"Entführungen ließen das Fass überlaufen"

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Ofer Neiman, Aktivist der israelischen Friedensbewegung "Yesh Gvul" - "Es gibt eine Grenze!"

Die Furche: Herr Neiman, wie groß ist das Interesse am Schicksal der drei gefangenen Soldaten in der israelischen Öffentlichkeit?

Ofer Neiman: Das Interesse für diese Männer ist in Israel sehr, sehr groß. Eine landesweite Plakatkampagne zeigt Fotos der Gefangenen, unter anderem an allen Bushaltestellen, und der Slogan "Bringt die Söhne heim!" ist in aller Munde.

Die Furche: Diese Aufforderung richtet sich ja vor allem an die israelische Regierung; und die hat im vergangenen Sommer zwei Kriege für die Heimholung der drei Gefangenen geführt - war dieser unverhältnismäßige Gegenschlag für die meisten Israelis gerechtfertigt?

Neiman: Viele Israelis denken: Wir sind aus dem Libanon abgezogen, trotzdem sind die Angriffe der Hisbollah weitergegangen - die Entführung der zwei Soldaten hat das Fass zum Überlaufen gebracht. In der Art: Jetzt ist es genug, jetzt ist es Zeit, dass wir mit starker Hand zurückschlagen.

Die Furche: Gilt das auch für die Offensive in Gaza, mit der die israelische Armee auf die Verschleppung von Gilad Shalit im Juni reagierte?

Neiman: Ja, über Gaza denken die meisten Israelis ähnlich - auch hier haben die palästinensischen Provokationen durch die dauernden Raketenangriffe mit der Entführung Shalits einen Höhepunkt erreicht. Das hängt auch damit zusammen, dass der Mythos "Wir gehen raus aus Gaza!" auf israelischer Seite weithin akzeptiert wird - auch wenn die Fakten zeigen, dass die israelische Besetzung des Gaza-Streifens 2005 nur ihre Form geändert hat.

Die Furche: Wenn in Israel über diese drei Gefangenen gesprochen wird - spielt dann auch das Schicksal der tausenden palästinensischen Gefangenen eine Rolle?

Neiman: Für gewöhnlich nicht. Palästinensische Gefangene gelten in Israel gemeinhin als "Terroristen" - es wird nur wenig Augenmerk darauf verwendet, dass viele davon keine Terroristen sind und somit ihrer fundamentalen Rechte beraubt werden.

Die Furche: Wo ziehen Sie die Linie zwischen palästinensischer Terrorist und Nicht-Terrorist?

Neiman: Wer Zivilisten angreift, begeht einen terroristischen Akt - wer hingegen im Kampf gegen die israelische Armee oder in Ausübung politischer Funktionen gefangen genommen wird, ist ein Kriegs-bzw. politischer Gefangener und soll auch dementsprechend behandelt werden.

Die Furche: Wie sieht es auf israelischer Seite mit der Verfolgung von Kriegsverbrechern aus?

Neiman: Unsere moralische Position ist in dieser Frage sehr weich bzw. angreifbar, weil jene israelischen Soldaten, die Kriegsverbrechen begangen haben, vor kein Gericht gestellt werden.

Die Furche: Denken Sie, die drei Gefangenen sind Opfer einer falschen israelischen Politik?

Neiman: Zuerst bin ich, so wie alle Israelis, in Sorge um diese drei Soldaten. Sie werden wahrscheinlich in schlechten Bedingungen gefangen gehalten und haben auch keinen Zugang zum Roten Kreuz - was ihnen von Rechts wegen zusteht. Generell sind aber alle Toten, Verwundeten, Gefangenen seit 2000 Opfer einer israelischen Politik, die moralisch falsch und sehr gefährlich für Israel ist: zum einen setzen wir unsere Besetzungspolitik fort, zum anderen verweigern wir umfassende direkte Verhandlungen - sogar die saudische Initiative wurde von unserer Regierung abgelehnt.

Die Furche: Und die Hamas-, Fatah-, Hisbollah-Politik?

Neiman: All das, was ich gesagt habe, bedeutet nicht, dass unsere Nachbarn alles Heilige sind, oder dass irgendein militärischer Angriff gegen Israel gerechtfertigt ist; meine Organisation "Yesh Gvul" verdammt generell jedes Kriegsverbrechen - gleich von welcher Seite es begangen wird.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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