Europa: mehr als ein Wirtschaftsprojekt

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Die Gleichsetzung von EU und Europa ist nicht nur geografisch falsch. Sie übersieht, dass ein Wirtschaftskorsett die Völker Europas auf Dauer nicht zusammenhält.

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Die Gleichsetzung von EU und Europa ist nicht nur geografisch falsch. Sie übersieht, dass ein Wirtschaftskorsett die Völker Europas auf Dauer nicht zusammenhält.

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Wir sind Europa!", war landauf, landab vor der EU-Abstimmung auf Österreichs Plakatwänden zu lesen. Wer für Frieden und Solidarität in Europa eintritt, könne gar nicht anders, als für den EU- Beitritt zu stimmen, wurde suggeriert. Europa - das ist Geborgenheit in der EU: "Gemeinsam oder einsam" - ein weiterer Slogan.

Und wer wollte schon für Einsamkeit votieren? Also wurde Österreichs Beitritt als Heimkehr gefeiert: Endlich in Europa! Als wären Nicht-EU-Mitglieder keine Europäer. Auch bei der Osterweiterung werden jetzt dieselben seichten Argumente strapaziert. Da gibt es kein Abwägen von unterschiedlichen Ansätzen der Annäherung. Alles oder nichts!

Wer Kritik an den Praktiken der EU und an ihrem Grundkonzept äußert, "outet" sich also als Europafeind. So einfach ist das. Dabei verordnet die EU uns ein einseitiges Europaverständnis, ein Europa der Wirtschaft. Man lese im Maastricht-Vertrag nach. Dort wird im Artikel B das Ziel der Gemeinschaft definiert: Es ist "die Förderung eines ausgewogenen und dauerhaften wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts ..."

Seit Maastricht hat sich die Europäische Gemeinschaft stillschweigend dem Materialismus verschrieben. Und dementsprechend verläuft die Entwicklung. Inspiriert von unzähligen Lobbys fließt aus den EU-Zentralen eine Unmenge von Richtlinien. Ohne Brüssel geht fast gar nichts mehr in der Forschung, im Verkehr, im Umweltrecht ... Regulierung über Regulierung zur Förderung von Wachstum und Integration der Wirtschaft. Ein Zusammenbruch der Rechtssysteme unter der Last der Normen zeichnet sich ab.

Es siegt der Apparat, der Mensch kommt unter die Räder. Auch die neue EU-Grundrechtscharta trägt dazu bei, spricht sie doch mit bedenklicher Unschärfe, wenn es um fundamentale Rechte des Menschen geht.

Zwar lautet Artikel 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen." Scheinbar alles bestens. Aber wo es konkret wird, in Artikel 2 und 3, beim Recht auf Leben und auf Unversehrtheit, wird dieses nur mehr der "Person" zugesprochen. Und wer die Euthanasie-Debatte verfolgt, weiß, welche Hintertür da offen gehalten wird. Der Mensch als Rechtsträger ist eine klare Sache. Da ist jeder gemeint. Was man aber unter einer Person versteht, ist Definitionssache. Für den Euthanasiebefürworter Peter Singer etwa entscheidet sich der Lebensschutz am Selbstbewusstsein und am Denkvermögen.

So ein Europa, das sich dem Materialismus verschreibt und in Expertengremien den Menschen abschafft (übrigens auch durch Zulassung Klonens), hat keine Zukunft. Es trennt sich nämlich von seiner Gründungsidee. Und sie war christlich. Man schaue sich doch die Weltkarte an: Europa ist geografisch kein Kontinent, eher eine der Randzonen Eurasiens. Was Europa ausgemacht hat, ist sein über tausendjähriges christliches Erbe. Dass die EU-Charta das unterdrückt, beklagte kürzlich auch EU-Kommissionspräsident Romano Prodi in einem Interview: "Alle von uns klagen, dass es keine Erwähnung der Religion als die wesentliche Inspirationsquelle der Charta gab ..."

Um Zukunft zu haben, braucht Europa, das weit über die EU hinausreicht, eine geistige Erneuerung. Sie wird kaum von den Lobbyisten, Ausschüssen und diversen Räten in Brüssel ausgehen, sondern von jenen Menschen, die erkennen, dass der Wettlauf um noch mehr materiellen Wohlstand kein einigendes Band für eine so vielfältige Völkergemeinschaft sein kann. Und sie wird den Menschen Vorrang vor Apparaten, der Erhaltung der Schöpfung Vorrang vor der Gütererzeugung und der Förderung regionaler Besonderheit Vorrang vor scheinbar nützlicher Uniformierung einräumen.

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