Einer Taube etwas zuleide getan

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Zwei Wochen nach der Ermordung von Hrant Dink: Aus dem mutigen Wortführer der armenischen Minderheit wurde ein Hoffnungszeichen für alle religiös, national, sozial und politisch Bedrängten in der Türkei.

Die Parolen zehntausender Christen, Juden und Muslime, von Kurden und politisch Illegalen bei seinem Begräbnis in Istanbul - "Jeder ein Hrant Dink", "Wir alle Armenier" - sind nicht ins Leere verhallt. Von Wien bis Genf, in Amerika und natürlich der Republik Armenien wird sein Andenken geehrt, dabei von der Türkei die Erfüllung seiner Anliegen eingefordert. Nicht umsonst: Staatspräsident Ahmet Sezer, zwar kein fanatischer Muslim, doch dafür erklärter Antiklerikaler, der schon mehreren Europäisierungsgesetzen zugunsten der Kirchen die Unterschrift verweigert hat, verurteilte immerhin die Schandtat.

Ministerpräsident Erdogan versprach: "Die schwarze Hand, die für diesen Mord verantwortlich ist, wird ausgeforscht und bestraft!" Abgesehen von solchen Lippenbekenntnissen wurden bereits ein Provinzgouverneur und ein Polizeipräsident abgesetzt. Weiter prüft die Regierung in Ankara, wo sonst noch den Verwaltungs-und Sicherheitsbehörden "Verschulden und Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist: Sie hatten ihm trotz akuter Bedrohung keinen Polizeischutz gewährt. So blieb Hrant Dink, wie er in seinem letzten Artikel am Tag vor der Bluttat schrieb, einzig die Hoffnung, dass "niemand einer Taube etwas zuleide tut". Außerdem wurde letztes Jahr nicht gegen die Hintermänner des Priestermordes von Trapezunt ermittelt und vorgegangen. Aus derselben Untergrund-Zelle, die Pfarrer Santoros Exekution befohlen hatte, dürfte jetzt auch der Auftragsmord an Hrant Dink gekommen sein.

Auf der Gegenseite sehen wir Verhärtung der türkisch-nationalistischen und radikal-islamischen Terrorszene: Erst Anfang dieser Woche wurde als Protest gegen die "Dink-Welle" bei den europäisch gesinnten Demokraten eine Autofähre in der Meerenge der Dardanellen entführt. Worauf Vizegouverneur Ince von Gallipoli den Täter als "türkischen Patrioten, irritiert vom Armenierrummel" entschuldigt hat. Solche Widersprüche waren und sind noch immer typisch für die Türkei, für das Leben und Sterben von Hrant Dink.

Türkische Widersprüche

Dass es ihn überhaupt gab, ist mit ein Beweis für die Existenz von Geheimchristen in der asiatischen Türkei auch nach den Massakern an Armeniern, Griechisch-und Syrisch-Orthodoxen sowie christlichen Assyrern und der Vertreibung der Überlebenden in den Jahren 1915 bis 1923. Hrant Dink wurde 1954 in Malatya am Euphrat als Sohn des Schneiders Haschim Kalfa und seiner Frau Gül geboren. Hinter diesen türkischen Namen verbargen sich Serkis und Vart Dink, die Armeniermord und Aussiedlung als Pro-Forma-Muslime entronnen waren. Sie standen damit nicht allein: Auch der heutige armenische Bischof von Diyarbakir, Aram Atscheschian, wurde dort im wildesten Südostanatolien 1954 geboren, ebenfalls als Kind von Katakombenchristen. Nur äußerlicher Islam rettete sie vor dem Verlust des Lebens oder zumindest der Heimat. Obwohl die moderne Türkei des vermeintlichen Europäisierers Atatürk die türkische Nation anstelle des Glaubens vergötzt hat, blieb es bis heute ungeschriebenes Gesetz, dass echte Türken Muslime sein müssen. Schon die Jungtürken, als sie sich 1915 an die Endlösung der Armenierfrage machten, holten für diese rassistische Aktion eine religiöse Rechtfertigung vom obersten islamischen Geistlichen ein, der - wiederum - Freimaurer war.

Zoologe statt Priester

Wenn Hrant und seine Brüder mit christlicher und armenischer Identität aufwuchsen, verdankten sie das der Erziehung durch ihren Großvater. Als er starb, steckten die Eltern alle drei Buben ins Armenische Waisenhaus im Istanbuler Stadtteil Gedikpasa beim vielen Touristen bekannten Türkischen Bad mit dem gleichen Namen. Hrant Dink fühlte sich aber zum Priester berufen.

Er trat ins Theologenseminar Heiligkreuz (Surp Hac) am Bosporus ein. Als dieses 1971 kurz vor seiner Diakonsweihe vom türkischen Staat - ebenso wie das orthodoxe Chalki und evangelisches Robert College - zugesperrt wurde, wechselte Hrant ins Studienfach Zoologie. Sein Berufsideal blieb jedoch der Dienst an christlichen Kindern und Jugendlichen. Für sie gründete er mit seiner Frau Rakel eine Jugendstadt am östlichen Rand von Istanbul. Dort in Tuzla, wo sich vor 140 Jahren Muslimflüchtlinge vor der österreichischen Annexion von Bosnien aus der gleichnamigen Stadt Doboj-Tuzla ihre Hütten gebaut hatten, fanden vorzüglich Scheidungswaisen und Kinder aus christlich-islamischen Mischehen für 21 Jahre eine neue Großfamilie. Dann schlug auch dort die türkische Obrigkeit zu, warf das Ehepaar Dink mit seinen Kindern und Ziehkindern auf die Straße.

Ungebrochen von diesem Misserfolg gründete Hrant eine Wochenzeitung für Bürgerrechts-und Minderheitenfragen in der Türkei. Er gab ihr den Namen Agos, auf Armenisch "Die Furche".

"Furche"-Herausgeber

Sie sollte Furchen des Aufbruchs in die lethargische Selbstaufgabe der letzten Christen am Bosporus reißen, aber auch kurdischem und linkem Ungestüm einschließlich der damaligen armenischen Untergrundarmee ASALA menschliche Grenzen ziehen. Sein Vorbild dabei, die österreichische Furche, hat Hrant am Georgskolleg der österreichischen Lazaristen am Goldenen Horn kennen gelernt.

Zunächst totgesagt stieg die Zahl der Agos-Abonnenten bald auf über 6000, die ganze Türkei wartete jeden Donnerstag auf das Erscheinen des Blattes, das zu ihrem Gewissen geworden war. Sogar große türkische Zeitungen wie die islamreformatorische Zaman umwarben Dink als Leitartikler.

Natürlich machte sich Hrant Dink damit je länger desto mehr Feinde. An Hand des repressiven türkischen Medienrechts wurde er mehrmals verurteilt, Nationalisten und Islamisten nahmen ihn gezielt aufs Korn. Auch zu seiner Ermordung dürften neben ultratürkischen auch islamistische Motive beigetragen haben. Der Täter soll nach seiner Tat "Allah ist groß - tot der Ungläubige" gerufen haben. Auch die Liquidierung mit drei Schüssen wäre an und für sich Markenzeichen des Hisbollah-Ablegers in der Türkei.

Sogar der Patriarch der 65.000 in der Türkei offiziell übrig gebliebenen Armenier, Mesrob II., hatte Dink, den mutigen Kämpfer um eine demokratische, multikulturelle und multireligiöse Türkei, plötzlich im letzten Sommer als "Schädling für die Interessen der armenisch-orthodoxen Minderheit" verurteilt. Er solle sich mehr um die religiösen und kulturellen Belange der Minderheit kümmern als um Asoziale, Feministinnen und sonstige Außenseiter besorgt zu sein. Dem 52-jährigen Hrant Dink lagen eben nicht nur die Armenier, sondern alle auch in der modernen Türkei national, religiös und vor allem sozial Benachteiligten, Unterdrückten und Verfolgten am Herzen. Ob sie nun Armenier oder Kurden, Christen und Juden, Frauenrechtlerinnen, Gewerkschafter oder Linkspolitiker waren.

Moderate Haltung

Außerdem nahm der Publizist eine ausgewogene Haltung zum großen heißen Eisen für das armenisch-türkische Verhältnis ein, dem Völkermord der Jungtürken und Kemalisten im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts. Diese vermittelnde Position gewann ihm gerade in proeuropäischen türkischen Kreisen Achtung und Anhang.

So ist es Hrant Dink in der Türkei als erstem Vertreter einer Minderheit gelungen, deren engen Rahmen zu sprengen und zum Sprecher von Menschlichkeit und Fortschritt für alle türkischen Bürgerinnen und Bürger zu werden. Mit Dinks Ermordung erwiesen verblendete Extremisten ihrer türkischen Heimat den größten nur möglichen Bärendienst, stellen sie als Grube feiler Auftragsmörder hin! Die Regierung Erdogan kann nach diesem Erdbeben nicht einfach zur Tagesordnung und schon gar nicht zu den von der EU gestellten kleineren Hausaufgaben übergehen. Die Türkei ist vor die klare Entscheidung gestellt, den Weg als letztes national-faschistisches Staatswesen aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen weiterzukrebsen oder sich endlich aus den Schatten einer unseligen Vergangenheit zu lösen.

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