Flüchtlingssterben in die libysche Wüste ausgelagert

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„Tutto perfetto“, versuchte der italienische Innenminister kürzlich in einem TV-Interview zu signalisieren: In zwei Jahren Regierung Berlusconi seien 40.000 Migranten abgeschoben worden. Und noch wichtiger: Die Zahl der Ausländer, die Süditalien über das Mittelmeer erreichen, sei seit dem Inkrafttreten eines Kooperationsabkommens mit Libyen im vergangenen Mai um 90 Prozent rückgängig.

„Catastrofe totale“ zeigte hingegen ein Fernsehbericht des italienischen Aufdeckungsjournalisten Fabrizio Gatti letzte Woche im Programm Rai Due. Der Chefreporter der Zeitschrift L’Espresso zeigte in der Sendung Anno Zero Handyaufnahmen von Leichen in der libyschen Wüste. Mitarbeiter von Gatti hatten im diese Fotos zugespielt. Die Toten tragen italienische Kleidung, für Gatti ein Beweis dafür, dass es sich dabei um aus Italien nach Libyen abgeschobene Migranten handelt. Der Journalist wirft dem libyschen Regime vor, die abgeschobenen Migranten in einen 80 Kilometer weiten Wüstenstreifen zu treiben – und die italienische Regierung trage Mitverantwortung.

Seit Jahren macht Gatti mit seinen authentischen Berichten à la Günter Wallraff auf das Elend von Flüchtlingen und Migranten aufmerksam: Als Kosovo-Albaner bekam er zu spüren, wie die Schweizer Polizei mit den unwillkommenen Flüchtlingen umging. Als Rumäne in Italien verdingte er sich für einen Hungerlohn auf italienischen Tomatenplantagen.

Als Flüchtling verkleidet unterwegs Richtung Europa

Doch dann seine spektakulärste „Verkleidung“: Von Dakar zieht er als Flüchtling Bilal bis in die Sahara; auf Lastwagen durchquert er mit Hunderten anderen die Wüste. Immer wieder werden sie überfallen. Schlepper und korrupte Polizisten wechseln sich ab, den Flüchtlingen ihre Habe zu nehmen. Viele stranden, manche Spur verliert sich für immer.

Seit diesen Enthüllungen verweigert Libyen dem Journalisten Gatti ein Visum. Das Land will keine Zeugen, die sich für den Umgang der Behörden und der Armee mit illegalen Migranten interessieren. Doch Gatti kann seine Recherche weiterführen. Über E-Mails und Blogs versorgen ihn Afrikaner regelmäßig mit Informationen. Und Gatti klagt an: Wenn die libysche Polizei Illegale entdeckt, werden sie unversorgt in der Wüste ausgesetzt, wo viele verhungern oder verdursten. Andere landen in Abschiebelagern, wo man sie foltert. Diejenigen, die dazu in der Lage sind, machen sich freiwillig auf den Heimweg, selbst wenn er Monate oder Jahre dauern kann.

Gatti warnt vor weiteren Abkommen zur Übernahme von Migranten und Flüchtlingen zwischen europäischen Staaten und dem Gaddafi-Regime. Frankreichs Europastaatssekretär Pierre Lellouche verurteilte in diesem Sinn auch die Ausschreitungen gegen afrikanische Erntehelfer in Süditalien. „Was da passiert ist, ist nicht zu rechtfertigen“, sagte er. „Es verdient umgehend die härteste Bestrafung, weil das nicht das Bild ist, das wir von Europa verbreiten wollen.“ Gleichzeitig denkt aber Frankreich ebenfalls daran, ein Rücknahme-Abkommen mit Libyen zu schließen. Was für ein Bild von Europa … (wm)

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