EU-Wellenschlag im Donauraum

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Diese Woche wird im ungarischen Parlament die Donauraum-Strategie der EU vom Stapel gelassen. Nach dem Vorbild der Ostseeraum-Strategie sollen die Donau-Staaten enger zusammengeführt und ihre Wirtschaft und Infrastruktur besser koordiniert werden. Und wer denkt an die Fesselung der bösen Geister, die im Donauraum nicht ruhen?

Auf den ersten Blick hat Barmherzigkeit wenig mit Europa und noch weniger mit dem politisch verfassten Europa, der Europäischen Union, zu tun. Nach dem zweiten, dritten oder weiteren Blicken aber schon. Und Dimitré Dinev schaut so lange und so genau hin, dass er den Zusammenhang erkennt. Im gerade erschienenen Essay-Band „Barmherzigkeit“, Auftakt der Reihe „Unruhe bewahren“ des Residenz Verlages, beschreibt der Schriftsteller, der vor zwanzig Jahren von Bulgarien nach Österreich geflüchtet ist, was er bei seinem Hinschauen sieht: „Das europäische Gewissen lebt nicht im Frieden. Viel zu oft hat der Europäer das soziale Versagen seiner Wahrheiten erlebt. Oder hat er ein schlechtes Gewissen, weil er wie ein Besitzender wählt? Wenn man vom Frieden spricht, meint man nur das Ende der politischen Gewalttätigkeiten oder auch das Ende der sozialen Gewalttätigkeiten? Sind sie voneinander getrennt? Wie sicher kann ein Frieden sein, in dem die sozialen Probleme ungelöst bleiben?“ Und Dinev bohrt mit seinen Fragen noch tiefer: „Wo schlafen die bösen Geister, die uns Europäer in der Entwicklung immer zurückwerfen? Die uns jederzeit in Nationalisten und Chauvinisten verwandeln können.“

Dinev verortet den Schlafplatz der bösen Geister Europas zusammengefasst im jeweiligen Ort, oder besser gesagt vor Ort, auf der Scholle, wo sie aufgeweckt werden, sich zu rühren, regen, wehren und zu schlagen anfangen, wenn sie sich ihrer Enge bedroht sehen. „Was garantiert uns den Frieden? Ein Vertrag? Eine Armee? Die besseren Waffen?“, fragt Dinev weiter und vermutet: „Steckt der Schlüssel zum Frieden nicht vielmehr in der Überwindung jener Metaphern, die die Geister des Ortes beschwören?“

Die Geister des Ortes. Am Donnerstag dieser Woche wird im Budapester Parlament die Donauraum-Strategie der Europäischen Union vom Stapel gelassen. Weitere Treffen und Beratschlagungen in der Region sollen in diesem Jahr folgen, damit pünktlich zur ungarischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr des kommenden Jahres dieser regionale Entwicklungszusammenschluss von allen EU-Staaten (auch den geografisch nicht involvierten und eifersüchtig auf die Verteilung von EU-Geldern schauenden) beschlossen werden kann.

Die Geister des Ortes. Wenn die Premierminister und Kanzler und Ministerpräsidenten der 14 Donauraum-Staaten, die Regionalpolitiker und die EU-Vertreter diese Woche in Budapest groß im Maßstab des zweitgrößten Flusses Europas denken und reden und planen, dann sind die kleinen Geister nicht weit.

Aufmarsch der rechten Gefahr in Osteuropa

„Es gibt jedoch einen unbekannten Osten, nämlich die Welt der Rechtsextremen, der Rassisten, der ewiggestrigen und zugleich jungen Hetzer gegen die Roma, die Juden, die ethnischen Minderheiten und die Homosexuellen“, schreibt Osteuropa-Doyen Paul Lendvai im Vorwort zum dieser Tage ebenfalls bei Residenz erscheinenden Buches „Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa“. Die Autoren sind die beiden schon viele Jahre aus dieser Region berichtenden Korrespondenten Gregor Mayer und Bernhard Odehnal.

Ungarn, Tschechien, Slowakei, Kroatien, Serbien, Bulgarien sind die Staaten, anhand derer sie die rechte Gefahr abhandeln. Alle sechs Länder gehören auch zu den Donauraum-Ländern. Was nicht heißt, dass die anderen Länder der Region von derartigen Entwicklungen verschont sind. Lendvai schreibt, dass diese extremen Bewegungen „heute (noch) nicht in der Lage“ sind, die Macht zu erobern. Er fordert jedoch die Europäische Union auf, nicht nur Maßnahmen gegen die allgegenwärtige Korruption und Vetternwirtschaft durch Kreditsperren zu ergreifen, „sondern im Gegensatz zu ihrem Versagen vor den Jugoslawien-Kriegen rechtzeitig Druck auszuüben, um den Agitatoren des Fremden- und Rassenhasses das Handwerk zu legen.“

Die EU habe aber nur eine Chance, bei dieser Wehret-den-Anfängen-Politik erfolgreich zu sein, gibt Lendvai zu Bedenken, „wenn sich auch die großen Parteien rechts von der Mitte (Ungarn und Kroatien) oder links von der Mitte (Slowakei oder Serbien) konsequent und glaubwürdig von den fremdenfeindlichen, extrem nationalistischen und roma- und judenfeindlichen Bewegungen distanzieren“.

Die großen Parteien links und rechts der Mitte. Die Vertreter dieser Volksparteien sitzen bei den Strategiesitzungen zum Donauraum an den Verhandlungstischen. Diese Woche in Budapest, im April in Österreich und in der Slowakei, im Mai in Bulgarien und im Juni in Rumänien. In den Diskussionen wird es um eine bessere Anbindung der Donau-Regionen in den Bereichen Verkehr, Energie und Informationstechnologie gehen. Straßen, Gleise, Strom- und Gasleitungen gilt es zu verlegen und zu optimieren, den gemeinsamen Fluss als gemeinsame Wasserstraße besser zu nutzen, dabei aber nicht auf Umweltschutz und die Verbesserung der Wasserqualität zu vergessen. Und dann das Geld? Geht es nach der EU-Kommission, sollen für die Donauraum-Strategie keine Extramittel zur Verfügung gestellt werden. Doch im Rahmen der EU-Kohäsionspolitik liegen bis 2013 noch 95 Milliarden Euro bereit.

Die Geister des Donauraums mitbedenken

Alles wichtige Themen, alles essenziell für eine europäische Donauraum-Strategie, aber eben doch nicht alles.

Was fehlt? Die Geister des Ortes, gilt es mit Dimitré Dinev einzufordern. „Der Geist Gottes schwebte über den Wassern“, heißt es in der biblischen Schöpfungsgeschichte. Auch über den Donauwassern schweben sie, die Geister. Kleine, große, böse, gute. Sie sollen mitbedacht werden, wenn man sich an die Neuerschaffung dieser alten Region macht.

Die Donauraum-Strategie sei nicht „primär für die Lösung politischer Probleme gedacht“, sagte András Izsák, ungarischer Botschaftssekretär bei einer Strategie-Präsentation. Aber neben den wirtschaftlichen Errungenschaften, meint Izsák, soll damit die Heranführung des Westbalkans an die EU gefördert und doch auch ein „Wir-Gefühl“ erzeugt werden.

Andere Geister des Ortes? Wir-Geister. Dimitré Dinev meint, seine Gedanken über Barmherzigkeit schließend, „wenn es eine Macht auf dieser Welt gibt, die den Frieden sichern kann, dann ist es genau diese“.

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