Einen Pudding an die Wand nageln

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Kampf um die Mutter aller öffentlich-rechtlichen Anstalten: Public Value soll bestimmen, was die BBC zeigt. Aber was das ist, ist schwer zu definieren.

Früher war alles besser. Vielleicht nicht besser, aber zumindest übersichtlicher. Da gab es einen privaten Sektor, der Güter und Dienstleistungen produzierte, und dann gab es einen öffentlichen Sektor, der machte Diverses von Verwaltungsaufgaben über Krankenversorgung bis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Der Privatsektor maß seine Leistungen mit Geld, der öffentliche mit - nun, das war eigentlich nie so recht klar. Im aufgeklärten Wohlfahrtsstaat musste man letztlich froh sein mit dem, was man bekam - den Steuerbescheid aus der Hand des mürrischen Sachbearbeiters, die Leibschüssel von der gestressten Krankenschwester und für (scheinbar) alle Ewigkeit die Zeit im Bild 1 auf beiden Kanälen.

Öffentliche Leistung messen

Irgendjemandem fiel dann ein, dass der Privatsektor eigentlich viele dieser Aufgaben übernehmen könne - womöglich sogar besser, effizienter und billiger. Das Zauberwort von der "Privatisierung" war geboren und veränderte in den letzten drei Jahrzehnten die Welt. Was nicht in Geld gemessen werden konnte, geriet zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Man brauchte neue Parameter, um nicht-monetäre Leistungen quantifizieren und damit auch bewerten zu können.

Eines dieser Konzepte ist der "öffentliche Mehrwert" (Public Value). Der Management-Theoretiker Mark Moore schuf 1995 den Begriff und schlug als Definition vor: "Öffentlicher Mehrwert ist sowohl eine Praxis, bei der Anbieter mit Konsumenten zusammenwirken, um ein Resultat zu erarbeiten, das den wahren Bedürfnissen der Konsumenten entspricht, und gleichzeitig auch das Bestreben, öffentliche Körperschaften auf Resultate statt Prozesse auszurichten." (vgl. Seite 21)

Klingt reichlich kompliziert, aus dem "Management-Speak" von Moore übersetzt steckt dahinter aber fast revolutionäres Gedankengut. Nimmt man nur das Wort "Konsument": Generationen von Österreichern sind damit aufgewachsen, bei jedem Amtsweg unter dem einschüchternden Wort "Partei" erfasst zu werden: "Parteienverkehr ausnahmslos Montag bis Freitag von 9 - 12 Uhr, ausgenommen Mittwoch." - wurde man in die (Amts-)Welt geworfen (inklusive des Mittwoch-Paradoxons).

Und offenbar nicht nur die Österreicher, sondern alle Bürger eines bürokratisierten Gemeinwesens, denn sonst wäre es wohl einem Harvard-Professor wie Mark Moore nicht eingefallen, sich darüber Gedanken zu machen. Moore stellt die Bedeutung öffentlicher Dienstleistungen nicht in Frage, aber er versucht, sie nach Kriterien des Marktes messbar zu machen, um Verbesserungsmöglichkeiten zu erfassen.

Seine Neu-Positionierung des Individuums als "Konsument" ist eine völlige Umkehrung traditioneller Machtverhältnisse: Am Markt hat der Konsument dank seiner Kaufkraft das (durch unendlich viele Einflüsse unendlich oft manipulierte, aber dennoch) letzte Wort: Verweigert der Kunde den Kauf der Schuhe, muss der Schuhhändler sich ein neues Angebot einfallen lassen oder zusperren.

Umkehrung der Verhältnisse

Nirgendwo ist die Macht des Konsumenten in den letzten zwei Jahrzehnten mehr gewachsen als im Bereich der Kommunikation: Kabel- oder Satellitenfernsehen, Internetanschluss rund um die Uhr, Mobiltelefon, iPod und kleine Zauberdinger wie der Blackberry gehören heute zur Standardausstattung unseres Lebens. Der permanente Zugriff auf, aber auch das ständige Ausgesetztsein gegenüber Informationen und Unterhaltung buchstäblich aus aller Welt verändert unsere Realität. Und sie setzt jene, die einst ein Monopol darauf hatten, uns die Welt ins Haus zu liefern, schwer unter Druck.

So etwa geht es der britischen BBC. In einem liberalisierten Markt, wo "der technologische Fortschritt das bewährte System zerstört hat, nachdem der Staat den Zugang reguliert" (so eine Studie der Londoner Denkfabrik "The Work Foundation" über "Public Value and the BBC), ist der 1922 gegründete öffentlich-rechtliche Sender längst ein Anachronismus: Kabel, Satellit, Digitalboxen und in den letzten Jahren das Internet erlauben heute praktisch jedem Briten den Zugang zum Universum, ohne einen Schritt vor die Haustüre machen zu müssen.

Unter Rechtfertigungsdruck

Weil die BBC aber immer noch überwiegend durch Rundfunkgebühren finanziert wird, die jeder Brite entrichten muss, der ein Radio- oder TV-Gerät in Betrieb nehmen will, auch wenn er nie in seinem Leben ein BBC-Programm konsumieren sollte (was freilich höchst unwahrscheinlich ist, denn der Sender ist nicht nur in weite Bereich Marktführer, sondern auch Teil der nationalen Identität), steht der Sender zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Die Gründungsurkunde verpflichtet die BBC zu höchst hehren Informationsaufgaben und Bildungszielen, diese zu definieren und ihre Einhaltung zu überprüfen, ist aber im Zeitalter globaler Konkurrenz eine fast unlösbare Aufgabe.

Für einen Privatsender wie Rupert Murdochs Sky sind letztlich die Einnahmen die allein entscheidende Marke. Der öffentlich-rechtliche Auftrag der BBC hingegen verbietet ihr die Ausstrahlung bezahlter Werbung. So angenehm das für den Konsumenten sein mag, so schwierig wird damit die Finanzierung des Senders (was wiederum die Fantasie der Verantwortlichen schier unendlich bei der Suche nach Schlupflöchern beflügelt).

Weil Geld damit für die BBC nicht das Legitimationskriterium sein kann und weil der Sender in den vergangenen Jahren durch eigene Fehler ebenso wie durch massiven politischen Druck unter Rechtfertigungszwang geraten ist, setzt die BBC in der aktuellen Fassung ihrer alle zehn Jahre zur Erneuerung anstehenden "Royal Charta" - sozusagen die BBC-Verfassung - nun auf das Konzept des Public Value. So heißt es: "Jedes neue Programmangebot und gravierende Veränderungen bestehender Angebote müssen einem, Public Value Test' unterzogen werden."

Kriterien für Public Value

In Anlehnung an die Definition von Moore wurden dabei vier Kriterien definiert: Reichweite, Wirkung, Qualität und Preisleistungsverhältnis. Der neu eingesetzte Aufsichtsrat (BBC Trust) hat die Aufgabe, darüber zu wachen und entwickelt dafür langsam ein Instrumentarium, wie aktuelle Berichte zeigen. So übte der BBC Trust scharfe Kritik an der massiven Kostenüberschreitung bei den BBC Online-Diensten um 35 Millionen Pfund im Vorjahr. Auch ein neues Sendeangebot in gälischer Sprache, das 18 Millionen Pfund kosten, aber maximal 70.000 Konsumenten in Schottland erreichen wird, wurde vom Aufsichtsrat auf Erfüllung der vier Kriterien geprüft - und genehmigt.

In sich widersprüchlich

Dabei ist es selbst einem Laien verständlich, dass die vier Kriterien zur Messung des öffentlichen Mehrwerts in sich widersprüchlich sind. Mit Sendungen wie "The Apprentice", deren vierte Staffel gerade zu Ende gegangen ist, erreicht die BBC Rekordquoten: Mehr als zehn Millionen sahen am vergangenen Mittwoch die Schlussrunde einer Sendung, in der sich übereifrige Bewerber um einen hoch dotierten Job bekriegen - eine Big Brother-Realsatire im Milieu des britischen Wirtschaftslebens.

Das ist amüsant zu sehen und höchst professionell gemacht, mit dem hehren Bildungsauftrag der BBC hat die Sendung freilich nichts zu tun. Ähnlich verhält es sich mit der Tanzshow "Strictly Come Dancing", die dem Sender neben einem Millionenpublikum in Großbritannien auch Rekordeinnahmen an Lizenzen beschert hat (etwa aus Österreich, wo das Programm "Dancing Stars" heißt).

Umgekehrt produziert die BBC Dokumentationen von weltweit führendem Niveau über eine unendlich weite Palette an Themen von den Jugendjahren Margaret Thatchers bis zum geheimen Liebesleben der Leguane in Papua-Neuguinea. Mag hier der Bildungsauftrag darstellbar sein, so werden weder die Kriterien Reichweite noch Preisleistungsverhältnis erfüllt.

Als Politik und Öffentlichkeit der BBC noch freundlicher gesinnt waren als heute, konnte der Sender stets mit der Argumentation durchkommen, man brauche Hits wie "Strictly Come Dancing", um die Seher auch auf anspruchsvolle Sendung mitnehmen zu können. Das klingt plausibel, ist aber letztlich nicht nachweisbar.

Harte Evidenz soll daher der "Public Value Test" erbringen. Doch das erinnert an die alte englische Redensart, dass man einen Pudding nicht an die Wand nageln kann. Was die Menschen aber bekanntlich noch nie davon abgehalten hat, es zu versuchen.

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