Entweltlichung, falsch verstanden

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Über das "Mehr“ des konfessionellen Religionsunterrichts, die Vorstellung einer ideologisch "neutralen“ Ethik- und Religionskunde - und seltsame potenzielle Allianzen: Nachbetrachtungen zu einer Podiumsdiskussion.

"Die Lage des konfessionellen Religionsunterrichts ist dramatisch.“ Der Befund kommt nicht von einem Bischof oder diözesanen Schulamtsleiter, sondern vom Grün-Abgeordneten Harald Walser. Bei einer Podiumsdiskussion in Wien unter dem Titel "Religions- und Ethikunterricht: gleichwertige Alternativen?“ beklagte der grüne Bildungssprecher den Verlust an religiösem Wissen. Man wird ihm wohl beipflichten müssen: Was feiern wir zu Weihnachten oder Ostern, von Fronleichnam oder Mariä Empfängnis gar nicht zu reden? Wer ist der steinerne bärtige Alte am Kirchenportal mit dem Schlüssel in der Hand? Und wer ist die Frau auf dem Bild mit dem toten Mann in den Armen? Wieso plagt sich Faust mit der Frage ab, ob "im Anfang“ das Wort, der Sinn, die Kraft oder die Tat war? Und wovon spricht eigentlich dieser Nathan? Der Verdacht liegt nahe, dass das Wissen in diesen Dingen unter Schulabgängern, und zwar auch solchen, die einen konfessionellen Religionsunterricht besucht haben, erschreckend gering ist.

Kapitalismuskritik statt Erlösung

Konrad Paul Liessmann glaubt auch zu wissen, warum. Bei der von der laizistischen "Initiative Religion ist Privatsache“ initiierten Veranstaltung am letzten Donnerstag meinte der Philosoph: Da auch die konfessionell Gebundenen nicht mehr an die eigentlichen Glaubensinhalte glaubten, verlegten sich die Religionslehrer auf ethische Fragen. Also Klimawandel und Kapitalismuskritik statt Dreifaltigkeit und Erlösung. (Das hat Liessmann selbst allerdings so nicht gesagt.)

Wenn man das so sieht, ergibt sich zwingend die von Liessmann und den Veranstaltern vorgetragene Forderung den konfessionellen Religionsunterricht durch einen verbindlichen Ethikunterricht zu substituieren. Dort würde dann, so die Idee, ideologisch "neutral“ über Fragen der Zeit verhandelt und zudem das dafür notwendige religiös-kulturelle Wissen vermittelt. Wobei Liessmann nicht nur die Attribute der Heiligen gelehrt haben will, sondern auch "womit Zeus geschleudert“ hat und wie es "auf dem Olymp zugegangen ist“. Geschenkt! Dem konfessionellen Religionsunterricht bliebe dann die Nische eines Freifachs, so die Meinung der meisten Proponenten dieser Seite. Liessmann als "Freund schlampiger Verhältnisse“ (© KPL über KPL) hätte indes auch gar nichts dagegen, es bei der "österreichischen Lösung“ zu belassen: Religion - ein "Pflichtfach, von dem man sich abmelden kann“ - wunderbar …

Gegen einen Ethikunterricht hat auch Gerda Schaffelhofer, die neue Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich, nichts - im Gegenteil. Sie plädierte freilich dafür, ihn als verpflichtende Alternative für jene einzuführen, die sich vom konfessionellen Religionsunterricht abmelden. Weil sie davon überzeugt ist, dass der Religionsunterricht im Idealfall ein "Mehr“ gegenüber dem Ethikunterricht anbietet: eine transzendente Dimension, Auseinandersetzung und Reflexion persönlichen Glaubens und einer Begegnung mit Gott. Dass dieses "Mehr“ ein Angebot sein, also freiwillig bleiben müsse, steht für Schaffelhofer nicht zur Debatte. Die Posten zu räumen und den Anspruch aufzugeben, zu ethischer Auseinandersetzung und religiöser Bildung beitragen zu können - dafür sieht sie für die katholische Kirche und anderen Glaubensgemeinschaften freilich auch keinen Anlass.

Interessant ist indes - und das sollte den Kirchen zu denken geben - dass die Kritik am real existierenden Religionsunterricht von außen, von antikirchlicher und antireligiöser oder zumindest religionskritischer Seite kommt. Ziemlich sicher trifft sie einen Punkt: Für den Religionsunterricht, ohnedies neben Musik und Zeichnen als De-facto-"Freifach“ punziert, zusätzlich noch ideologisch in der Defensive und unter dem Damoklesschwert der Abmeldemöglichkeit, ist die Versuchung groß, sich gewissermaßen auf sicheres Terrain zu begeben, also thematisch wie anforderungsmäßig den Schülern sehr weit entgegenzukommen, um es freundlich auszudrücken. "Niederschwelliges Angebot“ oder "die Schüler dort abholen, wo sie stehen“ lauten die pädagogisch korrekten Phrasen dazu.

Die Fundamentalismus-Falle

Lässt sich also sagen: Während die Christen selbst sich nicht mehr trauen, Christen zu sein, fordern die Säkularen die Gläubigen zu mehr Profilschärfe auf? Ja, aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere lautet - und hier tut sich eine gefährliche Falle auf: Man zwingt damit (insbesondere) die (katholische) Kirche ins Eck des Irrationalismus wenn nicht gar Fundamentalismus - wo man sie auch haben will, um sie für nicht diskurs- und anschlussfähig an die moderne Gesellschaft abschreiben zu können. Liessmann hat dies ungewollt sehr schön veranschaulicht, als er erzählte, wie er in einem Gespräch Kardinal Schönborn den Ethikunterricht schmackhaft machen wollte: Dann könne sich die Kirche endlich wieder den wahren Glaubensdingen zuwenden. Schönborn habe das mit Interesse aufgenommen …

Hier sollten die Alarmglocken schrillen: Zu Ende gedacht, könnten solcherart gutmeinende Kirchenführer zu Werkzeugen eines aggressiven Laizismus werden, der Religion aus dem öffentlichen Raum und vor allem dem öffentlichen Diskurs verbannen will. Das freilich wäre ein so seltsames wie fatales Missverständnis von "Entweltlichung“.

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