"Es darf nicht an der Schicht scheitern"

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Katharina Cortolezis-Schlager, nicht amtsführende Wiener vp-Stadträtin, über ihr gesamtschulartiges Schulmodell als Schlüssel gegen Ungleichheit.

Die Furche: Sie plädieren - anders als Ihre Parteifreundin, Bildungsministerin Elisabeth Gehrer - für einen gemeinsamen Unterricht aller Zehn- bis 14-Jährigen. Warum?

Katharina Cortolezis-Schlager: Weil wir in der Wissensgesellschaft den Bildungsstand insgesamt heben müssen. Es gibt künftig mit einer Pflichtschulausbildung keinen Arbeitsplatz mehr. Daher fragen wir: Wie können wir die Hauptschüler auf ahs-Niveau bekommen? Das ist die Herausforderung...

Die Furche: Ebenso wie die soziale Segregation, die sich in Wien zwischen Hauptschülern aus sozial schwachen oder Migranten-Familien und ahs-Schülern auftut...

Cortolezis-Schlager:

Unser Modell einer allgemeinbildenden mittleren und höheren Schule gibt uns die Möglichkeit, nach innen gezielte Förderung anzubieten, um diese soziale Segregation zu vermindern. Die Frage ist: Was ist Wissens-Standard? Was muss ein Kind, unabhängig davon, wie lange es braucht, nach Ende der Schulzeit können? Wir sagen: Der Kernbereich des Lehrstoffes, also Deutsch als Erst- oder Zweitsprache, Kenntnisse im Bereich Mathematik, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, sind Standards. Und im Erweiterungsbereich müssen die Begabungen gefördert werden. Wir wünschen uns Begabungsförderung quer durch alle Gruppierungen. Es darf nicht an der sozialen Schicht oder Sprache scheitern.

Die Furche: Wobei einzelne Wiener Hauptschulen knapp 50 Prozent Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache verzeichnen...

Cortolezis-Schlager: Wir brauchen hier ein Zusammenspiel zwischen Stadt- und Schulentwicklung, um solche Ghettoisierungen zu verhindern. Man könnte die Schülerströme so leiten, dass in einzelnen Schulen nicht zu viele Kinder mit Sprachschwierigkeiten sitzen. Grundsätzlich müssten aber alle, die in Österreich aufwachsen, zum Zeitpunkt des Schuleintritts ausreichend Deutsch können, um dieselben Chancen zu besitzen. Deshalb fordern wir auch, dass das letzte Kindergartenjahr gratis ist...

Die Furche: Wie die spö, die sich auch einen gemeinsamen Unterricht mit Binnendifferenzierung wünscht...

Cortolezis-Schlager: Die spö hat kein Modell offengelegt. Wir werden demnächst ein Modell präsentieren, in dem wir nicht das finnische System importieren, sondern auf den Stärken des österreichischen Schulwesens aufbauen.

Die Furche: Würde mehr Individualisierung nicht mehr Förderlehrer notwendig machen? Schon jetzt fordert Wiens Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (sp) ja 700 zusätzliche Stützlehrer...

Cortolezis-Schlager: In Wien gibt es eine völlige Intransparenz des Ressourceneinsatzes. Pädagogische Aufgaben werden mit psychologischen Aufgaben vermischt - und die Gemeinde erspart sich viel Geld in der Jugendwohlfahrt. Wenn wir ahs und Hauptschule fusionieren, dann könnten wir es uns leisten, die Klassenschülerzahl auf 22 zu senken. Und dann kann ich im Unterricht auch differenzieren - über Kleingruppenarbeit oder Projektunterricht. Auf diese Weise könnte 60 Prozent des Unterrichts gemeinsam und 40 Prozent individuell angepasst geschehen.

Die Furche: Sollten die dort tätigen Lehrer Bundes- oder Landeslehrer sein?

Cortolezis-Schlager: Nachdem der Bund ohnehin alle Lehrer bezahlt, fordern wir: Aus Landeslehrern Bundeslehrer machen!

Die Furche: Rechnen Sie sich Chancen aus, Elisabeth Gehrer für Ihre Visionen begeistern zu können?

Cortolezis-Schlager: Die Frau Bildungsministerin hat schon viele Reformen eingeleitet, die sehr visionär waren - etwa den Ausbau der Schulautonomie. Unsere Aufgabe wird nun sein, sie auch für diese Reform zu gewinnen.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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