Insbesondere Nationalratspräsident a. D. Dr. Felix H u r d e s, der in den letzten Jahren immer mehr die Familienanliegen im öffentlichen Leben energisch vertreten hatte, setzte sich in uneigennütziger Weise ein und formierte die Initiative der an der Familienpolitik tatsächlich interessierten ÖVP-Abgeord-neten. Es kam dann zu jener Sitzung des ÖVP-Abgeordnetenklubs am 5. April, in der der Beschluß des Koalitionsausschusses, Mittel aus dem Kinderbeihilfenfonds zur Sanierung der Krankenkassen heranzuziehen, vom ÖVP-Abge-ordnetenklub nahezu einstimmig zurückgewiesen wurde.

Die Familienverbände haben immer betont, daß sie die kostenlose Mitversicherung der Familienangehörigen in den Krankenkassen, die in ihren Grundlagen auf ein Gesetz aus dem Jahre 1917 zurückgeht, als eine familienpolitisch bedeutsame Maßnahme außerhalb des allgemeinen Farrrilienlastenausgleier auschätzen-“Und i zu würdigen wissen; Senn dadurch tragen die Ledigen und Kinderlosen an der Krankenversicherung der nicht erwerbstätigen und daher keine Versicherungsbeiträge zahlenden Mütter und Kinder bei. Diese wertvolle Einrichtung ist jedoch kein Teil des allgemeinen Familienlastenausgleichs, der durch das Familienlastenaus-gleichsgesetz geregelt wird, und besteht unabhängig von diesem schon wesentlich länger.

Im Zusammenhang mit der vieldiskutierten Sanierung der Krankenkassen war in sozialistischen Kreisen schon seit geraumer Zeit der Gedanke hörbar, Überschußgelder aus dem Kinderbeihilfenfonds zur Sanierung der Krankenkassen abzuzweigen, da die Mitversicherung der Familienangehörigen eine familienpolitische Leistung darstelle, die über den eigentlichen Aufgabenbereich der Krankenkassen hinausgehe. Vor mehreren Wochen fanden diese Gerüchte in einem offiziellen Vorschlag des Arbeiterkammertages und des Sozialministers ihre Bestätigung. Hinsichtlich der Zweckentfremdung der Mittel des Kinderbeihilfenfonds ist es einerlei, ob — nach dem Vorschlag des Sozialministers — eine Refundierung für die Mitversicherung der Familienmitglieder in den Krankenkassen oder — nach dem Vorschlag des Finanzministers — eine solche für das „Wochengeld“ angestrebt wird. Wir haben schon dargelegt, daß viele Einrichtungen in irgendeiner Form familiengemäße Leistungen erbringen, die nicht Gegenstand des allgemeinen Familienlastenausgleichs sind und meist auch schon viel länger bestehen als dieser. Die Hälfte des „Wochengeldes“ (Vergütung des Lohnes an Arbeitnehmerinnen während der „Schutzfrist“, das ist, sechs Wochen vor bis sechs Wochen nach der Geburt eines Kindes) wurde den Krankenkassen schon bisher aus dem öffentlichen Haushalt refundiert. Übergangsweise hat nun der Finanzminister auch die zweite Hälfte übernommen, doch muß dafür bis 31. Dezember 1960 eine neue Bedeckung gefunden werden.

Die Familienverbände haben den Gesetzgeber schon aufgefordert, die etwas unübersichtliche Textierung des Familienlastenausgleichsgesetzes neu zu fassen, damit ein solcher Griff nach den Geldern der Beihilfenfonds in Zukunft unmöglich gemacht werde. Vom Koalitionsausschuß erwarten wir, daß er in Hinkunft bei seiner Arbeit mehr Rücksicht nehme auf die von beiden Regierungsparteien feierlich garantierten Familieninteressen. Den politischen Parteien aber sei gesagt, daß die Familien nicht interessiert sind an weiteren programmatischen Erklärungen; es geht ihnen nur um das eine: die ehrliche Tat!

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