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Europas Sinn und Seele
Einigermaßen wehleidig wurde der zweite Jahrestag der Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreichs mit der Klage über den Wankelmut so vieler Wählerinnen und Wähler begangen, die seither von Anhängern zu Gegnern der Europäischen Union geworden seien. Die Regierung beschloß dagegen eine neue „Informationskampagne”. Wenn ihr sonst nichts einfällt, ist das entschieden zu wenig. Aber ehe man überhaupt etwas unternimmt, sollte man sich die Stimmung im Volk einmal genauer ansehen. Dabei kommen nämlich ganz vernünftige Überlegungen zum Vorschein.
Es stimmt: Etwa jeder vierte Wähler (nicht mehr!) hat seine Einstellung von positiv auf negativ korrigiert. Fast jeder zweite glaubt, daß der Beitritt Österreich zunächst mehr Nachteile als Vorteile gebracht hat. Dennoch kommen laut zitierter Telefonumfrage der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft 60 Prozent zu dem Schluß, daß Österreich trotzdem nicht aus der EU austreten sollte.
Vorwiegend positiv beurteilt werden die Wirtschaftsentwicklung, das Mengen- und Qualitätsangebot bei Waren, die allgemeine Sicherheit. Probleme orten die Landsleute bei der Landwirtschaft, beim Durchzugsverkehr, im Umweltbereich sowie bei sozialen Fragen und NATO-Beitritt.
Aber man ist durchaus gescheit genug, die Zunahme des Transitverkehrs mehr der Ostöffnung (31 Prozent) als der EU (26 Prozent) und genauer gesagt beiden (38 Prozent) anzulasten. Auch vom Sparpaket, das naturgemäß viele irritiert, wissen 48 Prozent, daß es vornehmlich eine österreichische Angelegenheit ist. Deshalb sagen auch zwei Drittel, daß sie bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am 13. Oktober mit dem Stimmzettel nicht gegen die Regierung protestieren wollen; selbst Grüne und Freiheitliche wollen zu 32 beziehungsweise 39 Prozent keine „Protesthanseln” spielen. Das ergibt für diese Europawahlen, an denen schon aus heutiger Sicht 41 Prozent sicher und weitere 33 Prozent eher doch teilnehmen wollen, gar keine so üble Perspektive. Übel würde es erst, wenn bei diesem Wahlkampf die Parteien, um sich zu profilieren, demagogische Gralskämpfe um Neutralität, Schilling und Sparbuchanonymität aufführten. Gut beraten wären sie alle, wenn sie sich an einen Tip hielten, den Marion Gräfin Dönhoff in der jüngsten „Zeit” den Europa-Politikern empfahl: „Die Fragen nach dem Sinn von Arbeit und Produktion, nach den Grenzen der Macht, dem Wesen des Fortschritts und dem Zuschnitt der Gesellschaft” stärker zu bedenken und zu bereden.
Ob sie statt bloßen Profits mehr und vor allem die Seele Europas suchen: Daran sollte man die EU-Parlamentskandidaten und -kandi-datinnen bewerten - nicht daran, ob sie in die Politik von rechts, links oder quer einsteigen. Und dazu müßte sich d\e Regierung mehr als eine Kummernummer der Post einfallen lassen.
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