EU-Regionalpolitik unter Palmen

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Milliarden an Strukturgeldern der Europäischen Union fließen in die "Gebiete in äußerster Randlage". Ob das so bleiben kann, ist offen.

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Milliarden an Strukturgeldern der Europäischen Union fließen in die "Gebiete in äußerster Randlage". Ob das so bleiben kann, ist offen.

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Im Frühjahr wurde nach jahrelangen Vorarbeiten die erste Brücke zwischen der EU und Lateinamerika eröffnet. Die Straßenverbindung zwischen Französisch-Guayana und Brasilien rückt wieder einmal etwas in den Mittelpunkt, das im Alltag oft und gern übersehen wird: die so genannten "Gebiete in äußerster Randlage" (GäR), die integraler Bestandteil der EU, aber eben Tausende Kilometer von der EU entfernt sind. Die Milliarden an Struktur-und Regionalgeldern, die dort aus dem EU-Budget investiert werden, kommen dabei regelmäßig auch den jeweiligen Nachbarstaaten zu Gute. Mit dieser "EU-Regionalpolitik weit-weit-weg" wird also Struktur- und Nachbarschaftspolitik gleichzeitig betrieben.

Zur EU gehören bekanntlich neun Gebiete in äußerster Randlage, die geografisch weit vom europäischen Kontinent entfernt liegen. Die EU in der Karibik umfasst die französischen Gebiete Guadeloupe, Martinique und Saint-Martin, im Indischen Ozean handelt es sich um La Réunion, Mayotte (ebenfalls Frankreich) sowie um Französisch-Guayana als EU am lateinamerikanischen Kontinent. Schließlich zählen noch die beiden portugiesischen Regionen Madeira und die Azoren sowie die Kanarischen Inseln (Spanien) im Atlantik zu den außereuropäischen Gebieten der EU.

Die Gebiete sind jeweils vollständige Teile eines EU-Mitgliedstaates und nehmen voll am politischen Leben teil, wählen Volksvertreter in die nationalen Parlamente und unterstehen den Bestimmungen des Europarechts. Etwaige Ausnahmen und Sonderbestimmungen begründen sich aus einer besonderen wirtschaftlichen und geographischen Lage und sind zeitlich begrenzt. Programme und Projekte in den GäR finanzieren sich aus den Struktur- und Investitionsfonds und aus Mitteln der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Dabei summieren sich die eingesetzten Beträge auf teilweise beachtliche Pro-Kopf-Ausgaben. Im Rahmen der EU-Kohäsionspolitik sind für die laufende Budgetperiode 2014-2020 rund acht Milliarden Euro für weniger als fünf Millionen Menschen vorgesehen. Für die Azoren bedeutet das dann etwa beachtliche 850 Euro pro Jahr und Einwohner. Im Vergleich: Österreich erhält im selben Zeitraum einen Gesamtbetrag von 1,235 Milliarden Euro - das sind rund 20 Euro pro Einwohner und Jahr.

Aushängeschilder der EU

Begründet wird die anhaltende massive Zufuhr von EU-Hilfen mit den geographischen und wirtschaftlichen Besonderheiten dieser Regionen: Abgelegenheit, Insellage, geringe Größe, Relief-und Klimabedingungen und wirtschaftliche Abhängigkeit von einigen wenigen Erzeugnissen beeinträchtigen die Entwicklung schwer und hindern sie daran, die Vorteile des EU-Binnenmarkts zu nutzen. Wobei die wirtschaftlichen Eckdaten sehr unterschiedlich sind. Nur zwei Gebiete liegen unter 70 Prozent des EU-Wirtschaftsdurchschnitts (Französisch-Guayana bei 58, Mayotte knapp über 30 Prozent des EU-BIP). Bei anderen Parametern der EU-Strukturpolitik zeigen sich die Probleme klarer: Die Arbeitslosenrate pendelt zwischen 13 Prozent auf den Azoren und über 29 Prozent auf den Kanaren. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 60 Prozent auf Mayotte und erreicht mit über 40 Prozent ihren nicht berauschenden "besten" Wert in Französisch-Guayana.

Dank ihrer geostrategischen Lage im Atlantik, in der Karibik und im Indischen Ozean gelten die Gebiete in äußerster Randlage als Botschafter bzw. Aushängeschilder der EU in der Welt und sollen mit ihren Beziehungen zu ihren Nachbarn für die EU von Vorteil sein und den Einfluss der EU in den entsprechenden Gebieten vergrößern. So zumindest die wiederkehrende Absichtserklärung in den offiziellen EU-Dokumenten.

Damit diese Regionen ihr eigenes Potenzial voll entwickeln und für die EU ihren gesamten Mehrwert entfalten, sollen sie nicht nur innerhalb des Binnenmarkts besser integriert werden, sondern auch in ihrem jeweiligen Teil der Welt fest verankert werden. Dafür werden regionale Nachbarschaftspläne ausgearbeitet, die mit den EU-Zielen im Bereich Außenbeziehungen übereinstimmen. Bei der Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den GäR und ihren jeweiligen Nachbarn wird besonderes Augenmerk auf die Ankurbelung der wirtschaftlichen Möglichkeiten gelegt. Beim Abschluss von EU-Handels- und Fischereiabkommen soll dem etwa verstärkt Rechnung getragen werden - etwa durch die Schaffung spezieller Schutzklauseln für diese Regionen.

Ende dieses Jahres soll die EU-Kohäsionspolitik für die Gebiete in äußerster Randlage einer turnusmäßigen Überprüfung unterzogen werden. Es wird sich zeigen, ob die Politik der letzten Jahrzehnte fortgeführt werden soll und kann. Durch den bevorstehenden EU-Austritt Großbritanniens entsteht jedenfalls Druck aufs EU-Budget, und der Verteilungskampf um den kleiner werdenden Kuchen hat bereits begonnen. Man wird sehen, ob die EU-Staaten unter geänderten Vorzeichen auch weiterhin eine großzügige Strukturpolitik fernab des europäischen Kontinents zu finanzieren bereit sind.

Der Autor ist Experte für Europarecht und Internationale Beziehungen

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