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Es geht nur mehr ums Abkassieren

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Die Reformen konzentrieren sich auf das Schließen von Steuerlücken, auf das Streichen von Ausnahmebestimmungen und den Wegfall von nicht mehr zeitgemäßen Steuersubventionen." Mit diesen Worten versucht das Finanzministerium jene Maßnahmen des „Sparpaketes" zu begründen, die im Bereich der Lohn- und Einkommenssteuer schmerzhafte Belastungen bewirken werden. Man will sie also damit rechtfertigen, daß wir alle bisher Nutznießer von Vorteilen waren, die uns rechtens eigentlich nicht zugestanden wären. Diese Betrachtung ist entschieden abzulehnen.

Jedes Steuersystem eines zivilisierten Rechtsstaates muß die Besteuerung auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einzelnen abstimmen. Das, was der Steuerpflichtige zum notwendigen Leben braucht, darf überhaupt keiner direkten Besteuerung unterworfen werden. Was darüber hinausgeht, wird progressiv, also mit einem schrittweise - bei uns bis auf 50 Prozent - steigenden Po-zentsatz abgabenpflichtig.

Besondere Belastungen, die den einzelnen treffen und die der Staat als berücksichtigungswürdig ansieht, mindern wiederum die Berechnungsgrundlage. Endergebnis dieses Systems muß eine gerechte, das heißt vor allem gleichmäßige Besteuerung aller sein. Gegen diese elementaren Grundsätze einer gerechten Besteuerung wird nun gröblich verstoßen.

Es beginnt damit, daß der heute bestehende allgemeine Absetzbetrag von 8.840 Schilling nicht mehr ein „allgemeiner" sein wird. Er soll nämlich ab einem monatlichen (steuerpflichtigen) Einkommen von rund 17.000 Schilling „verschliffen" und ab etwa 42.000 Schilling überhaupt nicht mehr wirksam werden.

Was bedeutet dies? Bekanntlich soll der genannte Absetzbetrag das steuerfreie Existenzminimum ersetzen. Was jetzt geschieht, ist nichts anderes, als daß man den staatlichen Zugriff auf das, was der einzelne unbedingt zum Leben benötigt, einführt! Ab einem gar nicht so hohen Einkommen schert sich Vater Staat nicht mehr darum, daß man ein Dach über den Kopf, etwas zum Anziehen und zum Essen braucht, sondern greift auf jeden Schilling, den man verdient hat. Dazu kommt der Umstand, daß, auf die Familiengröße nicht entsprechnd Bedacht genommen wird - ein Skandal, auf den etwa Wolfgang Schmitz immer, wieder hinzuweisen nicht müde wird. Ähnliche Kritik verdient die Neuregelung über die Berücksichtigung von Sonderausgaben. Jahrelang hat man die Eigenvorsorge gepriesen und - nicht einmal dankbar! - Milliarden für die allgemeine Spitalsfinanzierung abgezweigt, die von Zusatzversicherten für Sonderleistungen im Krankenhaus einbezahlt wurden.

Legionen von Versicherungsberatern haben Polizzen damit schmackhaft gemacht, daß man bei zusätzlicher Vorsorge die Hilfe des Staates in Anspruch nehmen kann. Mit einem Federstrich wird dieser durch die Rechtsordnung (!) zugesicherte Steuervorteil nun halbiert und auch hier wird ab einem Monatseinkommen von etwa 42.000 Schilling „eingeschliffen" (alle Beträge natürlich brutto). Wer als sogenannter „Reicher" gar an die 60.000 Schilling verdient, soll bereuen, daß er sein Geld nicht mit Reisen auf die Bahamas verpulvert, sondern der österreichischen Versicherungswirtschaft anvertraut hat. Ihm bleibt kein Schilling mehr, den er absetzen kann.

Was hier geschildert wurde, ist nicht nur höchst ärgerlich, sondern muß auch unter dem Gesichtspunkt der Grundrechtsordnung kritisch geprüft werden. Bekanntlich garantiert unsere Verfassung die Gleichheit vor dem Gesetz. Sie wird bei der Besteuerung dadurch hergestellt, daß man von niedrigem Einkommen zehn, von hohem aber 50 Prozent Steuer zahlen muß. Durch diese „Ungleichheit" wird „Gleichheit" hergestellt, denn es wird darauf Bücksicht genommen, wieviel der einzelne zugunsten der Gemeinschaft entbehren kann - es wird also Gerechtigkeit verwirklicht. Daß man aber zusätzlich das Recht auf ein Existenzminimum und auf Absetzung von Sonderausgaben denen nimmt, die von vornherein zu einer viel höheren Abgabenlast verpflichtet werden, scheint eine sachwidrige und daher im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes unzulässige Ungleichbehandlung zu sein! Es ist so gut wie sicher, daß der Verfassungsgerichtshof damit befaßt werden wird und es bleibt abzuwarten, wie er darauf reagiert.

Was die Koalition hier tut, ist - man verzeihe den Ausdruck - dumm. Glaubt man wirklich, daß gerade die Leistungsträger unseres Staates angesichts der seit bald einem Jahrzehnt wirkenden kalten Progressionssteigerung eine - um die Worte der Regie rung zu verwenden - buchstäblich „lückenlose" Besteuerung einfach hinzunehmen bereit sind? Werden sie sich dann nicht geradezu moralisch berechtigt erachten, dem Staat vorzuenthalten, was nur möglich ist? Der Schaden, der so eintreten wird, ist nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein staatspolitischer. Er wird dadurch noch vergrößert, daß man einige Verschlechterungen, vor allem solche rückwirkender Art, zu Verfassungsbestimmungen machen will, um die Überprüfung durch das Höchstgericht auszuschalten. Das ist ein glatter Mißbrauch der Verfassung.

Die jahrzehntelange systematische Überforderung der öffentlichen Haushalte zeitigt nun ihre Folgen. Der Steuerstaat wird Getriebener des Verschwendungsstaates. Es geht offenbar nicht mehr um Gerechtigkeit und „Stimmigkeit" des Systems, sondern nur mehr ums Abkassieren.

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