EU: Verurteilt zum Mittelmaß

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Was ist Europa? Ein reiche Auswahl vorgefertigter Antworten auf diese Frage schmückt nun schon seit Generationen jedes Vademecum staatstragender Politik: Das Europa des Friedens und der Freiheit; das Europa des Rechts und der Menschenwürde; das Europa des Reichtums und der besseren Zukunft. Zieht man nun aber Pathos und Geschwätzigkeit ab und prüft die Realität der europäischen Politik, dann bleibt vom schönen Europa wenig mehr übrig als eine leere Hülse, in die Erwartungen und Vorurteile gefüllt werden, Enttäuschung und Xenophobie im schlechtesten, Hoffnung im besten Fall. „Falls Europa erwacht“, hat Peter Sloterdijk 1994 geschrieben, „dann könnte es nicht nur zwölf, sondern 26 Mitglieder haben.“ 15 Jahre später hat Europa tatsächlich 27 Mitglieder. Aber ist es erwacht?

Europäischer Tiefschlaf

Folgten wir diesem Bild, wir würden gerade in diesen Tage, in denen so heftig nach einer neuen Kommission und den Spitzen der gemeinschaftlichen Schaltzentralen in Rat und Außenpolitik gesucht wird, hinter den Fassaden der 27 Regierungssitze, ein deutliches, dröhnendes Schnarchen hören und darin den grunzenden Tiefschlaf europäisch verfasster Politik erkennen.

Aber gleich dahinter hören wir deutlicher denn je die Selbstgespräche der nationalen Murmler. Der kleine Präsident in Paris, der Premier auf Abruf in London, die Wiedergewählte in Berlin bis hin zur mickrigen Figur im Palazzo Chigi in Rom, die seit Jahr und Tag alle Ideale Europas mit Füßen tritt. Der Inhalt ihres Murmelns: Kampflinien aufstellen, Flanken decken, angreifen, Pfründe sichern. So wird in Europa über Macht und Einfluss entschieden. So war es, als die Nationalstaaten entstanden, so ist es heute noch.

Am Ende dieses Murmelns steht ein in 27 Hauptstädten durchgekauter und mit allen diplomatischen Tücken eingespeichelter Kompromiss, der auf jeden Fall den Status Quo absichert und – in Personen umgemünzt – niemals das Beste hervorbringt. Spätestens Anfang Dezember wird dieses Verfahren inkarniert in Kommissaren, einem neuen Ratspräsidenten und einem EU-Außenminister vor uns stehen und wir können wetten, dass der Großteil davon visionslose, rückgratlose Befehlsempfänger sein werden.

Die Suche nach dem neuen Europa

Wie aber sollen solche Amtsträger jenen Geist mit Taten erfüllen, der diese Union angeblich zusammenhält: Wir, gemeinsam, stark, mutig und gerecht? Zu befürchten steht, dass sie Freiheit und Menschenrecht verteidigen wie bisher. Etwa in den Roma-Siedlungen Ungarns und Tschechiens, auf den Sklaven-Plantagen in Süditalien und Spanien, beim Abdrängen von Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer – nämlich gar nicht, weil sie es eben nicht können im Europa der 27 Eigeninteressen.

Und doch wären Fragen zu beantworten. Für die Jugend jene nach einem Ausweg aus dem gesamteuropäischen Prekariat. Für den Mittelstand, der sich gerade gemeinsam mit den sozialen Netzen auflöst, die er bisher durch seine Abgaben aufrechterhalten hat. Wo sind die Regeln für eine Wirtschaft, die in diesen Tagen dabei ist, alle Fehler zu wiederholen, die erst vor einem Jahr zum größten Wirtschaftseinbruch der Nachkriegsgeschichte geführt haben?

Schade auch, dass diese Art der Politik die Entscheidung über die Weltordnung anderen überlässt, den Obamas, Putins, Jiabaos. Die EU wird hingegen weiter das Image des kleinen, reichen Kläffers pflegen, statt sich ihrer lächerlichen Außenwirkung durch gemeinsames Handeln zu entledigen.

Die Garanten dieses schwachen Europas werden sich also bald um das zu höchsten EU-Weihen geadelte Mittelmaß scharen, lächelnd und ohne Antworten auf die entscheidende Frage nach dem Systemwechsel, ohne Plan für die globale, offene Gesellschaft, die der Freiheit von 1989 hätte folgen müssen. Sie werden das gemeinsame Foto abgrinsen, in ihre Hauptstädte zurückkehren und tun, was sie am besten können. Weiterschlafen.

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