Fahrt in die Ukraine!

Werbung
Werbung
Werbung

Die Financial Times Deutschland über den Umgang mit dem Regime in der Ukraine und den richtigen Umgang mit dem Drama um Julia Timoschenko.

Was machen wir nur mit der Ukraine? Seit Wochen überschlagen sich vor allem Politiker mit immer neuen Vorschlägen, wie man der Führung in Kiew Paroli bieten kann. Und es ist in der Tat nicht mitanzusehen, wie Julia Timoschenko, Ex-Ministerpräsidentin des Landes und bezopfte Ikone der Orangen Revolution, physisch und psychisch verfällt. Sie ist Opfer einer Führung in Kiew, die politische Gegner mithilfe einer willfährigen Justiz regelrecht fertigmacht. Nicht nur Timoschenko, sondern - was gerne übersehen wird - auch einige ihrer früheren Minister, Regimegegner, Journalisten. In der Ukraine herrscht seit Amtsantritt des - demokratisch gewählten - Präsidenten Viktor Janukowitsch wieder der Stalinismus.

Was also tun? Philipp Lahm, einer der wenigen Bundesligaspieler, die auch das Leben jenseits der Torauslinie wahrnehmen, hat ein Machtwort des europäischen Fußballverbands Uefa gefordert. Der könnte in der Tat aus einer Menge von Optionen wählen: Die Fußballeuropameisterschaft aus der Ukraine abziehen und nur noch im EM-Partnerland Polen spielen lassen. Oder die EM ganz abblasen.

Vorbild EU-Kommissare

Die Ballfunktionäre sind bislang halsstarrig. Sie beten ihr Mantra herunter, dass Fußball unpolitisch sei und ansonsten sehr viel zur Völkerverständigung beitrage. Machen wir uns keine Illusionen: Von der Uefa ist keine Hilfe im Fall Timoschenko zu erwarten. Was also tun? Die Ukraine vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagen, das sollte auf jeden Fall geschehen. Doch es hilft Timoschenko nicht. Bis die Richter mit der Sichtung oder gar Beurteilung der Beweislage zu Potte gekommen sind, ist die EM vorbei und Timoschenko verreckt. Was also tun?

Die EU-Kommissare sind dieser Tage einen guten Weg gegangen. Keiner von ihnen wird zur EM in die Ukraine reisen, solange es keine Lösung für Timoschenko gibt. Janukowitsch kann sich somit nicht mit Europas Prominenz schmücken, die neben ihm im Stadion hockt. Er wird für alle sichtbar international isoliert sein. Dem Beispiel der EU-Kommission sollten alle europäischen Staats- und Regierungschefs folgen.

Merkels Taktieren

Nur für Angela Merkel gibt es eine Ausnahme; sie darf sich mit der Entscheidung, ob sie in die Ukraine reist, um wieder Mesut Özils durchtrainierten Oberkörper zu besichtigen, durchaus noch Zeit lassen. Merkel taktiert mal wieder, aber das ist auch gut so. Sie demonstriert ihre Missbilligung der Machenschaften Janukowitschs, indem sie offenlässt, ob sie zur EM reist. Sie bricht dadurch nicht sofort alle Brücken nach Kiew ab, sondern hält den Zugang so weit offen, dass Westerwelles Diplomaten eine ärztliche Behandlung für Timoschenko aushandeln konnten. Aber da unabhängig von Timoschenko auch der Rest der Opposition in der Ukraine unterdrückt wird, sollten Merkel und ihre Minister letztendlich nicht zur EM fahren.

Und wie verhalten wir Fans uns? Wir sollten auf jeden Fall in die Ukraine fahren, unsere Teams in den Stadien bejubeln. Wir sollten offen auf die Menschen in der Ukraine zugehen. Auf diese Weise zeigen wir ihnen, dass sie nach wie vor zu Europa gehören.

Wenn wir Fußballfans in den Stadien sind, müssen wir uns allerdings unbedingt danebenbenehmen. Sobald Janukowitsch auf der Ehrentribüne auftaucht, werden wir ihn gnadenlos auspfeifen. So etwas als Gast in einem anderen Land zu tun ist zwar ausgesprochen unfein. Aber was Janukowitsch seinen politischen Gegnern antut, ist deutlich unfeiner.

Aus Financial Times Deutschland, 7. Mai 2012

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung