" Es gleicht einem Glücksspiel"

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Asylverfahren würden zu stark von subjektiven Einschätzungen der Richter abhängen, kritisiert Josef Rohrböck, Richter am neuen Asylgerichtshof, im Interview.

Die Furche: Herr Rohrböck, was halten Sie vom neuen Asylgerichtshof, in dem Sie nun Richter sind?

Josef Rohrböck: Diese Konstruktion war nicht notwendig. Man hätte ähnliche Beschleunigungsversuche auch mit der alten Konstruktion, also mit dem vorherigen Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS), unternehmen können. Es gibt schon seit Anfang der 90er Jahre Versuche, die Verfahren zu beschleunigen. Sie haben allesamt nicht viel geholfen. Dieser Versuch zur Beschleunigung hängt im Wesentlichen daran, dass der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) als Instanz gekappt wurde. Der Asylgerichtshof (AsylGH) entscheidet nun in letzter Instanz. Daher musste man versuchen, die Qualität im Gegenzug zu steigern: Daher gibt es jetzt Zweier-Senate (also zwei Richter, die entscheiden) und Grundsatzentscheidungen (Der Asylgerichtshof selbst kann bei grundsätzlichen rechtlichen Fragen den VwGH befassen). Beides sind nicht wirklich effiziente Mittel.

Die Furche: Warum?

Rohrböck: Es gibt eine althergebrachte römische Weisheit: Erst drei Personen machen einen Senat zum Senat. Und wir machen plötzlich Zweier-Senate. Die Grundsatzentscheidung wiederum passt überhaupt nicht in unsere verfassungsrechtliche Tradition. Die große offene Rechtsfrage ist die Bindungswirkung. Inwieweit bindet eine Grundsatzentscheidung andere Behörden, insbesondere den Verfassungsgerichtshof (VfGH), der von Asylwerbern bei Fragen der Menschenrechte belangt werden kann.

Die Furche: Was bedeutet das für Asylwerber? Prinzipiell ist es ja positiv für diese, wenn sich Verfahren beschleunigen.

Rohrböck: Sicher sind Asylwerber an einem raschen Verfahren interessiert. Die Frage ist nur: um welchen Preis? Geht es mehr um Richtigkeit oder um Geschwindigkeit? Geht es um Zahlen an Erledigungen pro Zeiteinheit oder geht es um Qualität? Das ist zwangsläufig eine Schere, die man schwer schließen kann. Die zieht gleichsam auseinander. Zu schnelle Verfahren sind in der Regel relativ minderwertige Verfahren. Vor allem in diesem heiklen Bereich. Es geht ja nicht um Verkehrsdelikte, sondern um menschliche Schicksale. Da müsste man die Verfahrensqualität doch einigermaßen absichern.

Die Furche: Der Rückstau von 23.800 Verfahren soll bis 2010 abgebaut werden. Ist das realistisch?

Rohrböck: Unter seriösen Umständen ist das nicht realistisch, auch nicht mit dem erweiterten Personalstand. Die Zweier-Senate an sich binden schon Ressourcen. Zudem ist die Verwaltung und Entscheidungsfindung im AsylGH komplexer geworden.

Die Furche: Was würden Sie vorschlagen, um einerseits die Qualität zu gewähren, andererseits aber schnellere Verfahren zu bekommen?

Rohrböck: Besser und effektiver wäre es gewesen, dass Verfahrensrecht radikal von Sonderbestimmungen zu bereinigen und wesentliche Anstrengungen in der ersten Instanz zu unternehmen: konkret ein geradliniges Verfahren mit dem nötigen Personal.

Die Furche: Es sind also die Erstverfahren öfters mangelhaft …

Rohrböck: In vielen Verfahren musste der UBAS von Neuem beginnen, weil er nicht wusste, welche Qualitätsstandards in erster Instanz angelegt wurden. Es gibt in der ersten Instanz keine Verhandlungen neben den Vernehmungen. In der Regel werden keine Sachverständigen in Verfahren einbezogen. Das sind Umstände, die die Arbeit im Berufungsverfahren naturgemäß erschweren, weil diese Schritte nachgeholt werden müssen. Wäre dies bereits in der ersten Instanz geschehen, wären die Verfahren in der zweiten Instanz wesentlich schneller und es hätte weniger Beschwerden an den VwGH gegeben. Das wäre doch ein größerer positiver Effekt.

Die Furche: Direkt gefragt: Hat ein Asylwerber in Österreich ein faires und qualitätsvolles Verfahren zu erwarten?

Rohrböck: Leider nicht immer. Das wird zunehmend zu einem Glücksspiel. Es wird davon abhängen, welchen Richter bzw. Senat ein Asylwerber erwischt. Die Entscheidungsträger arbeiten sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz sehr unterschiedlich.

Die Furche: Das heißt, es hängt von subjektiven Einflüssen ab, ob ein Asylverfahren Qualität hat oder nicht.

Rohrböck: Natürlich. Stößt ein Asylwerber auf einen qualifizierten Entscheider bzw. Richter, dann ist die Garantie, dass das Verfahren korrekt und richtig ist und zum richtigen Ergebnis führt, wesentlich höher als wenn er auf jemanden stößt, der erst frisch eingestiegen ist oder sich dem Erledigungsdruck beugt.

Die Furche: Sind somit Entscheidungsträger in der ersten und zweiten Instanz schlecht ausgebildet?

Rohrböck: Es passieren zu viele Fehler in beiden Instanzen.

Die Furche: Wie könnten Fehler minimiert werden?

Rohrböck: Der VwGH war doch ein gewisser Garant für Qualität. Jetzt liegt die Last einzig und allein beim AsylGH. Wenn dieser eine Fehlentscheidung trifft, dann ist das kaum mehr korrigierbar. Außer bei jenen Fällen, die in die Verfassungssphäre reichen, bei denen der VfGH angerufen werden kann.

Die Furche: Es wurde Kritik an den neuen Richtern geübt, weil sie zu wenig Qualifikation hätten …

Rohrböck: Diese Kritik der Richtervereinigung ist zum Teil berechtigt. Dennoch muss man sagen, dass trotz fehlender Ausbildung mancher Mitarbeier nicht nur schlechte Leute hier arbeiten. Man muss nur sehen, dass jede falsche Entscheidung eine Katastrophe sein kann, daher muss man generell das Niveau sehr hoch ansetzen. Wenn einer von uns versagt, kann das für Menschen schwere Folgen nach sich ziehen: von Folter angefangen bis zum Tod, zumindest aber ist die soziale Existenz von Menschen bedroht. Das ist eben der Unterschied zu anderen Gerichten. Das Kuriose dabei: Wenn man eine Verkehrsübertretung begeht, hat man den vollen Rechtsschutz. Wo es aber um Existenzen geht, ist plötzlich der Rechtsschutz nicht in diesem Umfang gegeben.

Die Furche: Sie selbst wurden um ein Haar nicht vom UBAS in den AsylGH übernommen. Es hieß von Regierungsseite, Sie würden nicht gut genug arbeiten.

Rohrböck: Letztendlich hat die Regierung das Argument für meine beabsichtigte Amtsenthebung - ich würde eine zu geringe Erledigungszahl aufweisen - nicht gelten lassen. Ich bestreite zudem, weniger gearbeitet zu haben. Ich kenne diese Feindlichkeit mir gegenüber schon seit Langem. Ich musste mich schon in jungen Jahren relativ früh entscheiden, ob ich im System mitspielen und auf Karriere setzen will, oder ob ich jeden Tag zu mir selbst sagen kann: "Es war richtig, was ich getan habe."

Die Furche: Konnten Sie das bis jetzt?

Rohrböck: Ich musste die Erfahrung machen, dass in der staatlichen Vollziehung Recht und Gerechtigkeit nicht immer an erster Stelle stehen. Ich war in der Vergangenheit häufig mit rechtswidrigen Weisungen konfrontiert, deren Befolgung ich damals rechtmäßig abgelehnt habe. Das hat mir wesentliche Schwierigkeiten eingebracht. Trotzdem konnte ich, wenn auch unter Schwierigkeiten, meine Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen, wobei ich hoffe, in der Vergangenheit möglichst wenig Fehler gemacht zu haben und hoffe, dies auch für die Zukunft.

Die Furche: Sie selbst sind seit 20 Jahren in diesem Bereich tätig. Wie sehen Sie die Entwicklung des Asylrechtes?

Rohrböck: Es hat sich schon einiges zum Positiven entwickelt, aber nur sehr langsam. Es gab im Asylrecht immer drei Schritte nach vorne und zwei zurück. Wir können immer noch nicht behaupten, dass wir vom Gesetz her alle menschenrechtlichen Vorgaben wirklich erfüllen.

Ein Interview mit dem Präsidenten des Asylgerichtshofes, Harald Perl, erschien in der vergangenen Ausgabe 27/08 auf Seite 5.

Das Gespräch führte

Regine Bogensberger.

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