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Entschlub mit Konsequenzen

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Der vollen Mitgliedschaft Österreichs bei der EWG, einer Organisation mit supranationalen Mechanismen, die die Souveränität und Handlungsfreiheit der Mitglieder in wesentlichen Punkten einschränken, stehen zwingende politische Uber-legungen entgegen. Österreichs Volksvertretung beschloß am 26. Oktober 1955 in Form eines Verfassungsgesetzes die immerwährende Neutralität des Landes. Ziel dieses freiwilligen Entschlusses, der in richtiger Einschätzung der internationalen Position und der künftigen Aufgaben Österreichs getroffen wurde, war die Wahrung der Unabhängigkeit des Landes und die Sicherung der nationalen Existenz des österreichischen Volkes.

Der Status der immerwährenden Neutralität verpflichtet ein Land bereits in Friedenszeiten zu bestimmten Verhaltensweisen, die unter dem Begriff der Neutralitätspolitik zusammengefaßt werden können: Der immerwährend Neutrale unterläßt alles, was die Erhaltung der Neutralität im Konfliktsfalle gefährden müßte, und er tut alles, was ihrer Sicherung dient. Denn das wesentliche Kriterium der immerwährenden Neutralität ist ihre Berechenbarkeit, das heißt das internationale Vertrauen in Willen und Fähigkeit des Neutralen, im Konfliktfalle tatsächlich neutral zu bleiben und die Bestimmungen des Neutralitätsrechtes einhalten zu wollen und zu können.

Polemische Diskussionen über den Charakter der österreichischen Neutralität, in welchen eine „militärische“ Neutralität einem „wirtschaftlichen“ oder „ideologischen“ Neutralismus gegenübergestellt wird, gehen daher auch an dem Problem vorbei. Für den immerwährend Neutralen gilt es, seine Ent-scheidungs- und Handlungsfreiheit in allen Bereichen staatlicher Willensbildung zu wahren, auch in den Bereichen seiner Wirtschafts- und Handelspolitik. Es geht nicht um eine wirtschaftliche Neutralität, sondern es geht um die Wahrung der wirtschaftspolitischen Entscheidungsfreiheit.

Diese Interpretation der immerwährenden Neutralität wurde von der österreichischen Bundesregierung übrigens auch einhellig dadurch bestätigt, daß die Regierung einen Beitritt Österreichs zur europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die ja keinesfalls eine militärische Bündnisorganisation ist oder militärpolitischen Zwecken dient, trotzdem als unvereinbar mit der österreichischen Neutralität betrachtet und die weiter den Abschluß eines an sich rein wirtschaftlichen Vertrages zwischen Österreich und der EWG von der Erfüllung bestimmter Neutralitätserfordernisse abhängig macht; diese Erfordernisse werden in der Regierungserklärung Bundeskanzlers Klaus vom April des vergangenen Jahres ausdrücklich aufgezählt.

Die Neutralitätserfordernisse sind die aus der immerwährenden Neutralität Österreichs erfließenden konkreten Bedingungen, die der Wahrung der wirtschaftspolitischen Ent-scheidungs- und Handlungsfreiheit Österreichs für den Fall einer dauerhaften institutionellen Verbindung mit der EWG dienen. Sie sind daher auch keine bloß formalrechtlichen, abstrakten Konstruktionen, die zum Zwecke einer rechtlichen oder gar politischen „Abdeckung“ gedacht sind, sondern sie sollen und müssen mit politischer Wirklichkeit erfüllt werden.

Vorsicht, Zielbewußtsein, Standfestigkeit

Die vorerwähnte Regierungserklärung vom April 1964 erwähnt vier Neutralitätserfordernisse, die in einem wirtschaftlichen Arrangement zwischen Österreich und der EWG zu erfüllen wären:

• Die Wahrung der handelspolitischen Vertragshoheit Österreichs; Österreich muß auch in Zukunft seine handelspolitischen Beziehungen zu dritten Staaten, das heißt Staaten, die nicht der EWG angehören, autonom bestimmen und gestalten können; ansonsten wäre es schwierig, die Fortsetzung einer von Einflüssen — auch politischen Einflüssen — anderer Staaten unabhängigen österreichischen Außenhandelspolitik glaubhaft zu machen.

• Das Recht auf Kündigung des Vertragsverhältnisses zwischen Österreich und der EWG im Falle internationaler Konflikte.

• Die Schaffung gemeinsamer Institutionen, die der völkerrechtlichen Lage Österreichs entsprechen; die Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Vertragsverhältnisses zwischen Österreich und der EWG darf nur unter jeweils ausdrücklicher Zustimmung Österreichs erfolgen; Österreich dürfen keine neuen Verpflichtungen ohne seine autonome Zustimmung auferlegt werden.

• Die Sicherstellung einer gewissen autonomen kriegswirtschaftlichen Versorgungsbasis.

Angesichts der eklatanten machtmäßigen Ungleichgewichtigkeit zwischen Österreich und der EWG werden Österreichs Unterhändler in Brüssel bei der Festlegung der konkreten Vertragsbestimmungen allergrößte Vorsicht, Zielbewußtsein und Standhaftigkeit aufwenden müssen, um den Grundsatz der Erhaltung der österreichischen Entscheidungsfreiheit nicht nur formalrechtlich, sondern auch materiell zu wahren.

Es mag in diesem Zusammenhange noch eine andere Frage erwähnt werden — die Beibehaltung der Mitgliedschaft Österreichs in der EFTA. Die Ausfuhren Österreichs in die Partnerländer der europäischen Freihandelsassoziation haben sich seit deren Gründung im Jahre 1959 bis 1964 um 138 Prozent erhöht; dadurch stieg der Anteil der EFTA-Länder an Österreichs Gesamtexporten von zirka 10 Prozent im Jahre 1959 auf fast 20 Prozent im Jahre 1964. Die Bedeutung dieses quantitativen Erfolges wird noch erhöht, wenn man die qualitative Zusammensetzung der in die EFTA ausgeführten Waren berücksichtigt. Denn die österreichischen Exporte nach der EFTA setzen sich zu einem wesentlich höheren Grad aus hochwertigen, arbeitsintensiven Fertigwaren zusammen als die österreichischen Ausfuhren in die EWG. Die, vielen überraschend kommende, Exportentwicklung gegenüber dem EFTA-Raum hat nicht nur der österreichischen Exportwirtsohaft namhafte Erfolge und Gewinne gebracht, sondern sie hat auch die von österreichischen Wirtschaftstheoretikern und Wirtschaftspolitikern einhellig beklagte einseitige regionale Exportorientierung Österreichs auf bestimmte wenige Märkte — die innerhalb des EWG-Raumes liegen — gemildert. Und die breite, möglichst universelle Streuung des Warenaustausches ist für den neutralen Kleinstaat nicht nur ein Gebot der Wirtschaftspolitik; eine breite Streuung der wirtschaftlichen Beziehungen ist für ihn auch im Sinne möglichst großer Bewegungsfreiheit, möglichst vieler Alternativen und möglichst geringer, auch wirtschaftlicher Abhängigkeiten politisch äußerst wünschenswert, ja erforderlich.

Ein Austritt Österreichs aus der EFTA, der die wertvollen Ausfuhren auf die reichen und aufnahmsfähi-gen EFTA-Märkte gefährden müßte, wäre damit letztlich auch vom politischen Standpunkt aus gesehen sehr bedauerlich. Die österreichische Regierung hat daher den dringenden Wunsch zum Ausdruck gebracht, die EFTA-Mitgliedschaft auch für den Fall eines engeren Arrangements mit der EWG aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus müßte ein europäischer „Lagerwechsel“ Österreichs im Zusammenhang mit einer Verbindung mit Brüssel auch von der politischen Optik her belastend sein.

Österreichs Anstrengungen, mit Brüssel zu einer für beide Seiten befriedigenden und tragbaren wirtschaftlichen Vereinbarung zu kommen, müssen auch im Zusammenhang mit der allgemeinen europäischen Situation gesehen werden. Ein kurzer Blick auf ihre jüngste Entwicklung ist daher angebracht.

Als die österreichische Bundesregierung Ende 1961 ihr Assoziierungsgesuch an die EWG richtete, und als Österreichs Außenminister Dr. Kreisky im Sommer 1962 dieses Gesuch in einer Erklärung vor dem Ministerrat der EWG präzisierte, glaubte man die EWG auf dem Weg zu einer umfassenden, durch den Beitritt Großbritanniens machtpolitisch ausgewogenen europäischen Gemeinschaft, die weltoffen und liberal ihre Wirtschaftsbeziehungen mit der Welt gestalten und in lok-kerer Assoziierungsform auch die drei europäischen Neutralen Österreich, die Schweiz und Schweden umschließen würde.

Das Veto General de Gaulles vom Jänner 1963 gegen den Beitritt Großbritanniens zerschlug, wenigstens vorderhand, diese Hoffnung. Es zerschlug aber noch mehr und stürzte die EWG in eine politische und wirtschaftliche Orientierungskrise, deren Ende und Ausgang noch nicht abzusehen sind. Auf wirtschaftlicher Ebene stehen heute in der EWG die Vertreter einer welt-wirtschaftl ich-1 iberalen Orientierung jenen gegenüber, die einer wirtschaftlichen Exklusivität das Wort reden und die dem inneren wirtschaftlichen Integrationseffekt — oft aus politischen Motiven — den absoluten Vorrang einräumen. Auf politischer Ebene wurde das Streben Frankreichs nach einer Hegemoniestellung im freien Teil des europäischen Kontinents unübersehbar; gleichzeitig unternahm und unternimmt Frankreich alles, um die Idee der Supranationalität, die im Rom-Vertrag Niederschlag gefunden hatte, zurückzudrängen.

Dies mag auf den allerersten Blick als Vorteil für den Neutralen scheinen, der ohnehin von einer Teilnahme an supranationalen Konstruktionen ausgeschlossen ist. Es bleibt aber die Frage, ob für einen Neutralen eine Verbindung mit Staatengruppierungen, die unter dem Gesetz klassischer machtpolitischer Bestrebungen und Auseinandersetzungen stehen, weniger problematisch ist. Und es will fast scheinen, als wäre eine entsprechende Verbindung Neutraler mit Gruppierungen von Staaten leichter, bei denen der an sich wohl immer vorhandene Druck seitens der größeren und stärkeren Partner in supranationalen Mechanismen aufgefangen und in einen im Wesen demokratischen Prozeß der Willensbildung kanalisiert wird. Für diese Ansicht spricht auch das nachdrückliche Eintreten gerade der kleinen EWG-Staaten, nämlich der Beneluxländer, für supranationale Konstruktionen, die diese Länder als Garantie gegen allfällige Machtbestrebungen der großen Partner betrachten.

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