"Frei fühle ich micht nicht"

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Im Irak wie in Afghanistan: Gerade den Frauen wird zugetraut, ihren Staat aufzubauen - unter Lebensgefahr.

Vielleicht sind es die Gene. Vielleicht sind wir Frauen einfach stärker als die Männer." Rajaa Al-Khuzai ist eine der führenden Frauenaktivistinnen im Irak - eine jener Irakerinnen, die ihre Stimme für Menschenrechte und Demokratie erheben und dabei täglich ihr Leben aufs Spiel setzen. Immer öfter sind irakische Frauen - und besonders Politikerinnen wie Al-Khuzai - Zielscheiben des Terrors. Sie war führendes Mitglied der im Juni 2004 installierten Übergangsregierung und setzte ihre Unterschrift unter den neuen Verfassungstext.

"Wir waren drei weibliche Abgeordnete. Zuerst wurde eine meiner Kolleginnen vor ihrem Haus ermordet, die zweite verlor ihren Sohn durch ein Attentat. Ich war sicher, ich bin die nächste", erzählt die 60-jährige Ärztin. Nach und nach hat sie ihre Auftritte in der Öffentlichkeit eingeschränkt, heute geht sie kaum außer Haus, kommuniziert nur mehr per E-Mail oder Handy. Dass Al-Khuzai durch ihre politischen Aktivitäten auch ihre Familie in große Gefahr bringt, ist der siebenfachen Mutter bewusst. Ihr Ehemann - ebenfalls Arzt - wurde bedroht, mittlerweile hat er seine Praxis geschlossen. Ohne Bodyguards kann kein Familienmitglied mehr auf die Straße gehen: "Zuerst hatte ich sechs, dann zwölf, jetzt dreißig", seufzt Al-Khuzai und: "Aber ich mag es nicht, immer begleitet werden zu müssen. Frei fühle ich mich nicht."

Blumen für US-Soldaten

Im März 2003 hoffte Al-Khuzai auf die neue Freiheit. "Wir waren wirklich sehr froh über den Regimewechsel und begrüßten die Alliierten mit Blumen. Niemand kann sich vorstellen, wie wir unter Saddam Hussein gelitten haben." Die jahrzehntelange Diktatur, die Kriege und das UN-Embargo, das zu fatalen Engpässen bei Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung führten, sind eine Tragödie für die ganze Nation gewesen. "In dieser Zeit haben die irakischen Frauen die Vater-und Mutterrolle gelernt, sie haben alle Aufgaben übernommen, weil die Männer im Krieg waren", sagt Al-Khuzai.

Von Befreiung keine Rede

Ihre Hoffnung auf bessere Zeiten nach dem Ende der Diktatur hat sich nicht erfüllt. Häusliche Gewalt, Vergewaltigungen und Prostitution haben zugenommen. "Auch den Frauenhandel gibt es jetzt in großem Maß. Die Kriminalität nimmt immer neue Formen an, Kidnapping ist zur Alltäglichkeit geworden." Terroristische Splittergruppen wollen die hauptsächlich von Schiiten und Kurden gestützte Regierung zu Fall bringen. Sie intrigieren in der Bevölkerung, hetzen Sunniten und Schiiten gegeneinander auf. Al-Khuzai: "Nie hätte ich gedacht, dass sich Irakis, die schon hunderte von Jahren nebeneinander leben, gegenseitig töten würden. Das kommt nicht aus ihren Herzen, sie tun es, weil eine dritte Partei Gewalt und Hass schürt." Dass fundamentalistische Gruppen die instabile Situation im Irak ausnutzen und auf einen islamischen Staat hinarbeiten, bedauert die gläubige Muslimin. "Die Scharia ist ein exzellentes Gesetz, aber das Zivilgesetz ist um vieles besser."

Tatsächlich scheint der Irak in eine zunehmend konservative Richtung zu steuern. Daliya Falah Shawkat, die Tochter von Al-Khuzai, die ihre Mutter zum Pressegespräch in Wien begleitet, erzählt, dass sie unter Saddam Hussein mit kurzen Hosen und Röcken zum Shoppen gegangen ist - wer das jetzt tut, muss mit Bedrohungen und Angriffen islamischer Fundamentalisten rechnen: "Es ist paradox. Saddam hat so viele Menschen getötet, die Freiheit war eingeschränkt, wir durften unsere Meinung nicht sagen. Andererseits war auch vieles einfacher", sagt Shawkat.

Ärzte, Lehrer - ab ins Ausland

Unter dramatischen Bedingungen hat die 24-Jährige an der Universität Bagdad Pharmazie studiert: "Es wurde von Tag zu Tag, von Monat zu Monat härter. Am Anfang habe ich mit dem Taxi eine halbe Stunde zum College gebraucht, später zwei Stunden. Viele Straßen sind wegen der Autobomben geschlossen." Gute Professoren gäbe es schon lange nicht mehr, viele seien getötet worden, andere, meist solche mit Diplomen aus westlichen Ländern, hätten den Irak verlassen. Wie ihre Mutter engagiert sich Shawkat in der Politik - auch sie kann nur mit Bodyguards das Haus verlassen. "Seit einem Jahr stehe ich quasi unter Hausarrest."

Zu den größten zivilen Problemen im Irak zählt derzeit die mangelhafte medizinische Versorgung. Es fehlt an Spitälern, an geeigneten Instrumenten und an guten Ärzten - auch von ihnen haben viele das Land verlassen, um sich anderswo eine Existenz aufzubauen. Besorgnis erregend ist für Al-Khuzai die steigende Krebsrate. "Das hat mit dem Uranium zu tun, das im Südirak eingesetzt wurde. Seit dem ersten Irakkrieg haben sich die Krebsfälle verfünffacht."

15-jährige Witwen versorgen

Mit ihrem sozialpolitischen Engagement möchte Al-Khuzai vor allem die Situation der Zivilbevölkerung verbessern. Für die zahlreichen, oft erst 15 oder 16 Jahre alten Witwen hat sie die irakische Witwenorganisation aufgebaut, die als einzige Initiative im Irak von der Weltbank finanziert wird und für viele Frauen die letzte Möglichkeit zur Existenzsicherung darstellt. "Jedes Monat kommen 3000 junge Witwen dazu. Ich bin froh, wenn ich ihnen helfen kann, aber traurig, weil unsere Mittel bei weitem nicht für alle reichen. Wir brauchen mehr Hilfe von den NGOs", appelliert Al-Khuzai.

Ans Aufgeben denkt sie jedoch nicht, kämpft trotz des Risikos weiter. Sie hofft auf einen baldigen Abzug der amerikanischen Truppen - der müsse allerdings langsam und graduell verlaufen. "Solange die irakische Armee nicht stark genug ist, hat der Abzug keinen Sinn", meint Al-Khuzai, "aber sobald das der Fall ist, können sich die Irakis selber sicher besser schützen als die Amerikaner. Dann kommen wir auch gegen die Terroristen an."

Die neue irakische Verfassung, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau explizit garantiert und die Zahl weiblicher Abgeordneter mit einer 25 Prozent-Quote regelt, gibt der Frauenaktivistin Al-Khuzai Grund zur Hoffnung. "Das sind Fortschritte, die es nicht einmal in Europa überall gibt. Den Frauen und Mädchen gehört die Zukunft," meint sie. "Auch wenn derzeit nicht alles so gut ausschaut. Wir müssen stark und optimistisch bleiben. Das Leben muss weitergehen."

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