Enttäuschte Christen im Irak

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Die christliche Minderheit im Irak kämpft um ihre Existenz. Im kurdisch regierten Nordirak fühlen sich Christen zwar relativ sicher, doch die Perspektiven sind trüb, das Ausland lockt.

"Ich fahre so nach Mossul, wie ich jetzt gekleidet bin.“ Der syrisch-katholische Erzbischof von Mossul, Yohanna Petros Mouche, trägt seine schwarze Soutane und ein großes Kreuz an einer Kette. Aus Sicherheitsgründen wurde die Residenz vom Bischofssitz Mossul in die christliche Stadt Karakosch verlegt. Der Priester wirkt unerschrocken, wie ein Fels in der Brandung. Dieses Jahr weilte er während der Kar- und Ostertage im gefährlichen Mossul. Kirchliche Feste wolle er jedes Mal in einer anderen Pfarre feiern, betont Mouche. Die Menschen brauchen ihren Hirten.

Zwei Drittel der syrisch-katholischen Christen verließen Mossul, das außerhalb des kurdischen Autonomiegebietes liegt, bei den Chaldäern ist die Lage ähnlich. 350 geflüchteten christlichen Familien wurden nach Saddam Husseins Sturz in Karakosch Häuser zur Verfügung gestellt. Der Bischof lehnt Ghettoisierung wie Exodus ab. Der Idee, Christen in der Ninive-Ebene anzusiedeln, erteilte er eine Absage. "Aufgabe der Christen ist es, in die Welt hinauszugehen.“ Christliche Viertel in einer Stadt, das ja.

Das Angebot von Asylanten-Quoten im Westen sei "keine Lösung“, meint Bischof Yohanna, der auch Rektor des Priesterseminars ist. Freilich, junge Leute, die emigrieren wollen, könne man nicht aufhalten. Viele gut Ausgebildete fänden kaum Arbeit; etliche seien nun in der Ölindustrie untergekommen. Enttäuscht ist der syrisch-katholische Bischof vom Westen: "Man hat nichts für uns getan.“ Das Ausland sollte die Christen im Irak zum Bleiben ermutigen und Druck ausüben, dass endlich Friede einkehre.

"Es fehlt an Solidarität mit uns“

Ähnlich beurteilt der chaldäische Erzbischof von Erbil/Ankawa, Baschar Warda, die Lage. Es fehle an Solidarität des Auslands für die irakischen Christen, kritisiert er im Gespräch in Ankawa, dem Zentrum der mit Rom unierten chaldäischen Kirche im Nordirak. Bis 2010 herrschte bei den eigenen Regierenden die Auffassung, gute Behandlung der Christen mache in Europa und Amerika Eindruck. Doch es stellte sich heraus, dass der Westen bloß am Business interessiert war. Nur leere Worte, das gefährde die Christen, klagt Erzbischof Warda.

Die Christen fühlten sich wie ein Spielball. Illusionslos analysiert der Bischof, der selbst einem Anschlag entging, die Entwicklung: "Die irakischen Christen hatten nie das Gefühl, dass die Amerikaner ihre Verbündeten waren.“ Auf der islamischen Seite hingegen konnten sich Sunniten wie Schiiten auf einflussreiche Lobbys stützen. Warda weiß, wovon er spricht. 1974 musste sein ganzes Dorf bei Zakho emigrieren, Saddam trieb damals die Arabisierung voran.

Zugleich räumt Warda ein: "Jeder Christ, der auswandert, hat triftige Gründe.“ Den Betroffenen sei bewusst, "dass Emigration auch Opfer bedeutet.“ Die autonome Regionalregierung in Kurdistan habe verfolgte Christen eingeladen, sich im Nordirak anzusiedeln. So erhielten in Erbil 700 Familien aus Bagdad Hilfe von der Regierung. Der chaldäische Bischof hofft, dass der Irak nicht eines Tages zerfällt. "Wir können nur in einem friedlichen Ambiente überleben.“ Insgesamt hat die Hälfte der 800.000 Christen seit 2003 den Irak verlassen.

Louis Raphael I. Sako, bisheriger Erzbischof von Kirkuk, wurde Ende Jänner zum Patriarchen der Chaldäischen Kirche von Babylon gewählt und im März feierlich inthronisiert. In Bagdad hat Sako einen Dialog mit den Religionsführern initiiert. Er will den Friedensplan auch den irakischen Politikern vorlegen, erzählt Weihbischof Mar Schlemon Warduni, der auf dem Weg nach Suleimaniyah in Kirkuk Station macht.

Der chaldäische Gottesdienst in der Kirkuker Kathedrale spiegelt die Lebendigkeit der Gemeinschaft wider. Er wird von jungen Menschen musikalisch gestaltet, Sr. Yumma, eine Dominikanerin, dirigiert den Gesang. Nach der Messe drängen sich die Gläubigen auf dem Kirchenplatz. Auch bei den syrischen Katholiken herrscht großer Andrang zu den Katechesekursen. Im Zentrum St. Paul in Karakosch gibt es nicht nur Kindergärten, Sportstätten und Musikunterricht, sondern mit "Voice of Peace“ auch den einzigen christlichen Radiosender im Irak.

In Karamles östlich von Mossul lädt uns die Schwester des Patriarchen spontan zu einem Besuch in ihr Haus ein. Dank Hans Hollerweger von der Initiative Christlicher Orient (ICO), mit dem wir unterwegs sind. Sakos Schwager Fellah Mansour schildert die Flucht der Familie aus Mossul. Von Islamisten bedroht, musste er sein Alkoholgeschäft aufgeben.

In der Barbara-Kirche ruhen die Gebeine eines lokalen Märtyrers. Pfarrer Ragheed Aziz Ganni wurde 2009 in Mossul ermordet, sein Bild hängt am Seitenaltar. Wie jenes von Bischof Paulos Faraj Rahho, der ein Jahr später verschleppt und getötet wurde.

Der Krieg in Syrien bringt Flüchtlinge

Im Umkreis von Zakho an der türkischen Grenze besuchen wir christliche Dörfer, die für Flüchtlinge aus dem Südirak errichtet wurden. Hier sind die Menschen zwar si-cher, aber entwurzelt. Früher Händler in Bagdad, jetzt Bauern auf dem Lande. Der Boden, den sie bearbeiten, gehört der kurdischen Regionalregierung. In Levo wird uns im Kindergarten ein lebhafter Empfang zuteil. In Nafkandala, Deiraboun und Karawella empfangen uns Pfarrer, Bürgermeister, Männer und Frauen in der Kirche. Problem Nummer eins ist die Arbeitslosigkeit.

Ein Lichtblick ist das Wirken der ICO des Linzer Priesters Hollerweger, die seit 2000 im Nordirak Projekte finanziert. Kindergärten, Schulbusse, Sportplätze, Ma-schinen und Wasserleitungen gehören dazu. "Father Hans“, wie er genannt wird, ist im Nordirak bekannt. Die Menschen in den Dörfern freuen sich über unseren Besuch, laden uns spontan in ihre Häuser ein. Ihr Lächeln gibt uns eine Botschaft mit: "Vergesst uns nicht!“ Unterdessen kämpft der Nordirak mit einer Flüchtlingswelle aus dem benachbarten Syrien. Auch unter ihnen sind viele Christen.

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