Europas Kosovo-Polizei ist nur teuer

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Die Studie der Wiener Politikwissenschafter Vedran Dzihic und Helmut Kramer stellt der EU-Rechtsstaatsmission ein verheerendes Zeugnis aus: Ohne Umorientierung und Neustart wird der größte EU-Einsatz zum Desaster.

Geglaubt hat ihm schon damals niemand: „Ich wünsche allen einen glücklichen Frieden“, sagte der jugoslawische Präsident Slobodan MilosÇevi´c am Abend des 10. Juni 1999 im serbischen Staatsfernsehen. Davor hatte er bekannt gegeben, dass die seit elf Wochen andauernden NATO-Luftangriffe auf Serbien beendet sind und dass die „unbesiegbare“ serbische Polizei und Armee aus dem Kosovo abziehen muss (siehe Chronologie unten).

Offiziell war der Friede mit diesem Tag in die südliche Provinz Jugoslawiens eingekehrt. Der zu 90 Prozent von Albanern besiedelte Kosovo wurde aufgrund der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1244 der Kontrolle einer Administration durch die Vereinten Nationen (UNMIK) und der von der NATO geführten Friedenstruppe KFOR überlassen. Von einem glücklichen Frieden im Kosovo kann aber auch zehn Jahre später noch keine Rede sein. Einen „unfinished state“, einen unfertigen Staat, nennt der kosovarische Zeitungsherausgeber Veton Surroi sein Land.

Isoliertes Armenhaus in Europa

„Isoliertes Armenhaus in Europa“ sagt der albanische Journalist Enver Robelli zum Kosovo. Fast die Hälfte der zwei Millionen Kosovaren lebt in Armut. Die Arbeitslosenquote liegt bei knapp 45 Prozent – der höchsten auf dem Balkan. Ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts stammt von ausländischen Hilfsleistungen und weitere 15 Prozent kommen von Überweisungen kosovarischer Migranten aus dem Ausland. All das, gepaart mit Misswirtschaft und Korruption, macht den Kosovo zu einer „Dritte Welt“-Gesellschaft – und das keine 600 Kilometer Luftlinie von Österreich entfernt.

„Die Situation im Kosovo ist in allen zentralen gesellschaftlichen Bereichen noch äußerst krisenhaft und instabil – und das trotz des gewaltigen Mitteleinsatzes durch die internationale Gemeinschaft seit 1999“, heißt es dazu in der aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Kosovo nach der Unabhängigkeit“. Und diese Diskrepanz zwischen der großen materiellen und finanziellen Unterstützung für den Kosovo und den bescheidenen bis gar nicht vorhandenen positiven Veränderungen im Land zieht sich wie ein roter Faden durch die von den beiden Wiener Politikwissenschaftern Vedran Dzihic und Helmut Kramer verfasste Analyse. Um eine Vorstellung von der Größenordnung der Hilfe zu bekommen, verweisen die Autoren darauf, dass pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, im Kosovo seit Ende des Krieges 1999 im militärischen und zivilen Bereich von der internationalen Gemeinschaft etwa 25-mal so viel ausgegeben wurde wie in Afghanistan. Mit besagtem mäßigen bis gar nicht vorhandenen Erfolg.

Im Untertitel heißt die Dzihic/Kramer-Studie „Kann die EULEX-Mission der Europäischen Union ihre Versprechen halten?“ EULEX steht für die EU-Rechtsstaatsmission, die nach langem politischen Hickhack ihre Tätigkeit im Dezember 2008 aufgenommen hat. EULEX soll den Kosovo beim Ausbau eines funktionierenden Rechtsstaates unterstützen und einen multi-ethnischen Justiz- und Verwaltungsapparat aufbauen.

Großer Bahnhof für Helfer aller Art

Gegenwärtig sind etwa 2600 Personen in diesem Programm tätig. Davon 1650 internationale Polizisten, Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsexperten und Zollbeamte aus der EU sowie weitere 900 lokale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daneben sorgen immer noch 800 OSZE-Beamte und an die 14.500 Soldaten der KFOR-Truppen aus mehr als 30 Staaten für Wiederaufbau, Ruhe und Sicherheit im Kosovo. Ein internationaler Aufmarsch der Sonderklasse also – in einem Land von der Größe Oberösterreichs.

Aber auch für die Europäische Union stellt der Kosovo ein Superlativ dar: Die Polizei- und Justizmission EULEX ist der größte und finanziell aufwendigste zivile Einsatz in der EU-Geschichte. Und ist dementsprechend mit hohen Erwartungen befrachtet – die Dzihic/Kramer in ihrer Analyse auf den sehr bescheidenen Boden der Realität im Kosovo herunterholen: Die EULEX wird ihrer Rolle als „Demokratie- und Rechtsstaat-Wächter“ kaum gerecht und „im Grunde wird die weitgehend gescheiterte Politik von UNMIK fortgesetzt“.

Kein halbes Jahr nach Start des EULEX-Einsatzes kann man derartig harscher Kritik entgegnen, dass diese noch zu früh sei. Doch Studien-Autor Vedran Dzihic argumentiert im FURCHE-Gespräch, man müsse die letzten eineinhalb „vertrödelten“ Jahre in Betracht ziehen. Denn EULEX hätte ursprünglich bereits zu Beginn 2008 starten sollen. Und an der für die Verzögerung verantwortlichen Blockade-Politik Serbiens und der fünf EU-Staaten, die den Kosovo nicht als Staat anerkennen, habe sich bislang nichts geändert – was nach wie vor dazu beiträgt, dass EULEX nicht richtig ins Rollen kommt.

Dzihic fordert von der EU, dass sie „die technischen Schritte im Kosovo mit den politischen Schritten abstimmt“. Konkret heißt das, die EU-Annäherung Serbiens solle mit Forderungen an Belgrad bezüglich des Kosovos verknüpft werden. Daneben, so Dzihic, muss sich Brüssel überlegen, ob es sinnvoll ist, Millionen Euro in das EULEX-Programm zu investieren, gleichzeitig aber mit der EU-Visa-Politik die Kosovaren vor den Kopf zu stoßen und mit der Verweigerung des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses das Land in ein schwarzes Loch zu stoßen.

Nutznießer Mafia-Kriminalität

Ein Ort, wo viele den Kosovo haben wollen: „Wie es scheint“, heißt es in der Studie, „ist die organisierte Kriminalität der einzig profitable Wirtschaftszweig im Kosovo, in dem es auch Zusammenarbeit von Albanern und Serben gibt.“ Die EULEX-Mission aber war bislang nicht bereit, bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität entschiedene Maßnahmen zu setzen. Bezeichnend dafür ist, dass im EULEX-Bericht jede Erwähnung des Drogen-, Frauen- und Kinderhandels fehlt.

Dzihic verlangt einen „Neustart“ von EULEX unter starker Einbindung der Kosovaren. Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft mit einem, dem Balkan zugeneigten Außenminister Carl Bildt könnte dafür eine Chance bieten. Denn die Zeit drängt. Die „Unabhängigkeitsblase“, dass mit der politischen Souveränität auch der wirtschaftliche Aufschwung einhergeht, ist zerplatzt. Wut und Perspektivelosigkeit wächst. Und die Hoffnung, dass doch noch ein „glücklicher Frieden“ kommt, ist bald dahin.

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