Erinnerung an goldene Zeiten

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Prächtige Bauten, glanzvolle Festlichkeiten und die Beschwörung einer besseren Vergangenheit können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tadschikistan immer noch ein kommunistisch geprägtes, verarmtes Land ist.

Lenin hat noch nicht ganz ausgedient in Tadschikistan, denn er steht noch immer, mit aufrufend erhobenem rechtem Arm, in ehemals "seinem" großen Park inmitten der Hauptstadt Dushanbe, nunmehr "Central Park" genannt. Auch die Orts- oder Hotelnamen "Leninabad" und "Leningradski" leben fort, oder werden erst allmählich ersetzt.

Aber schon längst ist "seine" lange Prachtstraße in Dushanbe, ein breiter, reich baumbestandener Boulevard, der sich durch das Stadtzentrum zieht, in den "Rudaki-Boulevard" umbenannt und damit mit dem Namen eines großen persischen Dichters versehen. Ebenfalls bereits seit vielen Jahren ist sein großes Standbild an jenem Boulevard verschwunden, zuerst ersetzt durch ein Denkmal des großen iranischen Dichterfürsten Firdausi, dann durch das jetzt dort stehende, pompöse Monument. Es stellt den großen Herrscher Ismail Samani (892-907) dar, den mythisch überhöhten "Gottvater" des jungen, nunmehr zehnjährig unabhängigen Staates, der eine neue Identität sucht. Denn Tadschikistan, die ärmste unter den fünf mittelasiatischen, ehemals sowjetischen "Nachfolgerepubliken", hat es schwer, sich von jenen anderen vier Staaten, die alle von Turkvölkern beherrscht werden, als anders, eben nicht-türkisch, sondern tadschikisch-persisch, abzuheben. Und dazu wird nun vor allem die alte Geschichte mobilisiert und die starke usbekische Minorität zur Seite gedrängt.

Vor nicht langer Zeit war es umgekehrt, wurden die Tadschiken hintangesetzt. Das ist das große Thema in Rahim Masovs 1991 erschienener Studie. Die Geschichte einer nationalen Katastrophe, die sofort viel Aufsehen erregte. Masov verwies darin auf die weitgehende Geringschätzung der Tadschiken durch die Russen in den 1920er Jahren, als sie ihr mittelasiatisches Besitztum neu ordneten. Tatsächlich existierten dort für die zaristischen Russen und anfänglich auch für die Bolschewiken eigentlich nur die Turkvölker, und den Tadschiken wurde geraten, sich besser als Usbeken auszugeben und möglichst schnell in der neugegründeten SSR Usbekistan aufzugehen.

Aufruf zur Vereinigung

Erst 1929, mit der Gründung der SSR Tadschikistan, wurden sie endlich als größere eigenständige Ethnie eigenstaatlich anerkannt. Es gelang ihnen damals zwar nicht, die hauptsächlich tadschikischen Städte Samarkand und Buchara zu bekommen, aber sie konnten das nordtadschikische Gebiet mit Chodschent (ehemals Leninabad), der zweitgrößten Stadt Tadschikstans, den Usbeken wegnehmen. Dadurch ist freilich eine fast irrwitzige Grenzziehung entstanden, da das genannte Gebiet wie ein tiefer Stachel im Fleisch von Usbekistan sitzt und die direkte Kommunikation zwischen dem Osten und dem Zentrum jenes Staates beeinträchtigt oder - wie zur Zeit - sogar verhindert.

Vor allem anti-usbekische Einstellungen bekamen irredentistischen Auftrieb, als am 14. Juni 1995 der damalige tadschikische Innenminister seine tadschikischen Landsleute dazu aufrief, sich zu vereinigen und "das Land der Tadschiken, das Land der Samaniden wiederzugewinnen", um stolz sagen zu können, "dass wir Tadschiken sind!" Er sprach auch davon, dass es sechs Millionen Tadschiken in der "brüderlichen" Republik Usbekistan und gar 7,5 Millionen in Afghanistan, hingegen nur drei Millionen in Tadschikistan gäbe, "weil wir nicht vereint und gleichgesinnt sind".

Somit wurde die einstige Dynastie der Samaniden, die von Buchara aus im 10. Jahrhundert zeitweise ein mittel- und westasiatisches Großreich beherrschte, zum nationalen Leitthema. Man spricht nun vom "goldenen Zeitalter der Tadschiken" und vom "ersten tadschikischen Reich", dem freilich erst jetzt mit der neuen Republik ein recht bescheidenes "zweites Reich" folgt. Man sieht sich als Nachkomme des damaligen iranischen staatstragenden Volkes, das ab dem 11. Jahrhundert von den aus dem Norden kommenden Turkvölkern und zuletzt von den Russen unterdrückt wurde.

Jenes Samanidenreich war der erste islamische Staat Mittelasiens und des Ostirans, der nachdrücklich Wissenschaft, Kunst und die eigene persische Sprache pflegte, nachdem man fast zwei Jahrhunderte lang vom Arabischen dominiert gewesen war. Es war die Zeit großer, höfisch geförderter kultureller Persönlichkeiten wie Ibn Sina (Avicenna) und Rudaki, der erste große neupersische Dichter ("Sindbad der Seefahrer"), dem zu Ehren nunmehr die wichtigste Straße der Hauptstadt benannt ist.

Im September 1999 wurde in Dushanbe der "1.100ste Jahrestag des samanidischen Staates" groß gefeiert, wobei der Bezug auf das Jahr 899 mit der Gründung der Großmacht durch den Samanidenkönig Ismail zusammenhängt. Zentrales Ereignis war dann die Enthüllung des monumentalen Denkmals jenes Ismail am Rudaki Boulevard - sein weltberühmtes Grabmal steht aber zum Leidwesen Tadschikistans in Buchara und somit im wenig geliebten Usbekistan.

Ismail Samani (tadschikisch: Somoni) ist zur großen Galionsfigur des Landes geworden ist. Sein Denkmal ist eine mächtige, zum Teil in Gold erstrahlende, fast schon vergöttlichende Darstellung des Königs. In seiner majestätisch hochgereckten Rechten hält der Herrscher ein kronenartiges Objekt, das sich auch im neuen Staatswappen Tadschikistans findet. So scheint der König im Begriff, jemanden zu krönen und im Sinn der Samanidennachfolge zu legitimieren. Nimmt nun der tadschikische Staatspräsident zu besonderen festlichen Anlässen davor Platz, so wird er scheinbar zum "Statthalter von Ismails Gnaden" gekrönt. Gewissermassen als solcher legitimiert trat kürzlich E. Rahmanov auf, Präsident Tadschkistans seit Ende 1992, als er am 9. September 2001 anläßlich des 10. Jahrestages der Unabhängigkeit des jungen Staates, unter dem Denkmal thronend, die große Festparade abnahm.

Ismail statt Lenin

Bald werden vermutlich Ismail-Denkmäler allerorts die Stelle von ehemaligen zentralen Lenin-Monumenten einnehmen. Ismail reitet bereits im Zentrum von Kurgan-Teppe und - gepanzert und schwertschwingend - auf Banknoten der neuen, im Jahr 2000 eingeführte "Samani"-und "Diram"-Währung ("Diram" bezieht sich auf die Samaniden-Währung "Dirham"). Ihm zu Ehren wurde der höchste Berg Tadschikistans (7.495 Meter) von Pik Kommunismus (früher Pik Kaufmann) zum Pik Imeni Ismail Samani umbenannt.

Mit der Hinwendung zu den Samaniden ist auch eine Berufung auf altiranische Kulturen Mittelasiens verbunden, wie vor allem auf jene der Sogdier, der großen Händler während der (vorislamischen) Blütezeit der "Seidenstraße". Ihr Zentrum war das nunmehr usbekisch beherrschte Samarkand, aber die meisten archäologischen Funde von sogdischen Objekten wurden unweit von Samarkand in Nordtadschikistan gemacht: Der dortige Fundort bei Pendschikent mit seinen Zyklen von höfischen Wandgemälden wurde weltberühmt.

All dies ließ natürlich bald den Wunsch nach einem entsprechenden archäologischen Nationalmuseum entstehen, um vor allem die vorhandenen großartigen Objekte aus der Blütezeit der Seidenstraße in einem würdigen Rahmen auszustellen. Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse wäre es ein Wunschtraum geblieben, wenn nicht ausländische Sponsoren, geführt von der Schweizer Maecenas-Stiftung, eingesprungen wären. Rechtzeitig für die große Feier zum 10. Jahrestag der Unabhängigkeit wurde das neue, schön eingerichtete "Museum of Antiquities of Tajikistan" fertig. Es wurde am 7. September 2001 vom Staatspräsident, begleitet vom Kulturminister, eingehend studiert und feierlich eröffnet. Als ob dies der starken islamistischen Opposition im Land zu viel des Interesses für vorislamische Kulturen gewesen wäre - der Kulturminister wurde am darauffolgenden Tag erschossen.

Man wird damit sofort daran erinnert, dass das Land sehr bald nach der Erringung seiner Unabhängigkeit einen blutigen Bürgerkrieg zwischen "Postkommunisten" und Islamisten und jeweils Verbündeten durchstehen musste. 1992 war ein besonders blutiges Jahr, gezeichnet von grausamen ethnischen Säuberungen im Süden und Massenflucht nach Afghanistan. Erst im Juni 1997, nach massiven Interventionen der Russen, kam es zu einem etwas fragilen Friedensschluss, der einstweilen noch hält. Seitdem ist im Rahmen einer Koalition die konservative-islamistische Oppostion prozentuell an den Regierungsgeschäften beteiligt.

Die neuen historischen Bezüge, prächtige Repräsentationsbauten und Denkmäler vor allem entlang dem Rudaki Boulevard und glanzvolle Festlichkeiten können freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tadschikistan ein armes, noch sehr kommunistisch geprägtes Land ist. Man lebt und arbeitet weiterhin mehr schlecht als recht in großen bis riesigen Farmen im Gemeinschaftsbesitz, und man verdient meist nicht mehr als ein kleines Taschengeld (etwa zwei bis zehn Dollar im Monat).

Man überlebt mit russischer Hilfe und im Schutz der an der Südgrenze stationierten russischen Truppen, die das Eindringen von afghanischen Islamisten und Flüchtlingen verhindern sollen, sowie mit Unterstützung durch den viel mächtigeren, erdöl- und ergasreichen Nachbarn Usbekistan. Ohne Benzin- und Stromlieferungen aus Usbekistan könnte Tadschikistan kaum überleben. Das Land ist zwar reich an Wasserkraft und damit produzierter Elektrizität, aber diese geht vor allem in die Produktion des wichtigen Exportprodukts Aluminium - und für anderes reicht es nicht. Dieses "andere" schließt Heizungen ein, denn das einst großzügig mit usbekischem Erdgas versorgte Land muss sparen, hält sich nun im Winter nur mühsamst mit elektrischen Heizkörpern warm. Die zumeist oberirdisch verlegten Gasrohre bilden derzeit nur nutzlose, bizarr anmutende Rohrgestänge, die an schönere, wärmere Zeiten erinnern, als es wirtschaftlich noch viel besser ging.

Der Autor ist Kunsthistoriker und Ethnologe in Wien.

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