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Einiger Gewerkschaftsbund

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„Welche Politik wird nun der ÖGB verfolgen? Wird es auch weiterhin möglich sein, die Idee vom einheitlichen und überparteilichen Gewerkschaftsbund aufrechtzuerhalten?“ Diese und ähnliche Fragen wurden mir und meinen Kollegen vom Gewerkschaftsbund immer wieder gestellt, als im April des heurigen Jahres die Regierungsverhandlungen zwischen den beiden bisherigen Koalitionspartnern als gescheitert anzusehen waren. In diesen Fragen schwang auch eine gewisse Sorge um die Zukunft unseres Landes mit, hatte man sich doch in den Jahren seit 1945 daran gewöhnt, daß der ÖGB ein wichtiger ausgleichender Faktor in unserer Innenpolitik ist. Viele konnten sich nicht vorstellen, daß der ÖGB diese Rolle auch weiterhin übernehmen könne, wenn einer Einparteienregierung eine fast gleich starke Oppositionspartei gegenübersteht, noch dazu einer Partei, der die meisten führenden Gewerkschafter angehören.

Als es bei den Regierungsverhandlungen im heurigen Frühjahr bereits hart auf hart ging, habe ich bei Aussprachen und auch in einem Zeitungsinterview folgenden Standpunkt vertreten: Als freie Gewerkschafter üben wir unsere Funktion unabhängig vom Staat, von der Regierung und von den Unternehmern aus. Daher werden wir, ganz gleich, wie die Regierung zusammengesetzt ist, unseren Auftrag erfüllen, die Lebenshaltung der Arbeitnehmer zu verbessern. Auch einer ÖVP-Regierung wird der ÖGB unabhängig von einer anderen Partei gegenübertreten. Damals verneinte ich aber auch die Frage, ob nicht zu befürchten „ei, daß bei Installierung einer Einparteienregierung der ÖVP eine Radikalisierung der Gewerkschaften ein- treten werde. Natürlich kann es zu Streiks oder Demonstrationen kommen. Diese hat es aber auch in den Zeiten einer großen Koalition gegeben. Schließlich sind Streiks und Demonstrationen Rechte freier Menschen. Der ÖGB wird zu Demonstrationen oder Streikaktionen greifen, wenn berechtigte Forderungen verschleppt oder überhaupt nicht erfüllt werden. Das hat aber mit der augenblicklichen politischen Konstellation nichts zu tun.

Ich glaube mit gutem Gewissen sagen zu können, daß sich der ÖGB in den vergangenen acht Monaten an diese Grundsätze gehalten hat. Wir haben der Öffentlichkeit bewiesen, daß der ÖGB, so wie in den vergangenen 20 Jahren in seiner Geschlossenheit und Einheit der Hüter und Wahrer der Interessen der Arbeitnehmer ist und bleibt. Wir sind und wollen keine Sturmspitze einer einzigen Partei sein, denn das würde nur die Einheit der Gewerkschaftsbewegung, der wir so viele Erfolge zu verdanken haben, gefährden. Mit Freude kann ich feststellen, daß seit dem 6. März 1966 in keinem Augenblick des politischen und gewerkschaftlichen Alltagskampfes diese Einheit in Gefahr war. Unsere Mitglieder kommen aus allen politischen Lagern, die verschiedensten Weltanschauungen sind vertreten. Wie in den Jahren der Koalition hat es sich auch in den vergangenen Monaten gezeigt, daß echte Gewerkschafter, ganz gleich welcher Fraktion sie angehören, sich sehr bald zu einer gemeinsamen Stellungnahme finden, wenn es um die Interessen unserer Arbeiter, Angestellten und Beamten geht. Hierzu ein Beispiel aus jüngster Zeit: Sogar in der schwierigen und heiklen Habsburg-Frage kam es zu einer einvernehmlichen Stellungnahme der sozialistischen und christlichen Gewerkschafter, der schließlich auch von Bundeskanzler Dr. Klaus im Namen der Regierung Rechnung getragen wurde.

Aus dem bisher Gesagten geht schon hervor, daß sich an dem Weg des ÖGB, den er seit 1945 im Interesse der Arbeitnehmer, aber auch im Interesse unseres Staates gegangen ist, nichts ändern wird. Der ÖGB wird weitere Anstrengungen machen, um die Vollbeschäftigung zu erhalten und den Lebensstandard des gesamten Volkes zu erhöhen. Als wichtigste Voraussetzung für die Erreichung dieses Zieles sieht der ÖGB die Steigerung und Verbesserung der Produktion. Schon seit einiger Zeit gilt die berechtigte Sorge des ÖGB dem ungenügenden Wirtschaftswachstum. Höhere Steigerungsraten wird man aber mit der in Österreich betriebenen Wirtschąftspolitik „von einem Tag zum anderen“ kaum erreichen. Seit Jahren verlangt der ÖGB ein Wirtschaftskonzept, die Aufstellung eines Entwicklungsplanes für unsere Wirtschaft. Bereits kurz nach den Wahlen vom 6. März 1966 haben der ÖGB und der Arbeiterkammertag an den neugewählten Nationalrat und an die Bundesregierung ein Memorandum gerichtet, in dem der ÖGB jene wachstumsfördernden Maßnahmen aufzeigt, die unbedingt ergriffen werden müßten.

Seit 1945 war der ÖGB in seiner Wirtschaftspolitik sich stets der Verantwortung, die er gegenüber der Geisamitwirtschaft zu tragen hat, bewußt. Daher wäre es nur recht und billig, daß den Gewerkschaften das überbetriebliche Mitbestimmungsrecht in allen Wirtschaftsfragen, so vor allem bei der Erstellung eines Wirtschaftskonzepts, zuerkannt wird. Niemand wird behaupten können, daß die Gewerkschaften in den letzten Jahren nur kritisiert hätten. Ganz im Gegenteil: Immer wieder haben sich die Gewerkschaften aktiv und mit konkreten Vorschlägen in das Wirtschaftsgeschehen eingeschaltet. Dabei hielten sie sich immer an den Grundsatz: Mitentscheiden bedeutet Mitverantworten.

Dieses Verantwortungsbewußtsein leitet die Gewerkschaften auch in ihrer Lohn- und Gehaltspolitik. Auch in Zukunft werden sie bestrebt sein, die Einkommen der Arbeiter, Angestellten und Beamten zu erhöhen, ohne dabei die Wirtschaft des Landes zu überfordern. Das gilt auch für unsere Forderungen, die den Ausbau der sozialen Rechte zum Ziele haben. Schließlich haben gerade wir Gewerkschafter kein Interesse an einer Schwächung unserer Wirtschaft. Aber anderseits werden wir uns auch weiterhin nicht vorschreiben lassen, wann und wo Lohnforderungen gestellt werden. Niemand kann von den Gewerkschaften verlangen, daß sie stillhalten, wenn zum Beispiel immer neue Wellen von Preis- und Tariferhöhungen auf uns zukömmen, die durch die Budgetpolitik der derzeitigen Regierung begünstigt werden! Das wäre eine Preisgabe der elementarsten Interessen der Gewerkschaftsmitglieder. Jedenfalls werden die Gewerkschaften darauf achten, daß 1967 keine Reallohnverminderung für die Arbeitnehmer eintritt.

Für uns Gewerkschafter bedeutet das Jahr 1966 keine Zäsur. Wie festgefügt die österreichische Gewerkschaftsbewegung ist, beweist allein die Tatsache, daß es in ihrer Politik und in ihren Zielsetzungen keine Änderungen gegeben hat. Vielleicht ist der politische Alltagskampf härter geworden. Das zeigt urs nur, wie wichtig es ist, daß weiterhin alle Arbeiter, Angestellten und Beamten geschlossen in einem einheitlichen Gewerkschaftsbund zusammenstehen.

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