Frauen zum militärischen Ziel erklärt

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Die größte Frauenorganisation Kolumbiens ist in ihrer Existenz bedroht und sucht nach internationaler Unterstützung.

Ein Sonntagmorgen im vergangenen November: Obwohl beim Eingang des Wohnblocks ein Wachtposten steht, dringen zwei maskierte bewaffnete Männer in die Wohnung von Yolanda Becerra in Barrancabermeja ein, drückten eine Waffe an ihre Stirn und drohen: "Wenn du nicht binnen 48 Stunden von hier verschwindest, wird es dir und deiner Familie schlecht ergehen!" Yolanda denkt, ihre letzte Stunde habe geschlagen. Die beiden Männer können sie ohne weiteres töten, doch sie tun es nicht. Warum? "Die politischen Kosten im Fall einer Ermordung wären zu hoch", erklärt Jackeline Rojas. Auch in ihre Wohnung war an diesem Sonntag ein Kommando der Paramilitärs eingedrungen. Sie machten das Türschloss mit einem Kleber unbrauchbar. Auch "nur" eine Drohung: Wir können euch jederzeit erwischen!

Die beiden Frauen gehören dem Führungsgremium der "Organización Femenina Popular" (OFP) an, der international renommiertesten Frauenorganisation Kolumbiens. Drei Mitarbeiterinnen der Organisation wurden in den letzten Jahren von den Paramilitärs ermordet, über 140 angegriffen, bedroht, entführt. Die OFP entstand 1972, in den goldenen Zeiten der Befreiungstheologie, aus der Sozialpastoral der Diözese Barrancabermeja heraus. Diese Stadt mit etwa 350.000 Einwohnern liegt am Mittellauf des Rio Magdalena, dem größten Fluss Kolumbiens, und ist seit Jahrzehnten das Zentrum der Erdölindustrie des Landes. Bis Ende der 1990er Jahre stand sie noch unter der Kontrolle der Guerilla-Organisationen FARC und ELN, dann erkämpften die Paramilitärs mit tatkräftiger Unterstützung von Polizei und Militär die Vorherrschaft. Seither ist die Stadt ein Modellfall dafür, wie Kolumbien aussehen könnte, wenn alles nach dem Willen der Paramilitärs und des Präsidenten Uribe ginge.

Eigentlich gibt es sie ja gar nicht mehr, die Paramilitärs: Über 30.000 Paras erklärten ihre Abkehr vom bewaffneten Kampf. Aber seit einem Jahr kommen immer mehr Enthüllungen über die enge Zusammenarbeit der Paramilitärs mit Polizei und Militär und mit Politikern aus dem Umfeld des Staatspräsidenten an die Öffentlichkeit. Über ein Dutzend Abgeordnete sitzt deshalb in U-Haft, gegen Vertraute des Präsidenten laufen Untersuchungen.

Warum aber hassen die Paramilitärs diese Frauenorganisation? Yolanda Becerra, seit bald 20 Jahren Direktorin der OFP: "Wir sind eine Bürgerbewegung von Frauen, die für eine Veränderung der Strukturen dieser Gesellschaft eintreten." Der Versuch, solche Veränderungen umzusetzen, ist in Kolumbien lebensgefährlich. Jackeline hat das ganze Ausmaß der in der Region herrschenden Gewalt persönlich kennengelernt. Vor zehn Jahren ist ihr Vater von der FARC ermordet worden, da er von seinem Arbeitgeber verpflichtet wurde, als Chauffeur für das Militär zu arbeiten. Leiharbeit mit tödlichen Folgen. Ihr Bruder wurde von den Paramilitärs umgebracht, weil er in der Gewerkschaft aktiv war. Und ihr Mann, ebenfalls Gewerkschafter, war Ziel eines Attentats.

Aufräumen mit Opposition

Yolanda lächelt: "Es ist sicher nicht leicht, aber wir suchen und finden Ventile. Wir sprechen viel miteinander über die Angst, um sie zu entmystifizieren. Es gibt dennoch Momente, in denen du glaubst, nicht weiter zu können." Für Jackeline ist klar, dass die Struktur des Paramilitarismus auf ein politisches Ziel hin ausgerichtet ist: Mit allem aufzuräumen, was zum Staat in Opposition steht. "Dazu gehören auch wir. Doch da entsteht für uns ein Widerspruch. Wir wollen nämlich nicht nur unser eigenes Leben retten, sondern auch das der Paramilitärs. Denn der einfache Para, der Kämpfer an der Basis, kann auch der Sohn meiner Nachbarin sein oder ein Spielgefährte aus meiner Kindheit, den sie für ihre kriegerischen Ziele eingefangen haben."

Die Organisation muss jetzt neue Strategien entwerfen, um das Leben der Aktivistinnen und ihre Arbeit zu sichern. Deshalb hat die OFP eine Kampagne ausgearbeitet mit dem Ziel, weltweit "eine Million Freundinnen und Freunde" zu gewinnen. In Österreich wird diese Kampagne von der Katholischen Frauenbewegung, dem Verein Frauensolidarität und der Informationsgruppe Lateinamerika getragen (Unterstützungserklärung unter www.frauensolidaritaet.org). Jackeline Rojas: "Stell dir vor, wie sie erschrecken werden, wenn es plötzlich statt 3500 Frauen und Männer eine Million mehr sind, die uns unterstützen!"

Der Autor ist Redakteur bei den Zeitschriften "Südwind" und "Lateinamerika anders".

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