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Entstaatlichung von Staatskirchen

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In Europa lassen sich gegenwärtig drei Grundtypen des Verhältnisses von Staat und Kirche unterscheiden.

Im ersten Grundtyp sind die alten Staatskirchen erhalten geblieben. Dazu gehören die Systeme in England, in den skandinavischen Staaten sowie in Griechenland. Charakteristisch für sie ist, daß die Bevorrechtung der Staatskirchen mit einer ausgeprägten staatlichen Entscheidungsgewalt in kirchlichen Angelegenheiten verbunden ist. Andere Beligionsgemein-schaften können sich meist nur als privatrechtliche Vereinigungen organisieren. In einigen Fällen ist allerdings für die staatsrechtlich gültige Setzung einzelner Rechtsakte - so in England für Trauungen - eine staatliche Registrierung vorgesehen.

Als zweites Modell ist das System einer „Trennung von Staat und Kirche" im engeren Sinne zu erwähnen. Der „Kampfbegriff" Trennung war mit einer Reihe von historischen Modellen des Verhältnisses von Staat und Kirche verknüpft, die in Europa auf einem ursprünglich gegen Religion und Kirche gerichteten Konzept beruhten. In diesem wurde die Privatisierung der religiösen Sphäre mit einer Ausblendung religiöser Interessen in der staatlichen Gesetzgebung verbunden. Die rechtsstaatliche Un-durchführbarkeit des klassischen Trennungskonzeptes hat schließlich zu einer stark abgeschwächten Variante geführt, die gegenwärtig vor allem in Frankreich, in frankophonen Schweizer Kantonen, in den Niederlanden und weitgehend in Irland verwirklicht ist.

Ein weiteres Modell der Trennung von Staat und Kirche besteht - allerdings auf anderen historischen Grundlagen als in Europa beruhend -in den USA. Bei der Bestimmung staatlicher Kompetenzen kam es zur Trennung von Staat und Kirche als Sicherung bestehender Freiräume in den einzelnen Bundesstaaten, die durch die Erfahrung der europäischen Immigranten mit religiöser Intoleranz bestimmt waren. Einerseits blieb das öffentliche Leben in den USA voll von religiösen Bezügen - andererseits treibt die amerikanische Judikatur oft seltsame Blüten, wenn es darum geht, die Verwicklung von Staat und Kirche zu vermeiden. Trotz des Trennungssystems sehen manche Staaten steuerliche Begünstigungen für Einrichtungen mit religiöser Ausrichtung vor. Diese Qualifikation wird vor allem in den USA großzügig zuerkannt, sodaß eine Vielzahl von Gemeinschaften in den Genuß von entsprechenden Abgabenbegünstigungen kommt.

Der dritte Grundtyp ist durch die Anerkennung von Religionsgemeinschaften nach allgemeinen Kriterien charakterisiert. In diesem System wurde die religiöse Neutralität nicht durch die Privatisierung religiöser Aktivität verwirklicht, sondern durch paritätische Rehandlung „anerkannter" Gemeinschaften. Im Regelfall ist damit die Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verbunden.

Dieses System findet sich neben den deutschsprachigen Ländern in Italien, Spanien, Belgien und Luxemburg, bedingt in Portugal. Typischerweise schließen diese Staaten hinsichtlich der Rechtsstellung der Katholischen Kirche Konkordate mit dem Heiligen Stuhl; in Deutschland, Italien und Spanien wird darüber hinaus durch den Abschluß von öffentlich-rechtlichen Verträgen auch mit anderen Religionsgemeinschaften der paritätische Charakter des Systems betont.

Die Offenheit des Anerkennungsrechtes ist jedoch verschieden groß. In Deutschland, Österreich und Italien sind auch zahlenmäßig kleine Kirchen anerkannt; die Schweizer Kantone zeigen dagegen eine geringe Bereitschaft, bei der Anerkennung über die großen christlichen Konfessionen hinauszugehen. Den nicht anerkannten Religionsgemeinschaften steht in diesen Staaten im allgemeinen die vereinsrechtliche Konstituierung offen. Hier macht lediglich Österreich eine Ausnahme, da sich Religionsgesellschaften als solche nicht gemäß Vereinsgesetz konstituieren können.

In den neuen Demokratien Mittel-und Osteuropas besteht im großen und ganzen eine Tendenz, das Staatskirchenrecht im Sinne des „Anerkennungssystems" auszugestalten. In Polen werden staatskirchliche Vorstellungen ins Gespräch gebracht; in Tschechien und Slowenien zeigen sich mehr Trennungselemente als in der Slowakei und Kroatien; in Rumänien werden dagegen aufgrund der orthodoxen Tradition staatskirchliche Strukturen, die an das System Griechenlands erinnern, diskutiert.

Die in den Verfassungen grundgelegte theoretische Typisierung ist jedoch nicht entscheidend für den Stellenwert des Religiösen in der jeweiligen Gesellschaft. Der religiöse Einfluß im Trennungsstaat Irland ist sicher größer als im schwedischen Staatskirchentum. Selbstverständlich macht es auch einen Unterschied, ob der Staat katholisch, protestantisch oder orthodox geprägt ist.

Im allgemeinen besteht aber in den europäischen Staaten ungeachtet der verschiedenen Systeme und der unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen durchaus eine konvergente Entwicklung. Es kommt einerseits zur Entstaatlichung von Staatskirchen andererseits zur Anerkennung der Besonderheit religiöser Gemeinschaften in Trennungsstaaten wie Frankreich.

Der Autor ist

Professorfür Kirchenrecht an der Wiener Juridischen Fakultät

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