Energie mit 130 Milliarden belasten

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Über Öko-Steuern wird seit langem geredet, nun stellen die Grünen ein Projekt der Energiebesteuerung vor. Ein Profilierungsversuch in einem Vorwahljahr?

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Über Öko-Steuern wird seit langem geredet, nun stellen die Grünen ein Projekt der Energiebesteuerung vor. Ein Profilierungsversuch in einem Vorwahljahr?

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dieFurche: In letzter Zeit hat man wenig von den Grünen gehört. Etwas boshaft könnte man sagen, sie hätten wieder einmal ihre Identität gesucht ...

Alexander Van der Bellen: Das sehe ich eigentlich nicht so. In erster Linie war für uns die niederösterreichische Landtagswahl wichtig. Viele von uns haben sich engagiert, was sehr viel Zeit in Anspruch genommen hat. Verglichen damit war die Bundespräsidentenwahl von sekundärer Bedeutung. Denn daß der amtierende Bundespräsident wiedergewählt werden würde, das war von Anfang an klar. Bei den niederösterreichischen Wahlen ist es uns unter widrigen Umständen gelungen, die Sache recht gut über die Bühne zu bringen.

dieFurche: 1999 wird ein großes Wahljahr: vier Landtage, Europa- und Nationalratswahlen. Bei den Grünen ist es oft schwierig zu erkennen, wo sie stehen. Was wollen Sie 1999 transportieren?

Van der Bellen: Wenn man sich fragt, was die Grünen im allgemeinen repräsentieren, ist es im Prinzip einfach. Da ist zunächst der ökologische Schwerpunkt; kompliziert ist dabei nur die Frage, woran man das 1999 aufhängt. Dann die Sozialpolitik: die Rücksichtnahme auf alle, die der Kapitalismus an den Rand drängt, also alles, was man im weitesten Sinn unter Sozialpolitik zusammenfassen kann - bis hin zur Frauenemanzipation. Und drittens: die Opposition gegen den NATO-Beitritt Österreichs. Zu diesen drei Schwerpunkten passen auch die Kampagnen-Schwerpunkte 1998 : die große Steuerreform, die wir am 29. Mai einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen; die NATO-Geschichte läuft sowieso alle 14 Tage; und in der Sozialpolitik werden wir im Herbst unser Konzept einer Grundsicherung vorstellen. Offen gesagt, ich habe noch nie einen Wahlkampf konzipiert. Gott sei Dank bin ich dafür nicht allein verantwortlich. Der Wahlkampf wird aber sicher nicht mit Themen allein entschieden, sondern er wird mehr oder weniger amerikanisiert, auf bestimmte Personen zugeschnitten sein.

dieFurche: Bedauern Sie, daß dies so ist?

Van der Bellen: Sicher ist man skeptisch. Ein Wahlkampf als Waschmittelreklame kann nicht zufriedenstellen. Aber das ist der Trend der letzten 20 Jahre.

dieFurche: Das Steuerpaket, von dem Sie sprachen, ist aber ein inhaltlicher Akzent, den Sie hervorkehren wollen.

Van der Bellen: Ja. Es gibt mehrere Motivationsstränge. Bei der Klimakonferenz in Kyoto haben sich die Staaten - zumindest plakativ - verpflichtet, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Aber es passiert nicht allzu viel. Wir glauben, daß da auf nationaler Ebene noch ein Spielraum ist. Das ist der ökologische Zugang zum Steuerreformpaket. Dann gibt es einen vom Arbeitsmarkt her: Die Probleme dort sind nicht mit einem Patentrezept zu lösen. Wenn man aber an einem Dutzend Rädchen dreht, wird sich vielleicht etwas zum Besseren wenden. Eines dieser Rädchen könnten die Lohnkosten sein. Da stellt sich die Frage: Wie können die Lohnkosten wenigstens etwas gesenkt werden, ohne daß man die Löhne senkt? Da gibt es eine klare Lösung: Die Schere zwischen dem, was der Arbeitnehmer bekommt, und dem, was es den Arbeitnehmer kostet, muß verringert werden. Die Schere besteht aus Lohnsummensteuern und Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung. In Österreich bieten sich die Lohnsummensteuern als erstes an. Hier weicht Österreich von den übrigen EU-Ländern total ab. Unser Reformpaket betrifft auf der Wirtschaftsseite einen Betrag von 50 Milliarden an Umschichtung (Erhöhung der Energiebesteuerung und Senkung der Lohnsummensteuer). Wird die Energieseite so massiv belastet, muß man auf der Haushaltsseite kompensieren, schon um nicht eine "5-D-Mark-Debatte" umgehängt zu bekommen. (Anm. d. Red.: Im grünen Parteiprogramm in Deutschland ist auch die Forderung nach einem Benzinpreis von 5 DM pro Liter enthalten.)

dieFurche: Was meinen Sie damit?

Van der Bellen: Man muß in jedem zweiten Halbsatz erwähnen, daß höhere Energiesteuern zwar höhere Preise bedeuten, aber die Haushalte diese Belastung eins zu eins zurückbekommen.

dieFurche: In welcher Form?

Van der Bellen: Es bietet sich ein Absetzbetrag in der Lohn- und Einkommenssteuer an. Die Idee ist, auf der Kompensationsseite pro Person und Jahr 10.000 Schilling einzuheben und rückzuvergüten. Da muß einer schon ziemlich energieintensiv leben, damit er mehr zahlt, als er bekommt. Im Prinzip werden Personen, die zusammenleben, Familien, tendenziell begünstigt.

dieFurche: Wo würden Sie konkret Steuern streichen?

Van der Bellen: Das ist Verhandlungsgegenstand und von sekundärer Bedeutung. Vom Volumen her wäre es möglich, den Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds zu streichen. Genauso möglich wäre es, die Kommunalabgabe zu streichen. In jedem Fall wird es eine Lobby geben, die dagegen ist.

dieFurche: Welche Beschäftigungseffekte erwarten Sie?

Van der Bellen: Ich möchte nicht so tun, als wüßten wir genau, welche Effekte eintreten werden. Das weiß niemand genau. Eine Wifo-Studie von 1995 kommt auf eine Größenordnung der positiven Effekte von 20.000 bis 70.000 zusätzlichen Beschäftigten. Ich bin schon sehr zufrieden, wenn die einschlägigen Studien daraufhindeuten, daß die Arbeitsmarkteffekte positiv sind. Vor allem werden Gewerbe, Banken und Versicherungen zu den Gewinnern zählen, die Grundstoffindustrien werden belastet.

dieFurche: Ist ein Alleingang in der EU möglich?

Van der Bellen: Ich sehe keinen Grund, der das verhindern sollte. Schon jetzt sind die Energiekosten nicht identisch. Etwas polemisch gesagt: In den letzten Jahrzehnten hatte die Sowjetunion sehr niedrige, Japan sehr hohe Energiekosten. Welches Land hat industriell besser abgeschnitten? Die Energiekosten allein sind nicht wettbewerbsentscheidend.

dieFurche: Und der Benzinpreis?

Van der Bellen: Da soll sich nichts ändern. Das Thema Mineralölsteuer ist in Österreich ausgereizt. Dennoch kann man den Verkehr nicht einfach außer acht lassen. Er hat den größten Anteil und Zuwachsraten an CO2-Emissionen. Letztere müssen eingedämmt werden. Wir schlagen eine Kilometerabgabe vor. Das heißt nicht, das Autofahren zu verbieten.

dieFurche: Thema Grundsicherung. Die Liberalen haben es stark forciert. Welche Vorzüge hat Ihr Modell?

Van der Bellen: Die Grünen haben dieses Anliegen schon länger, seit 1989, im Programm. Zu meiner neidvollen Verblüffung ist es den Liberalen gelungen, dieses Thema zu besetzen, ohne vorzulegen, wie sie sich das im Detail vorstellen. Ich möchte unserer Arbeitsgruppe unter Karl Öllinger nicht vorgreifen. Grundsicherungsmodelle für das Alter - besonders für Frauen - und die Kindheit sind leicht zu konzipieren. Die Schwierigkeiten treten beim Erwerbsalter auf. Ich hoffe, daß wir bis zum Herbst etwas Pragmatisches und Finanzierbares vorlegen können.

dieFurche: Wie beurteilen Sie die Gesprächssituation unter den Parteien in diesen Fragen?

Van der Bellen: Bei der Steuerreform ist die Situation - nimmt man die öffentlichen Äußerungen ernst - wieder einmal reif für eine Entscheidung. Der Finanzminister hat sich festgelegt, daß die Ökologisierung im Rahmen der kommenden Steuerreform eine Rolle spielen wird. Das heißt nicht, daß sie sich unserem 130 Milliarden-Programm (50 im Bereich der Wirtschaft, 80 bei den Haushalten) anschließen. Aber auch schon ein Drittel wäre sehr schön. Bei der Grundsicherung aber sind die Bedenken bei SPÖ und ÖVP - die ich zum Teil nachvollziehen kann - viel größer.

Das Gespräch führten Christof Gaspari und Rudolf Mitlöhner.

Zur Person Der Wirtschaftsprofessor als grüner Hoffnungsträger Auch wenn er nun schon seit geraumer Zeit in der Politik ist, so sieht man dem 1944 in Wien geborenen und in Tirol aufgewachsenen Alexander Van der Bellen nach wie vor mehr den Wirtschaftswissenschafter als den Politiker an. Die Grünen haben sich mit Van der Bellen Wirtschaftskompetenz und Seriosität geholt - zwei Punkte also, die bei Kritikern und kritischen Sympathisanten traditionell als Schwachstellen der Grünen gelten. Daß die oft sich in Richtungskämpfen ergehende Partei ausgerechnet den als integrativ wirkend und kompromißfähig geltenden Van der Bellen zum Nachfolger des glücklosen Christoph Chorherr an ihre Spitze wählte, ist jedenfalls ein Signal. Wie es beim Wähler angekommen ist, wird das Wahljahr 1999 weisen. Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Wien und zweifache Familienvater ist im übrigen gewiß einer von der Sorte, für die es auch ein Leben nach der Politik gibt.

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