"Es geht in Richtung Überwachungsstaat“

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Weltweit sorgen Nachrichtendienste für die nationale Sicherheit. Spionageprogramme à la NSA schießen laut Gert René Polli weit über dieses Ziel hinaus.

Gert René Polli ist ehemaliger Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung und war zuvor beim Heeresnachrichtenamt Wien tätig. Nach dem Posten als Leiter der Konzernsicherung bei der Siemens AG gründete er sein eigenes Sicherheitsunternehmen "polli-IPS“.

Die Furche: Zum Thema Geheimdienste: Kann Sicherheit überhaupt durch Informationen erreicht werden?

Gert René Polli: Die absolute Sicherheit nicht, aber ein gutes Lagebild durch Informationen ist die Voraussetzung für richtige Einschätzungen. Diese sind dann wiederum die Basis für Sicherheit.

Die Furche: Kann das nicht in das genaue Gegenteil umschlagen - Gefahr durch Information?

Polli: Man kann alles übersteuern, das ist klar. Was wir jetzt sehen, ist eine Tendenz, die sehr besorgniserregend ist und in Richtung Überwachungsstaat geht: Nämlich die Vorstellung, dass man alles und jeden überwacht und sich dadurch Vorteile verschafft, in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht und in Kauf nimmt, dass man dabei Menschenrechte grob verletzt.

Die Furche: Welche Auswirkungen hat es, wenn eine Person, wie im konkreten Fall Edward Snowden, alles aufdeckt?

Polli: Es ist natürlich einmal ein Schock für die Auftraggeber. Ich glaube sogar, dass manche amerikanische Politiker über die Dimension des Freibriefes der Nachrichtendienste in den Vereinigten Staaten überrascht sind.

Die Furche: Wusste man auch in Österreich Bescheid?

Polli Es wird nicht so überraschend gewesen sein.

Die Furche: Ist Edward Snowden Ihrer Meinung nach ein Patriot oder ein Verräter?

Polli: Für mich ist nicht Snowden im Mittelpunkt dieser Affäre, sondern was er aufgedeckt hat, und die gewaltigen Reaktionen darauf. Edward Snowden ist eine tragische Persönlichkeit, weil er zu erwarten hat, dass Zeit seines Lebens die amerikanischen Dienste und Justiz hinter ihm her sein werden, selbst wenn er irgendwo politisches Asyl bekommt. Daran besteht für mich kein Zweifel.

Die Furche: Lässt sich der Raub der Privatsphäre durch die "Nationale Sicherheit“ rechtfertigen oder wird dieser Begriff zweckentfremdet?

Polli: Die Dimension, wie wir sie gerade kennengelernt haben, geht weit über das hinaus, was Nachrichtendienste überhaupt nutzen können. Damit wurde erst der Heuhaufen geschaffen, in dem sich die Nadel trefflich verstecken lässt. Die Zielsetzung solcher Programme ist, wie mir scheint, die absolute Kontrolle der Kommunikation und die Aufhebung der persönlichen Privatsphäre. Das ist weder im Interesse von Regierungen, noch von Nachrichtendiensten und schon gar nicht ist das im Interesse des Individuums, des Bürgers und der Menschenrechte.

Die Furche: Beziehen Sie das im Speziellen auf die USA oder ist das international der Fall?

Polli: Grundsätzlich ist es so, dass derjenige, der die technischen Möglichkeiten hat, sie auch anwendet. Nachdem die Vereinigten Staaten einen unglaublichen Technologievorsprung haben, ist davon auszugehen, dass der Informationsvorsprung, der hier demonstriert wird, erheblich ist. Aber auch die russischen und chinesischen Nachrichtendienste dürfen nicht unterschätzt werden.

Die Furche: Ist das Vorgehen der National Security Agency (NSA) auch aus Ihrer Sicht ein Skandal?

Polli: Ich würde es nicht als Skandal bezeichnen, das wäre zu kurz gegriffen und vielleicht auch falsch. Aus einer Situation heraus, deren Ursprünge wohl auf 9/11 und andere Ereignisse zurückgehen, hat eine Fehlentwicklung eingesetzt. Mit unglaublicher Energie wurde die Privatsphäre des Bürgers zurückgebaut. Die Nachrichtendienste haben das im politischen Auftrag weit ausgenützt.

Die Furche: Edward Snowden selbst war nur externer Mitarbeiter der NSA. Ist ein System, in dem externe Mitarbeiter Zugang zu jeglichen Daten besitzen, nicht viel gefährlicher als gar keinen Sicherheitsapparat zu haben?

Polli: Ja, denn die internationale Tendenz ist ja auch jene, dass man viele Leistungen, die früher staatshoheitlich waren, einfach auslagert. Ich denke, dass die "Affäre Snowden“ auch in den nationalen Sicherheitskanzleien zu einem Umdenken führen wird, was den Einsatz von Privaten in Hochsicherheitsbereichen anbelangt. Das heißt aber nicht, dass jemand wie Edward Snowden als Angestellter der NSA nicht ähnlichen Schaden anrichten hätte können. Whistleblower gibt es quer über die gesamte Bandbreite.

Die Furche: Aber ist es eher ein Problem, wenn private Sicherheitsfirmen eingesetzt werden? Sie führen selbst so eine Firma ...

Polli Es wird einen Kernbereich der Sicherheit geben, in dem private Firmen nichts verloren haben. Der Staat lagert solche Tätigkeiten auch deshalb gerne aus, weil er sich, wenn etwas passiert, zurückziehen und sagen kann: "Das waren ja eigentlich nicht wir, das war eine externe Firma“. Nur, dass dieser externe Mitarbeiter im Allerheiligsten der NSA - des Datenerfassungssystemes - gesessen ist, das sollte nicht sein, und ich denke, dass es hier in Zukunft Änderungen geben wird.

Die Furche: Ist es nicht grob fahrlässig, einen Dritten einzustellen, damit man im Falle eines Falles einen Sündenbock hat?

Polli Es ist auch eine Kostenfrage. Es gibt Aufgaben, die haben ein Ablaufdatum und für solche Zwecke nimmt man gerne externe Firmen Man hat dort größere Flexibilität, und dann kommt noch etwas dazu: Beim Thema Internetsicherheit fehlt es den Sicherheitsbehörden oft an den Qualitäten ihrer eigenen Leute. Diese Experten findet man in privaten Firmen viel öfter, in einer höheren Intensität und wahrscheinlich auch billiger, als wenn man sie erst selbst ausbilden müsste. Bis die Leute auf diesem Standard sind, kostet das sehr viel Geld, und es dauert mitunter Jahre.

Die Furche: Also stehen auch hier die Finanzen der Qualität gegenüber: Gerade bei solchen heiklen Angelegenheiten müsste es doch im Interesse der Firmen sein, niemand Externen miteinzubeziehen ...

Polli: Ja, das wird künftig vermutlich auch genau in diese Richtung gehen.

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