EU-Schicksalsjahr 2016

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Das neue Jahr dürfte um nichts ruhiger werden als das vergangene. Europa stehen wohl in der Flüchtlingsfrage, aber auch darüber hinaus, etliche Zerreißproben bevor.

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Das neue Jahr dürfte um nichts ruhiger werden als das vergangene. Europa stehen wohl in der Flüchtlingsfrage, aber auch darüber hinaus, etliche Zerreißproben bevor.

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Das Jahr ist noch jung, doch die gesamteuropäische Gemengelage bereits dermaßen dicht, dass wenig Grund zur Annahme oder Hoffnung besteht, nach den Verwerfungen anno 2015 könnte es 2016 ein wenig ruhiger zugehen. Natürlich kristallisiert sich weiterhin alles um die unter verschiedensten Titeln und Aspekten verhandelte Massenmigration. Aber immer mehr zeigt sich auch, dass diese "Flüchtlingskrise" zur Chiffre für grundlegende Fragen der Zukunft Europas und zur Projektionsfläche der damit verbundenen Befürchtungen und Sorgen geworden ist.

Längst klingen auch die von den politmedialen Eliten unterschiedlichster Couleur vielgebrauchten Floskeln und Stehsätze ("Sorgen ernst nehmen, aber nicht den Hetzern überlassen", "Wachsamkeit und klare Konsequenzen, aber kein Generalverdacht" und dergleichen mehr) hohl. Nicht weil sie grundsätzlich falsch wären, sondern weil die Menschen den Eindruck haben, dass es eben nur Floskeln, Beruhigungspillen sind, die folgenlos bleiben. Sie sind wohlfeil, auch deswegen, weil sie klare Festlegungen vermeiden.

"Salon-" und andere "Hetzer"

Ganz abgesehen davon, dass der inflationäre Gebrauch von Wörtern wie "Hetze" oder "Rassismus" seitens des juste milieu der veröffentlichten Meinung jener Polarisierung Vorschub leistet, die vorgeblich bekämpft werden soll. So ortet etwa der Spiegel-Leitartikler "Salonhetzer" in der FAZ, der Welt und im Magazin Cicero. Wenn freilich jenen (wenigen) Medien, wo man auch Positionen rechts der Mitte lesen kann, gleich "Hetze" unterstellt wird, brauchen wir uns über den Riss in der Gesellschaft nicht wundern.

Die "Nicht-Hetzer" haben indes neben Ungarn ein zweites Betätigungsfeld gefunden: Polen. Nun muss man die Regierungspartei PiS ("Recht und Gerechtigkeit") in ihrer forciert nationalkatholischen Ausrichtung gewiss nicht goutieren. Die schweren Geschütze, die da gegen Polen aufgefahren werden, wirken dennoch einigermaßen deplatziert. Was beispielsweise das neue Mediengesetz betrifft (einen der Hauptkritikpunkte), so zeigt ein verdienstvollerweise von der APA zusammengestellter Überblick, dass die Situation in den meisten europäischen Ländern kaum besser ist. Eher geht es also um ein systemimmanentes Problem öffentlich-rechtlicher Sender.

Die Partei PiS sitzt übrigens im EU-Parlament nicht in einer Fraktion mit der ungarischen Fidesz von Gottseibeiuns Viktor Orbán, mit der sie gerne in einen Topf geworfen wird, sondern mit den britischen Tories, der tschechischen Bürgerpartei ODS oder der deutschen AfD, während Fidesz den europäischen Christdemokraten angehört. Zu denen zählt auch die vorherige polnische Regierungspartei, die Bürgerplattform PO - die ebenso wie die PiS aus der Dissidentenbewegung bzw. der Solidarnosc hervorgegangen ist. So viel zur ideologischen Verwirrung oder Feindbildpflege.

Britische Nagelprobe

Dazu passt auch, dass Polen nicht erst unter der "bösen" PiS-Regierung, sondern bereits davor in der Flüchtlingsfrage als Mitglied der Visegrád-Gruppe (mit Tschechien, Ungarn und der Slowakei) sich gegen den von Angela Merkels "Willkommenspolitik" geprägten europäischen Mainstream gestellt hat. Weit über diese Frage hinaus haben diese Länder, partiell im Verbund mit Großbritannien, freilich viele Menschen in ganz Europa auf ihrer Seite. Dass David Cameron kürzlich auf der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth zu Gast war, spricht Bände. Die britischen Reformforderungen an die EU dürften zur Nagelprobe der Union - und könnten ein reinigendes Gewitter -werden. Aber wahrscheinlich ist auch Cameron ein "Hetzer".

Die gute Nachricht zum Schluss: Werner Faymann ist 2016 draufgekommen, dass man zwischen Wirtschafts- und Kriegsflüchtlingen unterscheiden muss. Da es keinen "Onkel Hans" Dichand mehr gibt, dem er einen Brief schreiben kann, lässt er sich dazu halt von der Kronen Zeitung interviewen

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