Fragen von Recht - und Ehre

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Die "Internationals" wollen im Kosovo "westliches" Recht etablieren - und kümmern sich nicht um althergebrachte Rechtstraditionen. Susanne Brandstätter dokumentiert dies im Film "Rule of Law" eindringlich.

Das Kosovo, seit 1999 unter internationaler Verwaltung, harrt weiter einer klaren Perspektive. Am 26. Jänner legen in Wien die UNO-Vermittler Martti Ahtisaari und Albert Rohan diesbezügliche Vorschläge vor. Am gleichen Tag läuft der exemplarische Dokumentarfilm Rule of Law - Justiz im Kosovo von Susanne Brandstätter an.

März 2004, Zeit der letzten großen Unruhen im Kosovo. Ein albanischer Mob steinigt einen Serben und seine betagte Mutter zu Tode. Sechs Männer sind angeklagt, am Lynchmord beteiligt gewesen zu sein. Die UN-Mission hat einen Gerichtshof eingerichtet, der über Schuld oder Unschuld der Angeklagten befindet. "Rule of Law" - die "Herrschaft des Gesetzes", also Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, soll im geplagten Land etabliert werden. Das internationale Gericht will das den Kosovaren vorexerzieren.

Claudia Fenz, Richterin aus Österreich, steht dem dreiköpfigen Richtersenat vor und erlebt beim Prozess, der von Anfang bis Mitte 2005 dauert, ihre blauen Wunder: Die Angeklagten widerrufen die vor der Polizei getätigten Aussagen, wollen sich auf einmal an nichts erinnern und schon gar nicht einander belasten. Mehr als einmal stellen sie die resolute Richterin auf eine harte Geduldsprobe; die Verteidiger versuchen, das Verfahren zu Fall zu bringen und dieser Richterin - eine Frau in der patriarchal geprägten Welt! - zu zeigen, was Sache ist. Doch Fenz und auch die französische Staatsanwältin wissen sich zu wehren.

Spartanisch dokumentiert Susanne Brandstätter die Verhandlung; dass man ein mühsames Gerichtsverfahren mit extrem reduzierter Kameraaktivität so spannend auf die Leinwand bringen kann, mag erstaunen.

Fremde (Körper-)Sprache

Claudia Fenz ist eine der "Internationals", die im Kosovo westliches Rechtsdenken zu etablieren suchen. Sie spricht wie die anderen von außen Englisch, die Angeklagten und ihre Anwälte Albanisch, alles muss mühsam übersetzt werden; Fenz klagt einmal, wie schwer es diese Umstände machen, als Richter zu agieren: In Österreich wisse sie, ob ein Angeklagter lüge oder nicht. Hier, wo sie die Sprache, erst recht die Körpersprache nicht verstehe - bedeutet Nicken hier nicht "Nein"? - kann sie das Verfahren viel weniger steuern als in der Heimat.

Die Befindlichkeit von Claudia Fenz ist aber nicht das größte Problem. Schlimmer, wird der Richterin allmählich bewusst, ist eine Art juristischer Kolonialismus: Die Internationals sind ins Land gekommen, haben ihre Vorstellungen von Recht und Gesetz eingeführt und sich keinen Deut darum gekümmert, was bisher war. Erst als Claudia Fenz sich mit Osman Kuçi, ihrem Übersetzer, anfreundet, entdeckt sie, dass parallel im Lande nach wie vor der Kanun, das 600 Jahre alte Gewohnheitsrecht, praktiziert wird: Dorfrichter sprechen nach diesem strengen Kodex von Ehre, Fehde, Blutrache Recht.

Fenz besucht unter Osmans Führung einige der Dorfrichter - Susanne Brandstätter und ihr Team kommen fürs Leinwandpublikum mit. Und Richterin wie Regisseurin entdecken und dokumentieren Erstaunliches: Auch wenn an der Kanun-Rechtsprechung manches archaisch und mit heutigem Rechtsempfinden wenig kompatibel anmutet, funktioniert die Befriedung von Konflikten und Familien auf erstaunliche Weise. Vor allem das Prinzip, dass auch bei Kapitalverbrechen die Versöhnung der Familien im Mittelpunkt steht (und nicht bloß die Bestrafung der Täter), fasziniert die Richterin.

Susanne Brandstätter gelingt es, diesen Zwiespalt zwischen modernem Recht (Fenz kommt in "ihrem" Prozess schließlich zu einem Urteilsspruch) und althergebrachtem Recht darzustellen. Der Film zeigt in berührender Klarheit auf, dass das Recht eben nicht nur auf Seiten der internationalen Funktionäre steht, sondern auch bei den alten, als Weise verehrten Dorfrichtern zu finden ist.

Als Claudia Fenz Ende 2005 den Kosovo wieder verlässt, regt sie an, das alte System des Kanun in eine moderne Jurisdiktion des Kosovo zu integrieren.

RULE OF LAW - Justiz im Kosovo

Ö 2006. Regie: Susanne Brandstätter. Mit Claudia Fenz, Osman Kuçi. Verleih: Filmladen. 99 Min. (26. und 27. Jänner, 17.15: Filmvorführung, anschl. Diskussion mit Claudia Fenz bzw. Susanne Brandstätter.

Votivkino, Wien - www.votivkino.at)

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