Erdogan im Schafspelz

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Tayfun Belgin rät, gegenüber der türkischen Regierung nicht zu naiv zu sein.

Auf welcher Seite soll man stehen im aktuellen Streit in der Türkei? Den Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und seine islamische Partei AKP sowie seinen Adlatus, Außenminister und Präsidentschaftskandidaten Abdullah Gül unterstützen - und sich dabei auch noch auf der Seite der Demokratie wähnen? Oder doch froh sein über die Generäle in der türkischen Armee, die betonen, mit ihren Drohungen an Erdogan und Gül den laizistischen Staat gegen islamistische Unterwanderung verteidigen und letztlich die Demokratie vor ihrer Ausschaltung durch demokratische Mittel bewahren zu wollen?

In dieser Ratlosigkeit greift man gerne zum Ende letzten Jahres erschienenen Buch des türkisch-stämmigen Deutschen und jetzigen Kremser Museumsdirektors Tayfun Belgin: Türkei - Ein Land auf der Suche nach der Gegenwart; noch dazu, wo der Autor in der Einleitung betont, dass als Ausgangspunkt für sein Buch die Frage steht, "wie ein Verstehen der türkischen Verhältnisse für Europäer überhaupt möglich ist".

Also bei Tayfun Belgin nachschauen, was er unter dem Kapitel "Eine islamische Partei und ihr Premier" von Erdogan hält. Und da wird schnell klar, dass Belgin dem türkischen Ministerpräsidenten nicht über dem Weg traut, sondern in Erdogan den Wolf im Schafspelz sieht, dessen "ganze liberale Rhetorik lediglich seinen Zielen entspräche, den laizistischen Staat eines Tages umzustrukturieren". Belgin zitiert auch den berühmten Sager Erdogans, mit dem sich dieser in den 1990er-Jahren eine viermonatige Gefängnisstrafe und ein später wieder aufgehobenes lebenslanges Politikverbot einhandelte: "Die Demokratie ist nur ein Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten."

Angesichts dieser Vorbehalte wundert der Ratschlag von Belgin nicht: "Daher darf man auch in Europa nicht zu naiv sein. Das Militär war bisher immer der Garant der kemalistischen Republik und der Moderne." Sind mit diesem Ratschlag die eingangs erwähnten Zweifel alle beseitigt? Nicht unbedingt, aber Belgins Einschätzung hat Gewicht, vor allem weil er sich in den anderen Abschnitten seines Buches als sehr ausgewogen und differenziert argumentierender Türkei-Kenner präsentiert. Wolfgang Machreich

TÜRKEI

Ein Land auf der Suche nach der Gegenwart. Von Tayfun Belgin, Edition Steinbauer, Wien 2006, brosch., 222 Seiten, € 22,50

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