"Endlich soll Mittelstand profitieren"

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Familienstaatssekretärin Christine Marek (ÖVP) will, dass Besserverdienende, die bisher vielfach "durch den Rost gefallen sind", finanziell gestärkt werden.

Das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld sei ihr "Baby", sagt Familienstaatssekretärin Christine Marek, und es soll auch wieder mehr Mut zum Baby machen, vor allem bei gut qualifizierten Frauen. Wie sie zudem mehr Väter zur Familienarbeit und Unternehmen zu mehr Familienfreundlichkeit motivieren will, erklärt sie im FURCHE-Interview.

Die Furche: Frau Staatssekretärin, ist die Kompetenzaufteilung im Wirtschaftsressort nicht symptomatisch? Sie unterstehen dem Wirtschaftsminister, der die Letztentscheidung trifft …

Christine Marek: Ich habe das selber forciert, dass ich als Staatssekretärin für Familie und Jugend mit diesen Agenden im Wirtschaftsministerium sein kann. Da sind die Synergieeffekte in Bezug auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf optimal. Ich habe in meiner Beauftragung stehen, dass ich für sämtliche Agenden der Familie verantwortlich und zuständig bin. Klar liegt die Letztentscheidung beim Minister, aber ich gehe davon aus, dass er mir vertraut und meinen Empfehlungen folgen wird. Es ist schon etwas, dass in der Bundesregierung, im ÖVP-Team, ein Regierungsmitglied zur Gänze diesen Bereich betreut. Das hat durchaus eine gute Symbolwirkung.

Die Furche: Es hat auch eine andere, die ich eben formulieren wollte: Der Minister ist für den Gesamtbereich zuständig, für Familie eine Frau, so wie es auch in den Familien selbst noch oft der Fall ist.

Marek: Diese Aufteilung ist rein zufällig. Ich bin ursprünglich wegen der Familienpolitik in die Politik gegangen. Ich arbeite massiv daran, diese Rollenklischees aufzubrechen. Ich glaube, es wird sicher für einige noch so manche Überraschungen geben, auch für die ÖVP überraschend.

Die Furche: Welche Überraschungen?

Marek: Da ist nichts, was völlig neu ist. Aber allein die Tatsache des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgelds - da haben sich Quantensprünge bei uns getan. Das ist mein "Baby". Auch dass wir offensiv über Möglichkeiten und Modelle für mehr Väterbeteiligung diskutieren, ist ein großer Fortschritt, da war der Bewegungsspielraum innerhalb der Partei bisher sehr eingeschränkt. Zudem ist es ein Ur-ÖVP-Thema, dass man sagt: Wir kümmern uns um den Mittelstand, um die, die auch die Leistungsträger sind. Diese werden genau durch das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld angesprochen.

Die Furche: Auch die steuerlichen Begünstigungen für Familien, die im Zuge der Steuerreform beschlossen werden sollen, kommen ja mehr denjenigen zu Gute, die besser verdienen bzw. die überhaupt Steuern bezahlen. Das wird etwa von den Grünen kritisiert. Sie sagen also, dass sei klar beabsichtigt.

Marek: Ja, genau. Und an die Adresse all derjenigen, die das sagen: Das ist Klassenkampf in Reinform! Von den 500 Millionen Euro, die wir hier aufwenden, ist genau ein Drittel eine Transferleistung, die alle völlig unabhängig vom Einkommen erhalten: der Kinderabsetzbetrag, der erhöht wird. Wenn wir uns anschauen, was an Familienleistungen bisher eingeführt oder verbessert wurde, dann ist das so gut wie immer für die Geringverdienenden bzw. vom Einkommen unabhängig (Transferleistungen) gewesen. Jetzt war es an der Zeit, sich um die zu kümmern, die immer durch den Rost gefallen sind, die überall volle Beiträge zahlen; und man muss nicht viel verdienen und bekommt schon keine Förderungen mehr bei der Schülerfreifahrt oder bei den sozialen Staffelungen im Kindergarten. Kosten für Kinderbetreuung beispielsweise können jene künftig absetzen. Und wir wissen, dass gerade gut qualifizierte Frauen immer weniger Kinder bekommen. Da sind wir beim großen Thema: Mut zum Kind.

Die Furche: Das einkommensabhängige Kindergeld hat also auch das Motiv, die Geburtenrate bei Besserqualifizierten zu heben?

Marek: Ja, sicher. Für mich ist das logisch: Wenn eine Frau weiß, dass sie nach dem Wiedereinstieg einen qualitativ schlechteren Job annehmen muss, dann überlegt sie es sich dreimal, ob sie es sich zutraut, ein Kind zu bekommen. Wenn ich aber weiß, ich beziehe dann 80 Prozent des letzten Nettoeinkommens für ein Jahr, und es gibt qualitativ gute Kinderbetreuung, sei es in einer Krippe oder bei Tageseltern, dann kann das die Entscheidung zum Kind erleichtern.

Die Furche: Bei den Betreuungsplätzen für Einjährige hapert es aber noch, vor allem im ländlichen Bereich.

Marek: Da sind wir aber dran. Da ist substanziell etwas passiert und wir bauen weiter. Wir haben im Regierungsprogramm den Ausbau des flächendeckenden Angebots an Kinderbetreuungsplätzen gerade bei den bis zu Dreijährigen verankert. Durch das vereinbarte kostenlose Kindergartenjahr werden zudem weitere Mittel in manchen Bundesländern frei, die für den Ausbau weiterer Kinderbetreuungsplätze verwendet werden. Mein Ziel ist, dass das verpflichtende Kindergartenjahr im kommenden Herbst Realität wird.

Die Furche: Beim verpflichtenden letzten Kindergartenjahr, das halbtags gratis sein soll, beginnen nun die Verhandlungen mit den Ländern, die ja für Kindergärten zuständig sind. Da wird es sich wohl bei der Finanzierung spießen.

Marek: Wir haben im Rahmen des Konjunkturpakets II für 2009 und 2010 je 70 Millionen Euro budgetiert. Das wird sich ausgehen. In manchen Bundesländern gibt es schon jetzt kostengünstige Elternbeiträge und Gratisangebote, nur Wien ist negativer Ausreißer.

Die Furche: Sie erwarten also bei der Umsetzung des verpflichtenden Kindergartenjahres in Wien die größten Probleme.

Marek: Ja, weil Wien mit 87 Prozent der Betreuungsquote bei Fünfjährigen die niedrigste Quote aufweist und bauliche Maßnahmen wird setzen müssen.

Die Furche: Wird sich dann die beabsichtigte Realisierung im kommenden Herbst überhaupt ausgehen?

Marek: Ich könnte mir für Wien einen Stufenplan vorstellen. Aber ich muss erst Gespräche mit den zuständigen Landesregierungsmitgliedern führen. Ich sehe das pragmatisch. Wir haben neun unterschiedliche Systeme, da muss man manchmal kreativ sein bei den Lösungen. Manchmal braucht man einfach drei Schritte, um ans Ziel zu kommen.

Die Furche: Kreativ müssen Sie vermutlich auch bei der Finanzierung der angekündigten Väterbeteiligung und des einkommensabhängigen Kindergeldes sein (Details siehe unten). Im Regierungsprogramm sind die Maßnahmen mit einem Budgetvorbehalt gekennzeichnet.

Marek: Dafür wird Budget vorhanden sein. Da haben Barbara Prammer und ich beinhart verhandelt. Zudem wollen wir uns anschauen, wo es Möglichkeiten im System gibt, Doppelgleisigkeiten auszuräumen. Da haben wir einiges an Potenzial entdeckt.

Die Furche: Zum Beispiel?

Marek: Das möchte ich jetzt noch nicht sagen. Das sind noch ungelegte Eier. Klar ist, es gibt Potenzial, aber ohne Einschränkungen für die Familien.

Die Furche: Nicht nur die Finanzierung dürfte schwierig werden, überhaupt das gesamte Kinderbetreuungsgeld-Modell gilt als extrem kompliziert, vor allem die Zuverdienstgrenze und der Zuschuss. Darüber wird auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bis Sommer entscheiden.

Marek: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, das Ganze zu durchforsten und einfacher zu gestalten. Was den Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld betrifft - er wird übrigens immer mehr beantragt - glaube ich, dass man die Systematik des Zuschusses sehr kritisch hinterfragen muss. Das werden wir aber im Gesamtkontext zur Novelle zum Kinderbetreuungsgeld diskutieren.

Die Furche: Es soll ja mit der geplanten Novelle des Kindergeldes zwei Möglichkeiten zur Zuverdienstgrenze geben, eine Arbeitszeitreduktion und eine Zuverdienstgrenze, die sich am bisherigen Einkommen orientiert. Was ist, wenn der VfGH diese Grenze überhaupt kippt?

Marek: Das kann ich nicht sagen. Es gibt viele Möglichkeiten, wie der Verfassungsgerichtshof entscheiden könnte. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass er jegliche Zuverdienstgrenze ablehnt. Das würde ja bedeuten, dass wir jeden Lenkungseffekt zu mehr Väterbeteiligung vergessen könnten. Warum sollte ein Vater Zeit für die Familie aufwenden, wenn er das Geld auch bekommt, wenn er arbeitet.

Die Furche: Vielleicht oder hoffentlich, weil es die Väter wollen …

Marek: Wir wissen alle, dass das leider so nicht funktioniert, dass dann auch der Druck von Arbeitgeberseite größer wäre. Überhaupt in einer Phase wie jetzt, wo der Druck auf Unternehmen und Arbeitnehmer steigt.

Die Furche: Befürchten Sie, dass in Zeiten der Finanzkrise das Thema Vereinbarkeit wieder einen Rückschlag erleiden könnte?

Marek: Das kann sein. Es ist jetzt schon der Fall, dass das Verständnis von Seiten der Unternehmen aufgrund des wirtschaftlichen Drucks nur bedingt vorhanden ist. Es ist auch nicht sinnvoll zu raten: Du, Arbeitnehmer, hast ein Recht darauf, darum poche darauf. Sinnvoller ist es aufzuzeigen - und das werden wir auch tun -, dass gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten eine familienfreundliche Unternehmensführung auch den Arbeitgebern etwas bringt.

Die Furche: Wie wollen Sie Unternehmen überzeugen?

Marek: Indem wir ihnen Zahlen präsentieren. Wir haben eine Studie durchgeführt, die klar belegt, dass es sich auszahlt. Familienfreundliche Unternehmen haben weniger als die Hälfte an Krankenstandstagen im Vergleich zum Österreich-Durchschnitt (5,9 zu 12 Tage). Da geht es um wirklich viel Geld. Zudem ist die Fluktuation deutlich niedriger und die Rückkehrquote nach der Karenz höher. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zählen diese Aspekte umso mehr.

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