Grundeinkommen Arbeit - © Foto: Pixabay

Experiment für einen neuen Arbeitswohlstand

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Wer geht noch arbeiten, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt? Ein Freibrief fürs Nichtstun - oder doch ein Zukunftsmodell? Ein Berliner Crowdfunding-Projekt versucht im Praxistest Antworten zu finden.

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Wer geht noch arbeiten, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt? Ein Freibrief fürs Nichtstun - oder doch ein Zukunftsmodell? Ein Berliner Crowdfunding-Projekt versucht im Praxistest Antworten zu finden.

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Nur ein Marketing-Gag", das war Katrin Klinks erster Gedanke, als sie im Dezember 2015 ein Mail erhielt: "Herzlichen Glückwunsch, Sie bekommen ein Jahr lang monatlich 1.000 Euro." Das Mail war kein Scherz. Seit Januar 2016 bekommt die alleinerziehende Mutter die Summe monatlich ausbezahlt. Einfach so. Ohne etwas dafür tun zu müssen. Wovon viele träumen, das ist für die Kölnerin plötzlich Realität geworden: Sie hat eines von mittlerweile 43 bedingungslosen Grundeinkommen gewonnen, die der Berliner Verein "Mein Grundeinkommen" seit 2014 verlost. Gesammelt wird das Geld über eine Crowdfunding-Plattform. Auch die selbstständige Grafikerin hatte gespendet. Dass sie damit an der Verlosung teilnahm, hatte sie vergessen. "Ein Jahr lang mehr Geld pro Monat und mehr Zeit - das habe ich als Riesenchance und Geschenk gesehen, die ich nutzen will", sagt die Freiberuflerin.

Zeitlicher Wohlstand

Seither hat die Kölnerin nicht nur ein Flüchtlingsprojekt ehrenamtlich unterstützt, sondern auch ein Fernstudium gemeistert und ihre Abschlussarbeit als Buch herausgegeben. "Ohne Grundeinkommen hätte ich nicht die Zeit gehabt", ist die Alleinerzieherin überzeugt, "ich hätte es mir auch nicht leisten können. So hatte ich den Luxus, meine Grafik-Kunden zwar zu betreuen, mich aber nicht um neue Aufträge bemühen zu müssen." Eine Freiheit, die sie die restlichen sieben Monate noch genießen möchte: "Jetzt nehme ich mir mehr Zeit, um mit meinem Sohn zu verreisen."

Die Arbeit vom Zwang zu befreien - was Klinks ein Jahr lang erleben darf, ist einer der positiven Effekte, den sich Befürworter von der flächendeckenden Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) erwarten. Von der Idee also, dass jeder Bürger sein Leben lang monatlich einen gesetzlich festgelegten Betrag in derselben Höhe vom Staat erhalten soll. Ohne Kontrolle, ohne Bedingung, ohne Gegenleistung. Das BGE soll die Existenz sichern, ohne dass Einkommen oder Sozialhilfe notwendig sind.

Neu ist die Idee nicht: Kanada oder Brasilien haben bereits damit experimentiert. Radikal umgesetzt wurde das Konzept aber nirgendwo. Auch in der Schweiz, wo am Sonntag abgestimmt wird (siehe Geschichte rechts), erwarten sich nicht einmal die Initiatoren eine mehrheitliche Befürwortung: "Ziel war es, eine Kampagne zu gestalten, die den Fragen des Grundeinkommens Gewicht verleiht - in der Schweiz und darüber hinaus", so Philip Kovce, Co-Autor des Buchs "Was fehlt, wenn alles da ist? Warum das bedingungslose Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt." Das ist den Initiatoren gelungen, die Debatte wurde international befördert.

Einig sind sich Befürworter und Gegner bloß in einem Punkt: Das Thema muss diskutiert werden, lenkt es doch die Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Defizite. Etwa auf die Tatsache, dass in den kommenden fünf Jahren durch Digitalisierung und Automatisierung 7,1 Millionen Jobs verloren gehen werden, wie eine Studie des Wirtschaftsforums in Davos zeigt. Da könnte das BGE gerade rechtzeitig eine drohende Massenarbeitslosigkeit abfedern. Könnte, gäbe es nicht die vielen offenen Punkte in der Umsetzung. Neben der Höhe sowie der Finanzierung wird vor allem über die Auswirkung eines BGE auf den Arbeitsmarkt gestritten: "Schon derzeit bleiben viele Arbeiten unerledigt, vor allem im Dienstleistungsbereich", meint Ökonom Clemens Fuest vom deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Gerade Jobs, die sich finanziell kaum lohnen oder besonders anstrengend und unangenehm sind, würden dann von niemandem mehr gemacht werden.

Faul sind nur "die anderen"

Stimmt nicht, meinen die Verfechter des BGE in der Schweiz und verweisen auf Umfragen: Zwar glauben 80 Prozent, dass sich "die anderen" beim Erhalt eines Grundeinkommens auf die faule Haut legen würden, tatsächlich erklären aber 90 Prozent der Befragten, selbst sehr wohl weiter arbeiten zu wollen. Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage in der Schweiz: Nur zwei Prozent der Befragten spielen mit dem Gedanken, nicht mehr berufstätig zu sein. 54 Prozent der Teilnehmer würden sich weiterbilden, 22 Prozent den Sprung in die Selbstständigkeit wagen und über die Hälfte würde sich mehr Zeit für die Familie nehmen. Sich selbst verwirklichen, seine Berufung finden, glücklicher wie produktiver werden und auch Tätigkeiten übernehmen, die nicht entlohnt werden -das erhoffen sich die Befürworter von der finanziellen Grundabsicherung. "Das BGE könnte außerdem Innovationskraft freisetzen", fügt Christian Lichtenberg von "Mein Grundeinkommen" hinzu, "viele Menschen stecken im Hamsterrad und sind gar nicht frei genug, um über mögliche Verbesserungen nachzudenken."

Darüber hinaus könnten "Drecksjobs" und unwürdige Arbeitsbedingungen durch das BGE der Vergangenheit angehören. "Im Gespräch mit meinen Kollegen hat sich gezeigt, dass alle beim Erhalt eines BGE weiter und auch Vollzeit arbeiten würden - aber nicht unter den aktuellen Bedingungen", erzählt Olga Zimmer. "Wenn man nicht mehr vom Job abhängig ist, schafft das eine ganz andere Verhandlungsbasis zwischen Arbeitgeber und -nehmer."

Wie gut sich eine solche Unabhängigkeit anfühlen könnte, hat die zweifache Mutter ein Jahr lang erfahren: Ihr neunjähriger Sohn Robin wurde als Gewinner eines Grundeinkommens gezogen. "Als erstes wollte er ein Buch pro Monat", erzählt die 46-Jährige, "das restliche Geld gehörte uns." Also beschloss die Familie, in gemeinsame Urlaube und Ausflüge zu investieren. "Mein Mann und ich haben gearbeitet wie bisher", berichtet Zimmer, "aber wir haben uns als Familie mehr Zeit füreinander genommen." Dadurch sind sie nicht nur enger zusammengewachsen, für Zimmer hatte der Erhalt des BGE weitere Folgen: "Ich bin morgens aufgewacht und wusste, es kann kommen, was wolle", beschreibt sie, "es hat Entspannung in den Alltag gebracht."

Und es hat den Blick der Ehefrau und Mutter auf politische Themen gelenkt. Sie versucht ihre Kinder jetzt noch weltoffener zu erziehen. Dazu gehört auch, sich bewusst mit kontroversen Fragen auseinanderzusetzen: Was werten wir als Arbeit? Warum wird nicht entlohnt, wenn man sich um seine Kinder kümmert? Warum sind so viele Frauen abhängig vom Einkommen ihres Mannes? Sollen auch Kinder ein BGE bekommen?

Denkanstoß

Dass sich die Projektteilnehmer mit all diesen Fragen auseinandersetzen, wertet "Mein Grundeinkommen" genauso als Erfolg ihres Praxistests wie die Geschichten Einzelner: "Ein Gewinner mit chronischer Magen-Darm-Erkrankung muss seit Längerem kein Kortison mehr nehmen, weil er durch das BGE zur Ruhe kommt", erzählt Lichtenberg. "Ein anderer musste nach einer Langzeit-Entzugskur nicht als erstes gleich ins Jobcenter, sondern hatte Zeit, selbst nach einem passenden Job zu suchen."

Dass das Projekt trotzdem nicht ausreichend Rückschlüsse auf die Langzeit-Auswirkungen eines lebenslangen und flächendeckenden BGE liefert, dessen ist man sich bewusst. "Wir sind kein wissenschaftliches Experiment und vergeben das Grundeinkommen nur für ein Jahr", räumt Lichtenberg ein. Dass kein Land diesen radikalen Schritt über Nacht wagen wird, ist ihm genauso klar wie Kovce von der Schweizer Initiative: "Das Grundeinkommen wird nicht mit einer Revolution, sondern pragmatisch, in kleinen Schritten kommen." Einer dieser Schritte ist, sich zu fragen: Was würde ich arbeiten, wenn für mein Einkommen gesorgt wäre? "Eine Frage, die alle aufruft, das zu tun, was sie tun würden, wenn ihre Existenz gesichert wäre", so Kovce. "Wer das tut, dient sich selbst und den anderen am besten."

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