"Fingerzeig Gottes"

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Gudula Walterskirchens Biographie des Ständestaat-Kanzlers.

Gudula Walterskirchen konzentriert sich in ihrer flüssig und spannend geschriebenen Biographie erstens auf die Rolle des Katholizismus, der Engelbert Dollfuß maßgeblich motivierte. Ihr zweiter Schwerpunkt ist seine Nachwirkung: die Stilisierung zum Märtyrer und gleichzeitig zum Feindbild Nummer eins unmittelbar nach seiner Ermordung, die Zeit der großen Koalition, das Jahr 2000 bis zur Verhöhnung von Andreas Khol als "Kholfuß" wegen seiner Haltung zur Dollfuß-Frage. Die Biographie beginnt - und das ist sehr geschickt gemacht - mit Interviews von Heinz Fischer (er überzeugt mit einer ausgewogenen Argumentation), Andreas Khol, Herbert Kraus, Franz Olah und Otto von Habsburg.

In Walterskirchens Darstellung - das ist ihre Hauptthese - erscheint Dollfuß als ein "Berufener", der, von einem tiefen Sendungsbewusstsein erfüllt, Österreich vor dem "Antichrist" Hitler, aber auch vor den antikirchlichen Kräften der Sozialdemokratie retten wollte. Die Biographin führt zahlreiche Belege an, dass Dollfuß seine entscheidende politische Maßnahme, nämlich die Ausschaltung des Parlaments im März 1933, durch die Vorsehung legitimiert sah. Just einem Sozialdemokraten erzählte er im Zug nach Wien, dass er während seiner Villacher Rede am 5. März den "Fingerzeig Gottes" gespürt habe: "Wenn du, so sagte er mir, Österreich glücklich machen willst, dann musst du dich gegen dieses Parlament wenden, das unfähig ist, die Geschicke Österreichs zu bestimmen."

Gleichsam unter der Uniform des Frontoffiziers verbirgt sich, so Walterskirchens These, der Theologe Dollfuß: dieser war nach der Matura ins Priesterseminar der Erzdiözese Wien eingetreten und hatte Theologie studiert (um allerdings bald wieder auszutreten). Die tiefe Religiosität war geblieben. "Dieses damals sehr offensichtliche Sendungsbewusstsein ist heute in unserer fortgeschrittenen areligiösen Zeit unterschätzt, aber erst dadurch ist es überhaupt möglich, seine politische Handlungsweise nachzuvollziehen."

Damit können wir Dollfuß besser erklären, aber, so Walterskirchen, "keinesfalls entschuldigen". Für unentschuldbar hält sie vor allem die Exekutionen im Februar 1934. Insgesamt möchte sie aber das "Entweder-Oder" durch ein "Sowohl als Auch" aufbrechen. Dollfuß könne, was den Kampf gegen den Nationalsozialismus betrifft, durchaus als "Held" gesehen werden oder einfach als jemand, der sich nach Zeitumständen und Möglichkeiten richtete.

Engelbert Dollfuss.

Arbeitermörder oder Heldenkanzler?

Von Gudula Walterskirchen. Molden Verlag, Wien 2004, 320 S., geb., e 24,80

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