"Eine Renaissance der Opfermythen“

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Ulrike Lunacek ist grüne EU-Abgeordnete und Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments. Sie ist Berichterstatterin des EU-Parlaments für den Kosovo.

Die Furche: Seit dem Ende des Kosovokrieges bemüht sich die EU um ein Ende des Streits zwischen Serbien und der Regierung in Priˇstina. Die jüngsten Ausschreitungen im Nordkosovo haben gezeigt, dass man dabei nicht wirklich weiterkommt. Können Sie auch Fortschritte erkennen?

Ulrike Lunacek: Natürlich gibt es Fortschritte. Ein Meilenstein war die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008, aber auch die Einsetzung der EULEX-Mission im Land, um aus dem Kosovo einen modernen Rechtsstaat zu machen. Aber natürlich hat das Land auch massive Probleme. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Handel stark reduziert wegen des serbischen Warenembargos gegen den Kosovo.

Die Furche: Serbien will in die Europäische Union. Kann es das auch ohne Fortschritte in der Kosovo-Frage?

Lunacek: Ich glaube, den Serben muss klar sein, dass es ohne die Anerkennung des Kosovo keine Mitgliedschaft in der Europäischen Union geben wird.

Die Furche: Sehen Sie eine Möglichkeit, dass die Regierung in Belgrad diesen Standpunkt mehrheitsfähig machen kann?

Lunacek: Derzeit leider nicht. Aber wir haben gesehen, was internationaler Druck bewirken kann, als an der Grenze KFOR-Soldaten aus Österreich und Deutschland von gewalttätigen Demonstranten bei den serbischen Straßensperren verletzt wurden. Plötzlich war die Regierung Tadi´c bereit, gemeinsame Posten an all ihren gemeinsamen Grenzübergängen einzurichten.

Die Furche: Nur Wochen davor hatten regierungsnahe serbische Medien durch Hetz-Artikel zur Eskalation beigetragen. Ist die Regierung Tadi´c ein verlässlicher Partner?

Lunacek: Tadi´c hat noch nicht eindeutig Position bezogen. Erst hat er die EU-Option Serbiens als absolut prioritär bezeichnet. Aber im Sommer hat er die Lage dann eskalieren lassen. Wichtig wird sein, den Serben klarzumachen, dass es in der EU kein weiteres Zypern geben wird. Es wird kein Land in die Union aufgenommen, das die Fragen bezüglich seiner Grenzen nicht geklärt ist. Allgemein zeigt uns das Beispiel Kosovo, dass das Friedensprojekt Balkan keine Selbstverständlichkeit ist. Es gibt Wunden, die noch lange nicht geschlossen sind. Wir sehen das auch in anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens: Es gibt eine Renaissance der Opfermythen.

Die Furche: Wie könnte Europa seine Position als Vermittler verbessern?

Lunacek: Europa sollte endlich eine gemeinsame Haltung zum Kosovo finden. Es gibt noch immer fünf Staaten der Union, die die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkannt haben. Das erschwert viele mögliche Schritte. Zum Beispiel ein Visa-Abkommen, das es auch für Serbien und die anderen Staaten gibt. Noch ist die Stimmung im Kosovo gegenüber der Union sehr positiv. Man sollte das nützen. Die Union bräuchte neben einem Visum-Dialog auch ein Handelsabkommen. Das setzt wieder eine Entscheidungsfähigkeit voraus, die gebessert werden könnte, wenn das Einstimmigkeitsprinzip in außenpolitischen Fragen fällt und das EU-Parlament das Mitbestimmungsrecht erhielte.

Die Furche: Wie sollte die EU mit dem Kosovo verfahren, wenn Serbien Kandidatenstatus bekommt?

Lunacek: Wenn es Beitrittsgespräche mit Serbien gibt, sollte es auch ein Screening geben, wie weit die Rechtsvorschriften im Kosovo EU-kompatibel wären. Das wäre eine wichtige symbolische Parallel-Aktion.

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