Fast alles wie gehabt

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Entgegen allen Beteuerungen wird man in Europa sehr schnell wieder zur Tagesordnung übergehen.

Am schwersten erträglich waren die Betroffenheits- und Selbstbezichtigungsposen von SPÖ und ÖVP, namentlich ihrer Klubobleute Josef Cap und Wilhelm Molterer: Ja, man müsse alles tun, um Europa noch näher an die Bürgerinnen und Bürger heranzubringen; nein, nach einem solchen Wahlergebnis (gemeint vor allem die niedrige Wahlbeteiligung) könne man keinesfalls zur Tagesordnung übergehen; und, selbstverständlich - Verbeugung in Richtung Hans-Peter Martin -, man werde alles tun, um die Missstände, auf die der wackere Alemanne doch zurecht hingewiesen habe, zu beseitigen. Machen wir's doch gemeinsam, meinte der SP-Mann überschlau zu HPM; und die ÖVP versprach am Dienstag via Zeitungsinserate brav "eine sparsame und klare Spesenregelung".

Nun wissen selbst durchschnittlich aufmerksame Beobachter des politischen Geschehens, dass die Ankündigung, man werde den Ausgang von Wahlen, Volksbegehren u. ä. "sehr ernst nehmen", einfach zum Spiel dazugehört, aber nicht weiter von Bedeutung ist. Entgegen den Bekundungen am Wahlabend geht man stets sehr schnell wieder zur Tagesordnung über - und es dürfte diesmal nicht anders sein.

Natürlich wird man da und dort über Verbesserungen nachdenken. So ist es beispielsweise gut möglich, dass sich in der Spesenfrage etwas tut. Nur interessiert das, wenn es so weit ist, keinen Menschen mehr. Man erinnere sich an die quälenden, unsäglichen Diskussionen über Politikerbezüge in Österreich, die schließlich zum Bau der Gehaltspyramide geführt haben. Das Entzücken, als man damit fertig war, hielt sich freilich in Grenzen.

Auch die transparenteste Spesenregelung und die fleißigsten, effizientesten und bürgernähesten EU-Mandatare werden es nicht schaffen, das nächste Mal mehr Menschen zu den Urnen zu treiben und den Zulauf zu EU-skeptischen oder -kritischen Gruppierungen zu stoppen. Denn das Grundproblem ist natürlich struktureller Natur: Das EU-Parlament ist eine Quasi-Volksvertretung, die zwar sukzessive aufgewertet wurde und auch in der neuen Verfassung wieder mehr Kompetenzen erhalten soll, die aber dennoch keinesfalls mit den Legislativorganen auf nationaler Ebene vergleichbar ist. Damit aber entspricht das EU-Parlament nur der Realverfassung der Europäischen Union als ganzer, die eben weit davon entfernt ist, eine politische Einheit zu bilden, in der vielmehr die wesentlichen Entscheidungen von den Staats- und Regierungschefs (mit unterschiedlichem Gewicht) getroffen werden.

Ob man das nun bedauert oder nicht, man sollte es jedenfalls zur Kenntnis nehmen. Bevor man aber ins große Lamento verfällt oder, wie Konrad Paul Liessmann jüngst im Standard, befindet "Europa gibt es nicht", müsste man schon sehen, was bereits an "Europäisierung" passiert ist. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass diese EU-Wahl - im Unterschied zu früheren - auch als europäisches Ereignis rezipiert worden ist. Ausführlich wurde berichtet und analysiert, wie die Deutschen, Italiener, Spanier, Briten, Polen, Tschechen, Ungarn und all die anderen gewählt haben, was die Beweggründe gewesen sein mochten und welche Auswirkungen das jeweilige Ergebnis haben könnte.

Was für die EU-Wahl als ganze gesagt wurde, gilt in zugespitzter Weise für die neuen Mitgliedsländer (ohne Zypern und Malta), bei denen die Wahlbeteiligung im Schnitt noch tiefer lag, als bei den "alten 15". In diesen Ländern, die ihre - auch nationale - Freiheit erst vor anderthalb Jahrzehnten wiedererlangt haben, wird "Brüssel" mit besonderer Skepsis beäugt (wobei nicht übersehen werden sollte, dass sehr wohl auch proeuropäische Parteien in diesen Ländern punkten konnten). Dass diese Haltung beileibe kein Spezifikum des Biertisches ist, sich nicht einfach unter "dumpfe Ressentiments" subsumieren lässt, kann man etwa an Äußerungen des polnischen Publizisten Adam Michnik, eines der führenden liberalen Intellektuellen des Landes, erkennen.

Wie also geht es weiter? Das Europäische Parlament, die Union als ganze werden weiterhin so recht und schlecht funktionieren und sich dabei Schritt für Schritt weiterentwickeln. Nicht mehr. Fast alles wie gehabt.

rudolf.mitloehner@furche.at

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