Eluana oder die Orientierungslosigkeit

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Im Streit um die Wachkomapatientin kam Berlusconi die katholische Kirche als Verbündete gerade recht, analysiert die "Neue Zürcher Zeitung".

Eluana Englaro ist gestorben, nachdem ihr Schicksal und jenes ihrer Familie ganz Italien während Wochen in ihren Bann gezogen haben. Eluanas Vater hatte vor den Gerichten seiner Tochter das Recht erstritten, nach 17 Jahren im Koma endlich zu sterben. Darf ein Vater seiner Tochter den Tod wünschen? Dürfen die Gerichte den Tod einer Person beschliessen? Dürfen die Ärzte den Tod eines Patienten in die Wege leiten, für den keine Aussicht auf Genesung besteht? Alles schwerwiegende Fragen, … auf die aus achtenswerten Gründen unterschiedliche, ja gegensätzliche Antworten möglich sind.

Diese Fragen sind in den vergangenen Jahren in vielen Ländern diskutiert worden. Vor zwei Jahren hatte in Italien der von Muskelschwund gelähmte Schriftsteller Piergiorgio Welby mit seinem Wunsch, in Würde zu sterben, statt mit Schmerzen weiterzuleben, die öffentliche Meinung beschäftigt. […]

Ritt auf der Gefühlswelle

Als dieser Tage anhand des Schicksals von Eluana die Gefühle und Diskussionen erneut aufwallten, wurde die moralische Frage zum Spielball der Politik. Ministerpräsident Berlusconi erkannte eine Gelegenheit, mit einem Ritt auf den Gefühlswellen der öffentlichen Meinung seine Macht zu stärken und seine Gegner zu schwächen. Wie schon mehrmals zuvor bediente er sich dazu eines Gesetzes ad personam, nur dass dieses diesmal nicht auf den Cavaliere selbst, sondern auf die arme Eluana zugeschnitten war […] Die menschliche Tragödie war damit zur politischen Posse geworden.

Und zur Staatskrise. Denn indem er per Express-Dekret ein endgültiges Urteil des Kassationshofes umzustossen versuchte, stellte der Regierungschef die in der Verfassung verankerte Gewaltentrennung in Frage. Und als Präsident Napolitano seine Unterschrift unter das Dekret verweigerte, ging Berlusconi auf Konfrontationskurs mit dem Staatsoberhaupt, obwohl Napolitano nicht mehr getan hatte, als seine verfassungsmässige Aufgabe wahrzunehmen. Eluanas Tod hat nun den Versuch des Regierungschefs gestoppt, im parlamentarischen Eilverfahren das Gesetz doch noch durchzudrücken […].

Allianz mit der Kirche

Berlusconi hat den Zusammenstoss wohl auch deshalb provoziert, um den wachsenden politischen Einfluss der katholischen Kirche auf seine Mühle zu leiten. Die Kirche hatte mit dem Zerfall der Democrazia Cristiana in Italien einiges an Macht eingebüsst. Die transversale Verteilung katholischer Politiker auf fast alle Parteien der "Zweiten Republik" und die einflussreichen Netzwerke katholischer Laienverbände haben es der Kirche aber erlaubt, wieder zu einem prägenden Faktor in der italienischen Politik zu werden. Die Hintertreibung von Anläufen zur gesetzlichen Anerkennung nichtehelicher Partnerschaften, zur Neuregelung der künstlichen Befruchtung oder zur Einführung von Patientenverfügungen illustriert, dass die Kirche wieder eine Macht ist, mit der die Politik rechnen muss.

Berlusconi stellt sich gern als Verfechter des Liberalismus dar und hat bisher kaum erkennen lassen, dass er seine Politik oder seinen Lebenswandel an christlichen Werten ausrichtet. Doch als Verbündete im Kampf gegen all jene, die seinen Allmachtsphantasien im Weg stehen, könnte Berlusconi die Kirche gut gebrauchen. So treten in den Äusserungen des Cavaliere zu den altgedienten Schlagworten des Antikommunismus nun die Slogans des christlichen Fundamentalismus. Dass diese Verbindung Italien aus der moralischen und politischen Orientierungslosigkeit führen könnte, die sich in der Kontroverse … gezeigt hat, ist nicht wahrscheinlich.

"Neue Zürcher Zeitung", 11. Februar 2009

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