"Eine Riesenchance für Reformen in Bulgarien"

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Der bulgarische Politologe Ivan Krastev über die politische Krise in seinem Land, die Gängelung des Rechtsstaats und die große Hoffnung Europäische Union.

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Der bulgarische Politologe Ivan Krastev über die politische Krise in seinem Land, die Gängelung des Rechtsstaats und die große Hoffnung Europäische Union.

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Ivan Krastev ist Chef des "Centre for Liberal Strategies" in Sofia und permanent Fellow des Instituts für die Wissenschaft vom Menschen IWM in Wien. Er ist auch Autor zahlreicher Bücher über Osteuropa.

DIE FURCHE: Bulgarien erlebt eine schwere politische Krise. Auch die Wahlen haben daran nichts geändert. Was halten Sie dabei für besonders besorgniserregend?

Ivan Krastev: Im letzten Jahrzehnt wurden die unabhängigen Institutionen, wie die Justiz etwa, von wirtschaftlichen und politischen Seilschaften erobert. Und die Reformbereitschaft in Bulgarien lässt sich gut mit einer schwarzen Anekdote veranschaulichen: Die Situation da ist so, als würde man einen Friedhof verlegen und dabei Engagement von innen erwarten. Nehmen wir auch die bulgarische Nationalbank (BNB) und wie sie mit der kollabierten Corporate Commercial Bank (CCB) umgegangen ist: Da musste man kein Finanzexperte sein, um ein finanzielles Pyramidenspiel zu erkennen. CCB hatte angeblich jahrelang nur ein Prozent Kreditausfälle bei 17 Prozent Landesdurchschnitt und bot einen Zinssatz von acht Prozent an, das Doppelte des im Land Üblichen. Trotzdem unternahm die Nationalbank nichts, und jetzt sind die Konten der Kunden von CCB blockiert: Dieser systematische Verrat der unabhängigen Institutionen dem Bürger gegenüber ist für den sich verbreitenden Pessimismus im Land verantwortlich.

DIE FURCHE: Ihre ganze Amtszeit stand die jetzt abgewählte Regierung Orescharski unter dem Druck der Proteste gegen das oligarchische Modell. Wie soll eigentlich der Kampf gegen die Oligarchie aussehen?

Krastev: Ein Teil der Stärke oligarchischer Strukturen, egal welcher, ist, dass sie Arbeitsplätze kontrollieren. Es reicht, sich die aktuellen Proteste der Bergarbeiter in Bulgarien anzuschauen, um eins der größten Probleme zu sehen - nämlich, dass es dabei um nicht konkurrenzfähige Produktionen geht. Gerade solche aber sichern oft die Arbeitsplätze in wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten. Der Kampf gegen oligarchische Strukturen soll also mit dem Denken an alternative Beschäftigung beginnen.

DIE FURCHE: Bulgarien ist schon fast acht Jahre EU-Mitglied. Der Justizminister in der Interimsregierung, Hristo Iwanov, warnt vor einem sehr kritischen Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission und vor den Folgen.

Krastev: Zum ersten Mal steht die Europäische Kommission vor der Frage, wie sie mit Ländern umgehen soll, in denen das politische System nicht mit den demokratischen Mindeststandards in der EU vereinbar ist. Aber ich bezweifle konkrete Konsequenzen. Dem würde eine Reihe von EU-Ländern nicht zustimmen, weil sie selber auch genug Defizite haben. Der Fall Ungarn ist im Moment brisanter. Im Unterschied zu Ungarn, wo das s. g. "Modell einer nicht liberalen Demokratie" eine bewusst gewählte Politik ist, stellt sich in Bulgarien und Rumänien viel mehr die Frage nach deren Fähigkeiten. In Bulgarien und Rumänien geht es nicht darum, wer regiert, sondern, in wieweit die Gesellschaften da überhaupt regierbar sind. Die Krise um die CCB etwa und um die Regierung selbst hat im letzten Jahr aufgezeigt, dass die Entscheidungen in Bulgarien nicht da getroffen werden, wo die Verfassung es vorschreibt. Regierbarkeit wird jetzt auch das wichtigste Kriterium für Erfolg nach den Wahlen sein. Die EU-Kommission wird in nächster Zukunft vorsichtig in Bezug auf den Umgang mit Finanzhilfen sein, weil durch Missbrauch die Legitimität der EU aufs Spiel gesetzt wird. Hinzu kommt noch, dass Kristalina Georgiewa, die für den Kommissionshaushalt und somit auch für die Antibetrugsbehörde Olaf zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission, eine Bulgarin ist. Sie würde sicherlich gerade in Bezug auf ihre Heimat Prinzipientreue beweisen wollen. Das wäre für Bulgarien eine Riesenchance für wahre Reformen.

DIE FURCHE: Am Sonntag haben Wahlen stattgefunden, und es ist möglich, dass es bald wieder Neuwahlen geben muss. Sehr viele kleine Parteien haben Zugewinne erzielt. Was ist dabei interessant?

Krastev: Die bulgarischen Wähler neigen dazu, an Wundertäter in der Politik zu glauben. Zwei Beispiele, wo just vor den Wahlen gegründete Parteien die Wahlen gewannen: die Königsbewegung (NDSW) des früheren Premierminister Zar Simeon II. und die Gerb-Partei. Jetzt haben wir keine neuen Akteure, Politikverdrossenheit und Hoffnungslosigkeit machen sich breit, und dies wirkt sich auch auf die Wahlbeteiligung aus. Figurativ gesagt: Die bulgarische Gesellschaft ist froh darüber, sich der Regierung Orescharski entledigt zu haben und scheint sich zu wünschen, dass die nächste erst gar nicht kommen soll. Die innere Instabilität der Parteien behindert rationales Handeln und einen überparteilichen Konsens. Und die Gerb-Regierung, wenn schon gebildet, wird sich vor die richtige Aufgabe stellen müssen: den aktiveren Teil der Gesellschaft davon zu überzeugen, dass sie zu schmerzhaften Reformen fähig ist.

DIE FURCHE: Die von den Sozialisten dominierte Regierung mit Ministerpräsident Plamen Orescharski musste Ende Juli wegen der Vertrauenskrise zurückgetreten. Sie kam an die Macht, nachdem eine Protestwelle Neuwahlen im Mai 2013 herbeigeführt hatte, und zog aber sofort wieder den Unmut der Bürger auf sich. Warum wurden gerade die Sozialisten den Forderungen der Menschen nach zumutbaren Strompreisen und Bekämpfung der Monopole nicht gerecht?

Krastev: Die Proteste vom Februar vergangenen Jahres sind einzigartig in der bulgarischen Sozialgeschichte. Sie sind nicht von der Hauptstadt, sondern von der Provinz ausgegangen. Auf den Straßen waren Hundertausende, die nicht zur Gruppe der politisch Engagierten gehörten. Die Organisation erfolgte meistens via Sozialnetze, ohne Beteiligung von Parteien oder Gewerkschaften. Für die Regierung von Plamen Orescharski stellten die Proteste eine Quelle der Legitimität dar. Sie bestanden ja aus Parteien, die keine Wahlgewinner waren - die konservative Gerb-Partei (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) hatte die Neuwahlen im Mai gewonnen, konnte jedoch keine Regierung bilden. Orescharski konnte sich deswegen keine Reformen im wunden Bereich der Energiepolitik leisten. Besonders nach dem 14. Juni 2013, mit der Ernennung eines berüchtigten Abgeordneten zum Chef der Geheimdienste und den dadurch ausgelösten antioligarchischen Protesten geriet die Regierung Orescharski in die Defensive. So wurde 18 Monate lang praktisch nichts in Bulgarien angerührt - weder die Monopollage am Markt noch seine Struktur. Nur die Verluste unreformierter Sektoren wurden nationalisiert. Es häuften sich enorme Defizite auf, in allen Systemen. Sie werden demjenigen zur Last fallen, der Bulgarien künftig führen wird.

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