Europas neues Flaggschiff

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Dänemarks Regierung ist innenpolitisch zwar angeschlagen. Trotzdem kann das neue EU-Vorsitzland den anderen Europäern ein echtes Vorbild sein.

Man sollte ja meinen, so eine EU-Präsidentschaft in Zeiten wie diesen sei eine große Bürde. An allen Ecken und Enden kracht es im EU-Gebälk: Die Notlage einiger Eurostaaten hat sich längst zu einer politischen Entscheidungs- und Systemkrise ausgeweitet und droht sich 2012 weiter zu vertiefen. Italien wird seinen Konsolidierungskurs nur mit Mühe halten können, Griechenland vermutlich gar nicht. Global gesehen wird es auch nicht einfacher: Der Iran feiert seinen Aufstieg zur Atommacht gerade mit provozierenden Kriegsspielen am persischen Golf. Der Irak droht im Chaos eines Bürgerkriegs zu versinken. Und jenseits des Atlantiks ist die US-Politik gerade dabei, sich selbst für ein Jahr von der Weltpolitik abzumelden und in einem ausgesucht schlammigen Präsidentschaftswahlkampf zu versinken. Was gibt es da noch zu wollen oder zu holen - außer viel Ärger und Nervenzusammenbrüche?

Für Dänemarks sozialdemokratisch geführte Regierung gilt das freilich nicht. In den Pressekonferenzen und Vorbereitungstreffen auf diplomatischer und politischer Ebene sind tatenfrohe Kabinettsvertreter aus Kopenhagen zu beobachten. Und wenn nur ein kleiner Teil von dem wahr wird, was da auf den Websites der Ratspräsidentschaft angekündigt wird, dann wäre Europa bald seiner Sorgen ledig: Man wolle eine "Bridge over troubled Water“ sein, "verantwortlich“, "dynamisch“, "grün“ und "sicher“ will Dänemark Europa machen.

Vom Fehlstart zur Präsidentschaft

Tatsächlich sind das die Eigenschaften, mit denen sich in relativ kurzer Zeit sehr viele der europäischen und internationalen Krisen lösen ließen - vom Klima bis zum Währungsquark.

Das alles setzte natürlich eine erfolgreiche und stabile Regierung selbst voraus. Doch ein Teil der großen Freude der dänischen Regierungspolitiker entspringt auch der Hoffnung, mit der EU-Präsidentschaft von dem veritablen Fehlstart der Regierung abzulenken. Zwei Monate ist es her, da trat die sozialdemokratische Premierministerin Helle Thorning-Schmidt mit großen Ideen ihr Amt an. Irgendwie jedoch gerät Dänemarks erster Regierungschefin nichts zum Gout der Bevölkerung. Die dänische Wirtschaft erholt sich nicht, sondern schrumpfte im dritten Quartal des Vorjahres sogar um 0,8 Prozent. Die Arbeitslosigkeit hält sich hartnäckig über sieben Prozent - da hilft auch das relativ gesunde Budget (nur 42 Prozent Staatsverschuldung) nicht. Viele der Probleme fallen nicht in die Verantwortung der neuen Regierung, doch darauf nehmen die Dänen keine Rücksicht.

Es mangelt auch an Erfolgen im Kleinen. So verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Dänen gesünder machen soll, indem saftige Steuern auf fette Lebensmittel erhoben werden. Diese "Fat-Tax“ kommt naturgemäß sehr schlecht an in einer Nation, die "Smørrebrød“ zum Nationalgericht hat - also dick mit Butter bestrichenes und mit sonstigen Kalorienbomben garniertes Brot. Zumal in einem Land, das mit seinen Lebensmittelpreisen ohnehin schon 36 Prozent über dem EU-Durchschnitt liegt.

Dazu noch verstieg sich ein Minister aus Thorning-Schmidts Partei in einer Bar zu Komplimenten an eine seiner Mitarbeiterinnen ("Wann kriegst du einen Mann?“), die ihm wochenlang Sexismus-Schlagzeilen einbrachten. Thorning-Schmidts Ehemann, der Sohn des britischen Labour-Politikers Neil Kinnock, geriet wegen angeblicher Steuerhinterziehung in die Schlagzeilen. Die Vorwürfe erwiesen sich zwar als haltlos, aber die Affäre kratzte arg an dem Image der Premierministerin, die für mehr Sauberkeit und Verlässlichkeit geworben hatte.

Mangelnde Zustimmung

Die Zustimmung für die Regierung ist seit der Wahl auf bescheidene 19 Prozent gesunken. Das ist selbst für die in den vergangenen Jahren relativ schwachen Sozialdemokraten (durchschnittlich erreichten sie bei Wahlen 25 Prozent) ein Rekordtiefwert.

Angesichts der innenpolitischen Lage erscheint das Versprechen, die großen Schwerpunkte europäischer Politik zu bewältigen zwar wie eine verzweifelte Flucht nach vorne. Doch Dänemark hat unbestritten in mehreren Bereichen Vorbildcharakter für den Rest der Union. Das gilt vor allem für den Sektor Energie. Das Land hat zwar kaum fossile Rohstoffe und ist trotzdem Energieexporteur. Schon seit den 80er-Jahren setzen die Dänen konsequent auf den Ausbau erneuerbarer Energie.

Mit Erfolg: Die vor der Küste eingerichteten Offshore-Windkraftwerke produzieren bereits 21 Prozent des gesamten Strombedarfs des Landes. Bis 2020 soll dieser Anteil auf 50 Prozent steigen. Die Dänen sind nebenbei auch die eifrigsten Radfahrer Europas. Das mag auf den ersten Blick bloß kurios anmuten. Aber würden alle EU-Bürger so viel Rad fahren, wie die Dänen (2,6 Kilometer pro Tag) - die Union könnte allein damit ein Viertel ihrer bis 2050 angestrebten Treibhausgasreduktion erreichen. Die Rohölimporte könnten um zehn Prozent reduziert werden.

Dass globale Solidarität nicht nur eine Worthülse ist, zeigt die dänische Entwicklungszusammenarbeit. Sie wurde in den vergangenen Jahren sukzessive erhöht und liegt heute bei über 0,9 Prozent des BIP (Österreich: 0,3 Prozent).

Bankenstabilität

Auch in puncto Stabilität der Finanzwirtschaft haben die Dänen Besonderes zu bieten. Die Regierung fordert von den Banken ein 16-prozentiges Eigenkapitalpolster, weit mehr als international üblich. Das hat zwar zwei dänische Banken in die Pleite und unter den nationalen Bankenrettungsschirm gezwungen, aber die anderen Institute haben nun gegenüber der Konkurrenz den unschätzbaren Vorteil höherer Sicherheit.

Die schwierigste Aufgabe der Dänen in den kommenden Monaten wird wohl sein, sich mit Strategien bei der Krisenbekämpfung bei den Leitstaaten der EU, insbesondere Deutschland Gehör zu verschaffen. Kurioserweise könnte es sich positiv für Europas Einheit auswirken, dass die Dänen nie der Eurozone beigetreten sind. Denn Kopenhagen will unbedingt vermeiden, dass die Eurozonen-Länder politisch ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten“ verwirklichen. Nicht umsonst tragen die Vertreter des neuen Vorsitzlandes die Solidarität in der EU wie ein Mantra vor sich her. Eine Kehrtwende für ein Land das noch im Vorjahr seine Grenzen zur EU dicht machte.

Ungewöhnlich auch für eine Zeit, in der EU-Skeptiker ihre große Stunde gekommen sehen. Freunde der EU könnten daraus die Hoffnung schöpfen, die Dänen mögen ihrer Zeit voraus sein - dieses Mal allerdings im Guten.

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