Freundschaft am Ende der Flucht

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Omar ist 16 Jahre alt und kennt den Krieg besser als den Frieden. Als er nach Österreich geflüchtet ist, war er allein. Connecting People hat ihm eine Patin vermittelt, die sich nun um ihn kümmert.

Die Schüsse in Omar Ali Omaris Kopf sind leiser geworden. Verstummt sind sie noch nicht. "Irgendwann", sagt der 16-Jährige, "bringe ich mich um, wenn die Träume nicht aufhören." Träume, in denen ein Gewehr auf ihn gerichtet ist, in denen er Mienen suchen muss wie noch vor drei Jahren und sich bewusst ist, dass er jeden Moment auf eine treten könnte. Heute sagt er: "Lieber sterbe ich einmal wirklich als im Traum immer wieder."

Der Krieg in seinem Kopf ist der Krieg in seiner Heimat: Somalia hat seit Jahren keine stabile Führung, Chaos und Milizen regieren ein Land, in dem Clans einander und die Übergangsregierung bekämpfen. Das Land im Osten Afrikas kommt nicht zur Ruhe. Omar in Österreich auch noch nicht. Aber er macht Fortschritte in der Traumatherapie, und die Medikamente lassen ihn schon ruhiger schlafen als noch vor wenigen Monaten.

Wege aus der Vergangenheit

Auf dem Weg zu einem angstfreien Leben hat Omar Barbara Guttmann kennengelernt. Die Wiener Lehrerin hat sich bei Connecting People (siehe Artikel unten) als ehrenamtliche Patin für einen minderjährigen unbegleiteten Flüchtling gemeldet. Vor Jahren, erinnert sie sich, habe sie ein Radiobeitrag über diese Kinder und Jugendlichen sehr erschüttert. Bald war der Plan gefasst, sich für sie zu engagieren. "Aber meine eigenen Kinder waren noch nicht aus dem Gröbsten heraus, darum habe ich ihn auf Eis gelegt." Bis vor eineinhalb Jahren. Die Kinder sind inzwischen erwachsen und von zuhause ausgezogen, der Wunsch zu helfen ist geblieben. Ihre Motivation: neben dem Mitgefühl auch der Gedanke an die eigene Familie. "Wären meine Kinder auf der Flucht, würde ich mir wünschen, dass sich auch um sie jemand kümmert."

Seit einem Jahr treffen die Wienerin und der Somalier einander nun regelmäßig, dabei sei auf beiden Seiten eine tiefe Bindung entstanden, erzählt Guttmann. "Omar weiß, dass ich immer auf seiner Seite stehe und er mit mir reden kann." Manchmal nimmt er dieses Angebot an. Dann berichtet er von somalischen Kindern, die nicht lesen lernen sondern schießen. Er spricht über die Angst um seine Mutter und seinen kleinen Bruder, die noch in Mogadischu sind. Oder er erzählt von den klirrend kalten Jännernächten, in denen er sich vor Militärstreifen versteckt hat und davon, wie diese ihn schließlich doch festgenommen haben.

Omar weiß, dass Barbara Guttmann wichtig für ihn ist. "Sie macht meine Zukunft hier schöner. Sie ist wie eine Mutter geworden und eine beste Freundin." Und sie kann damit umgehen, dass die Stimmungen des 16-Jährigen stark schwanken, dass er manchmal in einem Augenblick fröhlich und im nächsten tief traurig ist. Diese Situationen kommen für die Lehrerin nicht überraschend, denn in Abendseminaren lernen künftige Connecting-People-Paten nicht nur viel über Asyl- recht und hören die Erfahrungen bereits aktiver Paten, sondern werden auch auf den Umgang mit Traumata vorbereitet. Dabei wird schnell klar, dass sie nicht in die Rolle eines Therapeuten schlüpfen sollen. Der wird, falls nötig, den Jugendlichen zusätzlich vermittelt. Die Paten sollen vielmehr mit ihren Schützlingen Zeit verbringen, für sie da sein, bei Behördengängen und in Ausbildungsfragen helfen. Eben unterstützen, wo Unterstützung gebraucht wird.

Omar lebt in einer Wohngemeinschaft für minderjährige Flüchtlinge. Aber immer montags kommt er nach der Schule zum Lernen zu seiner Patin, manchmal machen sie gemeinsam Ausflüge, er ist zu Familienfesten eingeladen, und seinen Geburtstag hat die ganze Familie Guttmann mit ihm gefeiert, mit Torte und Geschenken, und Omar hat somalisch gekocht. Manchmal sucht er bei seiner Patin auch stundenlang im Internet nach Informationen über die aktuelle Lage zuhause. "Dann zeigt er mir oft grausame Bilder, die ich lieber nicht sehen möchte und die er vermutlich besser nicht sehen sollte", erzählt Guttmann. "Aber er ist getrieben von dem Wunsch zu wissen, was in seinem Land passiert."

Omar glaubt daran, dass er in Österreich bleiben kann. Zwar wurde sein Asylantrag abgelehnt. Die Berufung läuft seit fast zwei Jahren, und dass die Entscheidung so lange dauert, zermürbt den Afrikaner. Aber seine Chancen stehen nicht schlecht: Im Vorjahr wurden in Österreich von 45 laufenden Asylverfahren von Somaliern 15 abgeschlossen, 13 davon positiv. Und dass bisher kein Connecting-People-Schützling abgeschoben wurde, mag ein gutes Omen sein.

"Fußball ist mein Himmel"

Omar hat auch schon Zukunftspläne. "Ich möchte mit Computern arbeiten", verkündet er. Zuerst einmal muss er freilich die vierte Klasse Hauptschule abschließen. Er ist ein eifriger Schüler: in Geografie Klassenbester, und auch in Geschichte macht ihm so schnell niemand etwas vor. Er hat inzwischen sehr gut Deutsch gelernt und liest bei seiner Patin oft Zeitung und Bücher über Fußball.

Der ist ohnehin das wichtigste im Leben von Omar Ali Omari: Er ist leidenschaftlicher Kicker, verehrt Toni Polster und Austria Wien. Barbara Guttmann kann diese Leidenschaft nicht teilen. Aber wenn er bei einem Match mitspielt, steht sie gelegentlich am Spielfeldrand und feuert ihn an. "Fußball", schwärmt Omar, "ist mein Himmel", und während er von seinem Verein, von geschossenen Toren und errungenen Siegen erzählt, werden die Schüsse in seinem Kopf vielleicht wieder ein bisschen leiser.

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