Einsamer Pufferstaat zwischen Ost und West

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Moldawien und Transnistrien sind zweifelhafte Scharniere zwischen Ost- und Westeuropa. Mit der prowestlichen Regierung in Chisinau geht jedoch eine Änderung im Verhältnis zu Rumänien einher – und damit zur EU.

Die Republik Moldau, wie Moldawien offiziell heißt, hat in den letzten Jahren knapp ein Viertel ihrer Bevölkerung verloren. Fast entsteht der Eindruck, dass alle, die laufen können, das Land verlassen. Organisiertem Menschenhandel ist dabei Tür und Tor geöffnet. Mehr und mehr sind es auch Männer, die in die Falle des Schlepperwesens tappen. Entrechtet tauchen sie dann auf Baustellen vor allem in Südeuropa wieder auf.

Auf legalem Weg ein EU-Visum zu bekommen, ist für Moldawier nicht leicht. Formal ist es kein wirkliches Problem, in der Realität ist es das damit verbundene Prozedere, das Hürden schafft: Bankgarantien, Einkommensbescheide und notarielle Beglaubigungen machen die Beschaffung auf offiziellem Weg aufwendig und zusätzlich kostenintensiv. „Zurzeit ist unsere westliche Grenze eine unsichtbare, aber sehr wirksame Berliner Mauer“, sagte dieser Tage Außenminister Iurie LeancØa im Standard-Interview Damit Moldawier ein Schengenvisum bekommen, „werden sie oft sogar in kriminelle Handlungen gezwungen. Sie müssen riesige Summen bezahlen, ihre Häuser verkaufen …“

Umsturzversuche Rumäniens?

Der „inoffizielle Preis“ für ein Schengen-Visum liege bei 4000 bis 5000 Euro, sagte LeancØa. Der reguläre Preis beträgt 60 Euro. Moldawien will daher so bald wie möglich Gespräche mit der EU über eine visafreie Einreise in die Schengen-Staaten führen. In den vergangenen Monaten haben zudem Hunderttausende Bürger Moldawiens die rumänische Staatsbürgerschaft beantragt, um visafrei in die Europäische Union einreisen zu können – ein sowohl in der EU als auch bis vor Kurzem in Moldawien mit Argwohn beobachteter Vorgang.

Gut zwei Drittel der Bevölkerung Moldawiens gehören zur Bevölkerungsgruppe der Rumänen. Von 1918 bis 1940 war Moldawien zuletzt ein Teil Rumäniens. Die rumänischen Pässe für Moldawier interpretierte die frühere kommunistische Regierung als Umsturzversuche Rumäniens in Moldawien, was zu massiven Spannungen führte. Im Frühjahr vergangenen Jahres erreichten die Beziehungen einen Tiefpunkt, als der damalige kommunistische Präsident Moldawiens, Vladimir Voronin, Bukarest beschuldigte, die Oppositionsproteste nach den Wahlen im April geschürt zu haben (zum andauernden Machtkampf siehe Beitrag unten).

Nach dem Regierungswechsel in Chisinau – seit Herbst 2009 wird das Land von einer nicht-kommunistischen, pro-europäischen Regierungskoalition geführt – ist jedoch eine Annäherung zwischen Rumänien und Moldawien eingetreten. Als sichtbares Symbol dafür wird gerade der Stacheldrahtzaun an der gemeinsamen Grenze beseitigt. Und seine erste Auslandsreise als wiedergewählter rumänischer Präsident führte Traian BØasescu ebenfalls zum Nachbarn. In betont herzlicher Atmosphäre sicherte BØasescu seinen Gastgebern die volle Unterstützung bei der EU-Integration ihres Landes zu. Die neue Partnerschaft zwischen beiden Ländern solle diesen Prozess beschleunigen. BØasescu: „Moldawien müsse auf dem Wege der europäischen Integration schnell voranschreiten, um zusammen mit den Westbalkan-Staaten beitreten zu können.“

Haupteinnahmequelle Zollbetrug

Wie am Westbalkan – und teilweise sogar noch verschärft – ist laut der European Union Border Assistance Mission to Moldova (EUBAM) die Korruption Teil des Staats- und Gesellschaftssystems Moldawiens. Ein Filz von Abhängigkeiten in Wirtschaft und Politik, weit weg vom europäischen Standard. Schmuggel und Zollbetrug sind Einkommensquellen im großen Maßstab. Die von der Republik Moldau abtrünnige Region Transnistrien spielt dabei eine Schlüsselrolle als zweifelhaftes Schanier zwischen Ost und West. Nicht nur minderwertiges Hühnerfleisch aus den USA wird via Transnistrien gewinnbringend auf den europäischen Markt geschleust, auch illegal produzierte Zigaretten chinesischen Ursprungs werden in diesem Grenzgebiet umgeschlagen und Richtung EU verfrachtet. Drogenhandel steht ebenso an der Tagesordnung. Nicht deklarierte Einfuhrzölle bei Luxusautos lassen deren Wert um gut 40 Prozent sinken und diese am informellen Markt weiterverkaufen. All diese Praktiken sind bekannt, jedoch schwer in den Griff zu bekommen, da bislang die internationale Einflussnahme enden wollend ist.

Ein Gespräch mit Studenten der Universität Chisinau über das Lohn- und Ausgabenniveau im Land macht die Diskrepanzen sichtbar: Das Essen im Lokal kostet knapp ein Viertel des Monatslohns öffentlicher Angestellter. Der durchschnittliche Monatslohn von Angestellten der Stadtverwaltung oder von Ministerien liegt zwischen 70 und 120 Euro im Monat. Meist werden zwei bis drei Jobs parallel ausgeführt, um leben zu können. Die Zimmermiete in Chisinau für Studierende kostet 120 Euro, die meist von im Ausland arbeitenden Eltern finanziert werden. Pensionisten bekommen zwölf Euro im Monat. Die regionalen und sozialen Unterschiede zwischen Stadt und Land sind enorm. Das ländliche Moldawien mit seinen Lehmhäusern und oberirdischen Gasleitungen erinnert an tiefste Sowjetvergangenheit.

Die Republik Moldau erscheint generell als Überbleibsel des Kalten Krieges: Ein Pufferstaat zwischen Ost und West, politisch und räumlich in sich gespalten, gleichzeitig aus der Not heraus bemüht, in beide Richtungen die Kontakte zu pflegen. Moldawien wirkt mit seinen Problemen immer wieder allein gelassen, fast so, als ob Transnistrien einen Puffer für Ost und West gleichermaßen, eine Komfortzone darstellt, wo im Osten Geschäfte gemacht werden und der Westen eine Barriere hat.

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