Faschistischer "Fürscht"

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Gudula Walterskirchen versuchte sich an der Biographie einer der umstrittensten Persönlichkeiten der Ersten Republik. Ernst Rüdiger Starhemberg, allzu naiv gesehen.

Ernst Rüdiger Starhemberg war eine der markantesten und umstrittensten Persönlichkeiten der Ersten Republik. Ein veritables Feindbild: Nicht nur ein "Fürscht", sondern auch Faschist. Finanzier der Heimwehren, ein Condottierre und Abenteurer, ein Wortdrescher, der in seinen Reden Köpfe rollen ließ und gegen die roten Bonzen wetterte. Ein Soldat, der von Schreibtischarbeit nichts hielt und seine Meinung entsprechend Zeitpunkt und Gesprächspartner änderte. Ein glühender Verehrer von Benito Mussolini. Das sollte genügen für ein fundiertes Urteil über diesen Volkstribunen, könnte man meinen.

Anfang der fünfziger Jahre liefen Sozialisten und Kommunisten gegen die Rückgabe seiner Güter Sturm. Da er mit ausländischen Mächten kooperiert und zur Zerstörung der Demokratie beigetragen habe, hätte er sein Recht verwirkt, seine von den Nazis beschlagnahmten Güter zurückzubekommen. Doch wie paßt in dieses scharf umrissene Bild das Eintreten des "Fürsten" gegen die Vollstreckung von Todesurteilen nach dem Februar 1934 und die demonstrative Ehrung der Toten der anderen Seite, sein früher Widerstand gegen die Nazis ("Niemand kann glauben, sich durch einen Kompromiß einen besseren Platz bei den Nationalsozialisten zu sichern - er hängt höchstens einen Marschtag früher" am 28. Jänner 1934 angesichts der NS-Terrorwelle) und seine kompromisslose Haltung gegen sie auch nach dem "Anschluss", die ihn das Exil vorziehen ließ, und nicht zuletzt sein Kampf in der französischen Armee gegen die Deutsche Wehrmacht?

Gudula Walterskirchen hat sich nach ihrem Buch über Adelige im Widerstand eines prominenten Vertreters des Adelsstandes angenommen. Ernst Rüdiger Starhemberg, der Nachfahre des Befreiers von Wien von den Türken, wurde 1899 als Sohn des sechsten Fürsten von Starhemberg geboren. Zum Familienbesitz gehörten sieben Schlösser mit Auhof, Eferding und Brunnwald, acht Ruinen, unter anderen Dürnstein, Senftenberg und Reichenau, nicht zu vergessen die knapp 6.000 Hektar Grundbesitz vornehmlich im Mühlviertel. Als Achtzehnjähriger meldet er sich im Ersten Weltkrieg an die Front und erlebt das Jahr 1918 als Zusammenbruch einer Welt, als den Offizierskameraden die Auszeichnungen von den Uniformen gerissen werden. Er studiert in Innsbruck, wird Mitglied einer schlagenden Verbindung, schließt sich 1921 dem "Freikorps Oberland" an, kämpft gegen polnische Einheiten und ist am Rande auch an Hitlers Münchner "Bierkeller-Putsch" 1923 beteiligt.

Nach dem Linzer Parteitag der Sozialdemokratie und Otto Bauers Drohung mit der "Diktatur des Proletariats" schließt er sich den Heimwehren an, bringt es 1929 zum Landesführer der oberösterreichischen Heimwehren, avanciert ein Jahr später zum Bundesführer und tritt in das Kabinett Vaugoin als Innenminister ein. Eine Beteiligung am Pfrimer-Putsch am 13. September 1931 kann ihm nicht nachgewiesen werden.

Aus eigenen Mitteln finanziert er die "Hahnenschwanzler" und gefährdet dadurch seinen gesamten Besitz. 1932 muss er den Ausgleich anmelden. 1933 fliegt der von ihm organisierte Waffentransport mit 80.000 Gewehren aus Italien auf ("Hirtenberg-Affäre"). Bei der Niederschlagung des sozialdemokratischen Aufstandes im Februar 1934 kommt ihm die Aufgabe zu, die Waffenfabrik in Steyr zu sichern. Zehn Tage später entgeht er knapp einem Bombenanschlag der Nazis. Nach der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß wird er Vizekanzler und Führer der Vaterländischen Front. Ein Glückwunschtelegramm an Mussolini nach dessem Abessinien-Feldzug, in dem in wenigen Zeilen achtmal das Wort faschistisch vorkommt ("Es lebe der Sieg des fascistischen Gedankens in der Welt"), macht ihn auch für Schuschnigg untragbar. Er verliert seine Ämter. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im März 1938 schreibt er einen unterwürfigen Brief an Hitler, um seine Kameraden der "Doppelreihe" vor den Verfolgungen der Nazis zu schützen. Er ruft zwar auf, bei der Abstimmung im April mit "Ja" zu stimmen, unternimmt aber nichts, um seinen Besitz zu retten.

Im Exil in Frankreich bemüht er sich um eine österreichische Exilregierung, spricht mit Julius Deutsch und glaubt, dass "die sozialistischen Gruppen in Wirklichkeit gar nicht österreichisch fühlen, sondern groß-deutsch". Enttäuscht meldet er sich zur französischen Armee, wird Kampfflieger unter der Bedingung, keine Einsätze über Deutschland und Österreich fliegen zu müssen. Nach einem Einsatz in Französisch-Äquatorialafrika und einer schweren Erkrankung sucht er 1942 um seine Entlassung an und übersiedelt nach Argentinien, wo ihn sein Freund, der Hirtenberger Waffenfabrikant Fritz Mandl, beherbergt.

Die Rückstellung seines Besitzes gelang erst 1954, nachdem seine Person zu einem innenpolitischen Zankapfel geworden war. Die Ratskammer des Straflandesgerichtes Wien stellte eine Voruntersuchung aufgrund einer Anzeige wegen Hochverrates ein. Ende 1955 kehrte Starhemberg schwer herzkrank aus dem Exil zurück, wenige Wochen später erlag er einem Herzanfall, nachdem er von einem Fotografen einer kommunistischen Zeitung fotografiert worden war, die konsequent seine Verhaftung gefordert hatte. Soweit ein biographischer Abriß mit Bruchlinien und offenen Fragen.

Gudula Walterskirchen begnügt sich selbstverständlich nicht mit einer chronologischen Wiedergabe des Werdeganges. Sie versucht, in thematischen Kapiteln dieser schillernden Persönlichkeit gerecht zu werden und ortet zumindest die Bruchlinien. Mangels einer professionellen redaktionellen Bearbeitung kommt es zu lästigen und peinlichen Wiederholungen von Zitaten und Einschätzungen, die der Leser geradezu als kränkend empfinden muss. Offenbar traut ihm die Autorin nicht zu, sich zum Beispiel das traumatische Erlebnis der Niederlage und der Wut des Volkes 1918 über die dekorierten Offiziere über hundert Seiten hinweg zu merken. Nachlässigkeiten stören, schmerzlich ist hingegen die Naivität, mit der die Bruchlinien überbrückt werden. Die Brücke, der unausgesprochene Tenor, klingt fast wie eine Lobeshymne: Er war ja nur ein Faschist und habe außerdem Mussolinis Faschismus nicht genau gekannt. Die von der Autorin gern aufgegriffene Entschuldigung, er habe vieles nicht so gemeint und sein Temperament sei eben des öfteren mit ihm durchgegangen, passen in dieses Bild.

Doch Worte können auch Taten sein, und Starhembergs Sprache war blutrünstig. Er rief regelrecht zum Mord am Wohnbaustadtrat Hugo Breitner auf, wenn er sagte: "Erst wenn der Kopf dieses Asiaten in den Sand rollt, dann wird der Sieg unser sein". Fast mit Empörung werden im Buch die hasserfüllten Zitate der Medien der Arbeiterbewegung wiedergegeben, doch wie anders hätten Sozialisten die Aktivitäten des "Fürsten" beurteilen sollen, der über die Erste Republik gemeint hat: "An Stelle des Monarchen kam eine Herde von Gaunern und Falotten, die nichts anderes können als Steuergelder vergeuden (...) Kameraden und Volksgenossen! Die Zeiten sind vorbei, da wir noch den Ehrgeiz hatten, staatserhaltend zu sein. Wir haben kein Interesse an Ruhe und Ordnung".

Gudula Walterskirchen hat mit dieser Biographie eine Chance vergeben, wenn es ihr auch an einigen Stellen gelingt, die Diskrepanz zwischen politischer Phrase und Realität zu zeigen. So hat Starhemberg zwar vom Putsch geredet, aber keineswegs zielstrebig darauf hingearbeitet und in entscheidenden Phasen zurückhaltend und staatstragend agiert. Sein Verhältnis zu seinen Frauen mag durchaus nicht so kaltblütig gewesen sein, wie es in den Medien dargestellt wurde, und die Tatsache, dass die Kritik der Nationalsozialisten, Sozialisten und Kommunisten an seiner Person fast das gleiche Vokabular gebrauchte, muss im Rückblick zu denken geben.

Dass seine im Exil geschriebene Autobiographie durchaus nicht ohne Selbstkritik ist und dies auch von Bruno Kreisky anerkannt wurde, vergißt die Autorin mit Recht nicht. Das Bemühen, die Geschichte nicht schwarz-weiß zu zeichnen, ist vorhanden, doch leider war auch Naivität Wegbegleiter der Autorin. Mit Naivität aber gelangt man nicht zu einem befriedigenden, fachlich fundierten Ergebnis. Da hilft es auch nicht, wenn im Anhang Parallelen zwischen Haider und Starhemberg gezogen werden, wobei ersterer in seiner Wortwahl als Wiedergänger erscheint, denn zu vertraut klingen Forderungen nach einer "Diktatur der Anständigkeit und des gesunden Menschenverstandes".

Starhemberg oder die Spuren der "30er Jahre"

von Gudula Walterskirchen

Amalthea Verlag, Wien 2002

334 Seiten, geb., e 24,90

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