Europa muss gelingen

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Frankreich übernimmt im Juli die Präsidentschaft in der Europäischen Union. Es wird ein wichtiges Jahr bis zur Wahl des Europäischen Parlaments im Juni 2009.

Nicolas Sarkozy übernimmt die Europäische Union wahrscheinlich an einer Wende ihres politischen Kurses, sicher in einer Krise ihrer Form. Zehn Tage im Amt des EU-Ratspräsidenten reist Frankreichs Präsident nach Irland. Er wolle sich dort selbst ein Bild von den Ursachen für das Nein der Iren zum EU-Reformvertrag machen. Löblich, denn tatsächlich droht die Europäische Union an ihren westlichen (!) Rändern auszufransen. Den von den Chinesen geborgten Tipp eines anderen machtbewussten Franzosen, des langjährigen Präsidenten der Europäischen Kommission Jacques Delors, wird Sarkozy nicht anwenden können: Je größer ein Reich sei, sagte Delors, desto stärker müsse sein Zentrum sein, um es vor dem Zerfall zu bewahren. Doch das Zentrum ist nicht stark, im Gegenteil, Europa droht sogar Zerfall von innen. Es scheint von einer Art Osteoporose des politischen Knochengerüstes und von Muskelschwund heimgesucht zu werden, sodass sich der Körper kaum aufrecht und in Bewegung zu halten vermag.

Die Eliten, die Stammzellen eines jeden politischen Organismus, versagen, erhalten sich nur selbst, erfüllen aber keine für andere Organe oder Körperteile lebenserhaltende Funktion. Die geistigen Eliten sind in ihren Disziplinen zu Hause, haben sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Die wirtschaftlichen Eliten üben sich in Selbstbehauptung auf globalisierten Märken, schlimmstenfalls in Steuerhinterziehung, Subventionsbetrug, Abzocke oder Vorteilsmaximierung. Und die politischen Eliten schließlich stecken fest in ihren Gremien und Geschäftsordnungen, beklagen sich untereinander über das Strapaziöse an einem Leben in Europas Polit-Jetset. Doch wenn ausgerechnet die Eliten sich über die unstrittigen Vorteile des europäischen Einigungswerkes verschweigen, wem ist dann vorzuwerfen, nichts davon gehört zu haben? Noch dazu, wo in Zeiten des unbegrenzt scheinenden Konsums an Waren und Diensten auch politische Leistungen geradezu sprichwörtlich konsumiert werden: zur Kenntnis genommen, abgehakt. Von den offenen Grenzen über den Schutzwall Euro bis zu den vielfachen Bildungs- und Berufsmöglichkeiten des geeinten Europa. All das gilt als konsumiert, und genau darin liegt eines der Probleme.

Europa, konkret der Europäischen Union, fehle es unter anderem an Sinnlichkeit, analysierte treffend der große Europäer Erhard Busek dieser Tage in Wien. In der Tat: Europa ist zu wenig begreifbar, erlebbar. Es fehlt an gemeinsamer demokratischer Übung, etwa durch Europawahlen internationaler Listen am selben Tag, es fehlen große herausragende politische Persönlichkeiten, die sich in den Dienst der europäischen Sache stellen. Die Europäische Union muss sich, soll sie Kraft und Zukunft haben, neu erfinden, konkret in Legitimation und Argumentation auf eine neue Grundlage stellen.

Klein und Alt haben ausgedient. Die Brüsseler Bürokratie verzettelt sich in Einzelheiten, und dies in der irrigen Annahme der Bürgernähe. Das ist es nicht, ganz im Gegenteil, denn mit Details werden die Bürger schon von nationalen Bürokraten schikaniert. Ebenso ausgedient haben die Parolen aus der Zeit der Gründerväter, die unter dem Schock mühsam überlebter großer Kriege Europa als Friedenswerk propagierten.

Jung und Neu sind gefragt. Kein Staat vermag alleine seine Versorgung mit Energie zu sichern. Keine Regierung schafft alleine den Kampf gegen den Klimawandel und für die Sicherheit. Diese und weitere Themen stehen auf der europäischen Agenda. Wer sie aufgreift, beweist Zukunftsdenken. Wer dafür öffentlich eintritt, verschafft sich demokratische Legitimation. Europa muss gelingen.

Entgegen berechtigter Kritik und dumm-dreister Pöbelei der Populisten: Auszutreten aus der Europäischen Union, das Ganze gar aufzulösen, das vermag sich kaum jemand vorzustellen oder ernstlich zu wünschen. Nicht einmal die Iren oder andere Westeuropäer, die schon per Referendum Europa über politische Hürden stolpern ließen. Vorerst geht die Union unter französischem Vorsitz, gelähmt durch das irische Votum, in eine einjährige Atempause bis zur Wahl des Europäischen Parlaments im Juni 2009. Bis dahin sollten die Formkrise überwunden und ein neuer Kurs gesetzt werden.

claus.reitan@furche.at

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