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Bei den Sympathiewerten liegt Schröder beständig vor Stoiber, doch haben sich die Unionsparteien während der letzten Monate immer deutlicher von den Regierungsparteien gelöst. Wird die große Flut noch einmal alles ändern?

Rettet die Flutkatastrophe an Elbe und Mulde Bundeskanzler Gerhard Schröder das Amt und damit das politische Überleben? Die Frage erscheint zu simpel und angesichts des Ausmaßes der Katastrophe, der tausendfachen Vernichtung von eben erst aufgebauten Existenzen, des möglichen wirtschaftlichen Absackens ganzer Regionen in den östlichen Bundesländern und nicht zuletzt wegen der Kosten auch an Menschenleben deplaziert. Aber damit ist die Frage nicht aus der Welt - und weil, anders als in dem von Überschwemmungen ebenfalls heimgesuchten Österreich, in Deutschland in gut drei Wochen Bundestagswahlen anstehen, durchaus realistisch.

Während der letzten Wochen und Monate hatte man sich daran gewöhnt, staunend zu beobachten, wie sich der Vorsprung der Unionsparteien festigte, so dass manche Profis in der Meinungsbranche das Rennen vom 22. September bereits für gelaufen hielten. Und dies trotz des Umstands, dass Edmund Stoiber als Gegenspieler des amtierenden Kanzlers bislang weit weniger zu überzeugen vermochte, als nach seiner Kür zum Kanzlerkandidaten erwartet worden war. Partei- und Kanzlerpräferenzen liefen denn auch die ganze Zeit über beträchtlich auseinander. Während die Union bis Mitte August stabil fünf bis sechs Prozent vor der SPD lag und die Christdemokraten zusammen mit den Freidemokraten immer eine zwar knappe, aber ausreichende Mehrheit gegenüber Rot-Grün behaupteten, liegt Stoiber bei den Sympathiewerten ebenso kontinuierlich um ein Dutzend Prozente hinter Schröder. Aber das kennt man ja: Sympathiewerte sind eines, das Votum für eine bestimmte Partei etwas anderes.

Angesichts der für die Regierungsparteien schlechten Umfragedaten ist Rot-Grün denn auch übermäßig nervös geworden. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, sonst ein Meister der politischen Taktik, ließ sich ohne jede Not auf einen Kleinkrieg mit Springers Bild-Zeitung über die sogenannte Bonusmeilen-Affäre ein. Und Gerhard Schröders Schwenk in der Irak-Politik bis hin zur Proklamation eines Feind wie Freund verschreckenden "deutschen Weges" - gegen alle Maßgaben auch der europäischen Verbündeten und gegen den Rat der eigenen Militärs - nahm sich wie der Griff nach dem letzten Strohalm aus: Friedenspolitische Verlässlichkeit sollte wenigstens die Kernwähler von Rot-Grün mobilisieren. Und selbst die Ergebnisse der Hartz-Kommission wirkten in der konkreten Situation eher wie das Eingeständnis ungenutzter Gelegenheiten denn als neuer Reformschwung.

Hat die Flutkatastrophe nun alles verändert? Oder ist der neue Auftrieb für SPD (und die aus anderen Gründen schwächelnden Grünen) nur herbei geredet? Wirklichen Aufschluss darüber wird erst das Wahlergebnis selbst geben. Vorläufige Positionsgewinne des Kanzlers wie der Regierungsparteien sind aber offensichtlich. So uneinheitlich die Umfrageergebnisse von Ende August - die ersten also nach der Flutkatastrophe - sind, um zwei bis drei Prozent steht die SPD nun fast einheitlich besser da als vor der Flut, und das keineswegs überraschend. In einer ganz außergewöhnlichen, an nationalen Notstand grenzenden Situation, von der Millionen betroffen sind, in der Unzählige in ihrer Existenz bedroht sind und beim Aufbau Ost - man denke an Sachsen, das nach vorläufigen Schätzungen an die 80 Prozent aller Flutschäden in Deutschland zu verkraften hat - gebietsweise praktisch noch einmal neu angesetzt werden muss, schaut die Nation auf die Regierung. Bei ihr liegt das Gesetz des Handelns. Das verschafft auch einer angezweifelten Regierung Handlungskompetenz. Die Schröder-Regierung hat sie klug genutzt. Mit der Verschiebung der Stufe 2003 ihrer Steuerreform ging sie zwar den leichtesten, aber auch den am nächsten liegenden Weg. Welche mittel- und langfristigen Probleme mit einer solchen Entscheidung verbunden sind - Nachteile für den Mittelstand, das Nachsehen der Familien, die durch die Reform 2003 deutlicher entlastet würden als die Singles -, wird in einer solchen Notsituation verständlicherweise weniger bedacht, schon gar nicht von den unmittelbar Betroffenen.

Die Maßnahmen der Regierung blockieren kann die Opposition nicht, auch wenn sie über den Bundesrat rein theoretisch die Möglichkeit dazu hat - hätte, müsste man sagen, denn allein schon für die CDU-Ministerpräsidenten wäre das selbstmörderisch, und die Opposition könnte ihren Wahlkampf gleich abbrechen. Die eingeschlagene Doppelstrategie aber, die Regierungsbeschlüsse passieren zu lassen und für die eigene präsumptive Regierungszeit zugleich die Gegenstrategie zu verkünden, ist dem Durchschnittswähler gleich welcher Couleur nicht zu vermitteln und stellt die Unionsparteien also abrupt vor ein fundamentales Glaubwürdigkeitsproblem.

Dass der perfekte Selbstdarsteller Schröder in der direkten Bildschirmkonfrontation seinem Herausforderer haushoch überlegen sein würde, glaubten selbst treue Unionsanhänger. Das Fernsehduell Schröder gegen Stoiber vom vergangenen Sonntag, das erste von zwei geplanten, zeigte jedoch ein anderes Bild. Die ersten demoskopischen Schnellschüsse sahen zwar Schröder in leichtem Vorteil, aber so gut wie alle Profis bestätigten Stoiber, er habe einen guten Auftritt gehabt, habe insgesamt positiv überrascht und - zumindest argumentativ - mit dem Kanzler gleichgezogen.

Ungeachtet dessen - bestimmen wird den Wahlausgang die Bilanz der Regierung Schröder und nicht die unter Stoiber (und Merkel) wieder mehrheitsfähige Union. Die Schröder-Bilanz aber ist sehr durchwachsen. Der Kanzler hat insgesamt keinen schlechten Job gemacht: Die Reform der Körperschafts- und Einkommensteuer, die Rentenreform mit einem ersten Teilumstieg auf kapitalgedeckte Finanzierung, das Staatsbürgerschafts- und das Einwanderungsgesetz waren wichtige Schritte nach vorn. In der Summe gab es bei den Steuern aber wenig Entlastung. Die Ökosteuer als Lenkungssteuer bleibt umstritten. Die sogenannte Riester-Rente als steuerlich geförderte Selbstvorsorge scheint trotz guter Testate beim Kunden noch nicht so recht angekommen zu sein. Anderes, wie die "Homo-Ehe", die Einführung eines eigenen Rechtsinstituts für homosexuelle Lebenspartnerschaften, kann als Modernisierungschritt ausgegeben werden, interessiert aber nur Minderheiten. Im Aufbau Ost konnten unter Schröder neue Akzente nicht wirklich gesetzt werden. Die arbeitsmarktorganisatorischen und -politischen Maßnahmen kommen jetzt zu spät, ähnlich zu spät wie die Kohl-Waigel'sche Steuerreform 1997/98. Entschieden ist also so oder so nichts, aber spannender dürfte es in den letzten Wochen vor der Wahl werden.

Auch substantieller? Die Klagen über immer substanzlosere, oberflächlichere, im Grunde langweiligere Wahlkämpfe, die Politikverdrossenheit fördern, anstatt sie abzubauen, sind Legion. Sie werden in Deutschland noch etwas lauter und klagender vorgetragen als anderswo, da bereits ein paar Prozent weniger Wahlbeteiligung bei Neuwählern Zweifel an der Zukunft der Demokratie aufwerfen. Mit politischer Realität hat das wenig zu tun, eher schon mit reflexhaftem Misstrauen gegenüber der eigenen demokratischen Standfestigkeit - im Osten wie im Westen. Richtig ist freilich, dass kein Wahlkampf, aber auch keine politische Diskussion im Um- und Vorfeld von Wahlkämpfen an die wirklich substantiellen Fragen der Zukunftsgestaltung herankommt.

Letztes großes Thema im Wahlkampf ist mit Sicherheit Europa. Wir befinden uns in einer delikaten Phase europäischer Integration unmittelbar vor der Osterweiterung und der Reform der europäischen Institutionen. Natürlich ist allen, Großen wie Kleinen, das nationale Hemd näher als der europäische Rock. Doch darf vom bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten europäischen Land diesbezüglich wenn schon nicht eine europäische Pionierrolle so doch wenigstens der Verzicht auf alle Sonderwege erwartet werden, so sozial und europaverträglich sie auch interpretiert werden. Schröder hat sich da immer schon etwas schwer getan. Stoiber, seit je bekennender Regionalist und auch kein Liebhaber von Brüsseler Delikatessen, scheint die Gefahr erkannt zu haben und wenigstens im Wahlkampf etwas europäischer zu argumentieren - hoffentlich nicht nur taktisch. Und natürlich sind nicht nur innere und äußere Sicherheit sondern Beschäftigung, Altersvorsorge und Bildung genauso europäische Fragen wie Umwelt und Verkehr. Die Probleme sind längst europaweit die gleichen, man wird ihnen also auch nur mit europaweiten Lösungen beikommen.

Der Autor war lange Jahre Chefredakteur der Zeitschrift "Herder-Korrespondenz".

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