Emigranten revoltieren nicht

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In der Flucht suchen die jungen Moldawier ihr Heil. Wann und ob ihr Land ihnen in die EU nachfolgt, ist ungewiss.

Noch ist Moldau vollauf mit der Bewältigung sowjetischer Altlasten beschäftigt. von michael jandl

Moldawien? Zunächst: Das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine heißt heute eigentlich Republik Moldau. Statistisch gesehen ist es das ärmste Land Europas. Und schon in ein paar Jahren, wenn Rumänien der EU beitritt, wird die Republik Moldau direkt an der EU Außengrenze liegen.

"Wissen Sie, unser Land hat große wirtschaftliche Schwierigkeiten und viele Menschen sind frustriert. Und Emigration ist besser als Revolution, oder?" meint Ion Stavila, Vizeaußenminister der Republik Moldau. "Jene Bürger, die nach Europa ausgewandert sind um dort zu arbeiten, helfen uns sehr. In gewissem Sinne sind sie uns nur vorausgegangen. Die Republik Moldau wird ihnen folgen. Präsident Wladimir Woronin hat die EU-Integration zum prioritären Ziel erklärt".

Willkommene Geldsendung

Die massenhafte Auswanderung aus dem verarmten Land ist zu einem wirtschaftlichen und politischen Faktor in der jungen Republik geworden. Bei einer Gesamtbevölkerung von 4,3 Millionen Einwohnern sind im letzten Jahrzehnt zwischen 600.000 und einer Million Menschen angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage ins Ausland abgewandert, um dort - überwiegend illegal und ohne Arbeitsbewilligung - Geld zu verdienen und nach Hause zu überweisen. Schätzungen zufolge sind die (offiziellen und inoffiziellen) Überweisungen der Moldawier in die Heimat doppelt so hoch wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt des Landes.

Doch der Vizeaußenminister der einzigen kommunistischen Regierungspartei Europas, die sich auch heute noch als "kommunistisch" bezeichnet, hat auch in einem anderen Sinne Recht, wenn er von einer "Hilfe" der Emigranten spricht. Es ist nämlich vorwiegend die junge Generation, die dem Land den Rücken kehrt, wodurch sich die demographische Balance stetig zu Gunsten der Älteren verschiebt. Und die alte Generation stellt die Wählerschaft der kommunistischen Partei, meint Pater Klaus Kniffki, römisch-katholischer Priester aus Schwaben, der eine kleine Gemeinde von Katholiken in Chisinau betreut: "Es gibt eine Nostalgie bei den Alten - früher als noch die Subventionen aus Moskau kamen, sei alles besser gewesen. Bei den Jungen ist vor allem Orientierungslosigkeit und Frustration über die schlechte Wirtschaftslage vorherrschend. Die wollen möglichst schnell weg." Eine verständliche Überlebensstrategie, denn angesichts eines Durchschnittslohns von 45 Euro pro Monat (ein Pensionist bekommt 13 Euro, ein Parlamentarier 120 Euro) erscheint jede Arbeit im Ausland, egal wo und unter welchen Umständen, wie ein Lottogewinn.

Aber die Abwanderung hat nicht nur kurzfristige politische wie ökonomische Konsequenzen, sondern droht auch langfristig zu einem ernsten Entwicklungshindernis zu werden. So sind in den letzten Jahren über 45.000 Lehrer abgewandert, klagt Gheorghe Rusnac, Rektor der staatlichen Universität der Republik Moldau. Und der Abwanderungsdruck hält unvermindert an: Als Bewohner eines einstmals rumänischen Gebietes haben die meisten Moldawier einen Rechtsanspruch auf einen rumänischen Pass. Bereits Anfang 2002 sollen rund 500.000 Moldawier einen rumänischen Pass besessen haben. Seitdem rumänische Staatsbürger in der EU Visumsfreiheit genießen gibt es eine Flut von weiteren Anträgen bei den Behörden in Bukarest. Schätzungen gehen mittlerweile davon aus, dass bereits bis zu zwei Millionen Moldawier einen rumänischen Pass besitzen.

Doch die schlechte Wirtschaftslage und die Abwanderung sind nicht die einzigen Probleme der Republik Moldau. Internationales Interesse besteht vor allem an der Lösung des Konflikts um die selbsternannte "Transnistrische Moldau-Republik" (PMR), einem schmalen Streifen Land östlich des Dnjestr, der von niemandem als Staat anerkannt wird und in dem der Schwarzhandel und die Korruption blühen. Dieses etwa 700.000 Einwohner zählende Gebiet mit starkem russischsprachigem Anteil hatte sich schon im Jahr 1990 für unabhängig erklärt und wird immer noch vom zwielichtigen "Präsidenten" Igor Smirnow beherrscht.

Bürgerkrieg mit Transnistrien

Bereits im Jahre 1992 war es zwischen der PMR und der Republik Moldau zu einem Bürgerkrieg gekommen, der schließlich durch die Intervention der 14. russischen Armee unter General Lebed gestoppt wurde. Seitdem hat sich kaum mehr etwas bewegt, und ein kleiner Teil der 14. Armee steht immer noch in der PMR, obwohl Russland unter Vermittlung der OSZE schon mehrmals den Rückzug zugesagt hat. Zuletzt wurde der Abzugstermin wieder um ein Jahr, bis Ende 2003, verlängert. Nun macht allerdings auch die EU Druck auf die PMR. Vor einigen Wochen wurde Smirnow und sein Kabinett von der EU wegen krimineller Machenschaften mit einem Einreiseverbot belegt, worauf die PMR ihrerseits trotzig mit einem Einreiseverbot für 14 moldauische Politiker, darunter Präsident Woronin, dessen Mutter in der PMR lebt, reagierte.

Russisches Munitionslager

Trotz des Geplänkels sieht die OSZE Fortschritte bei der Umsetzung des von ihr vorgelegten "Föderalisierungsplans" zur Wiedervereinigung des Landes. "Beide Parteien haben Kommissionsmitglieder ernannt, und wir konnten uns auf einen Ort für die Gespräche einigen", meldet Matti Sidoroff, Pressesprecher der OSZE in Chisinau. Mittlerweile schreitet der Abzug der 14. Armee voran, wobei das größte Sicherheitsrisiko der Verbleib der enormen Mengen von Munition aus den Beständen der russischen Armee darstellt. "Von insgesamt 42.000 Tonnen Sprengstoff sind bisher 12.000 Tonnen aus der PMR nach Russland transportiert worden, der Rest entspricht immer noch etwa zwei Mal der Explosionskraft der Hiroshima-Bombe", so Sidoroff. Und das in einer abtrünnigen Republik mitten in Europa.

Der Autor ist Mitarbeiter des International Centre for Migration Policy Development (ICMPD).

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