Frisches Geld für den Ilisu-Staudamm

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Der österreichische Anlagenbauer Andritz Hydro bleibt trotz internationaler Kritik am umstrittenen Ilisu-Projekt beteiligt. Das fehlende Geld wird über türkische Banken aufgebracht. Umweltschützer und Menschenrechtsorganisationen sind empört. Der Widerstand gegen das Projekt bleibt.

Ilisu ist ein kleiner Ort in Südostanatolien, unweit der Grenze zu Syrien und dem Irak. Hier soll eine 136 Meter hohe Staumauer den Tigris in einen gigantischen See verwandeln, der größenmäßig etwa drei Vierteln der Fläche Wiens entspricht. Die installierten Turbinen mit einer Maximalleistung von 1200 Megawatt sollen pro Jahr Strom im Wert von 300 Millionen Euro produzieren.

Nicht minder beeindruckend sind die Kosten des Projekts: 1,2 Milliarden Euro kostet allein der Bau, für dessen Realisierung 4000 Arbeiter sieben Jahre lang im Einsatz sein werden. Zugleich würden 55.000 bis 65.000 Menschen von Enteignungs- und Umsiedlungsmaßnahmen betroffen sein. Auch zahlreiche Tierarten wie der Rotlappenkiebitz, der Habichtsadler, der Rötelfalke, die Streifenhyäne und die Euphrat-Weichschildkröte würden ihren noch intakten Lebensraum am Tigris verlieren. Ebenso wäre die seit Jahrtausenden besiedelte Stadt Hasankeyf dem Untergang geweiht.

Lücke von 500 Millionen Euro

Im Juli vergangenen Jahres haben die beteiligten Exportländer Deutschland, Österreich und die Schweiz ihre Garantien für die Projektkredite zurückgezogen. Seitdem brodelte die Gerüchteküche, wie es denn mit dem Riesenstaudamm weitergehen wird.

Der Rückzug der ausländischen Kreditgeber hatte eine Finanzierungslücke von rund 500 Millionen Euro hinterlassen. Der türkische Umweltminister ErogØlu erklärte jedoch, die Türkei wolle den Damm in jedem Fall bauen – notfalls ohne ausländische Geldgeber.

Experten bezweifelten stets, dass die türkische Regierung das Vorhaben alleine zu finanzieren vermag. Über Quellen für das fehlende Geld war lange spekuliert worden.

Nun werden offenbar die türkischen Banken Akbank und Garantibank sowie die Halkbank Bahrain einspringen, um die fehlender Gelder aufzubringen.

Die Bauarbeiten in Ilisu sind seit Kurzem wieder im Gange. Zu sehen ist davon nicht viel, denn die Hauptarbeiten finden unterirdisch statt. Es wird ein Tunnel gegraben, der den Fluss solange umleitet, bis der Staudamm fertig ist.

Widerstand reißt nicht ab

Ungebrochen gehen die Proteste gegen den Staudamm weiter. Die Regierung in Ankara und der Projektbetreiber, die staatliche türkische Wasserbehörde DSi, mussten bereits einige schwere Rückschläge hinnehmen. Im Juli letzten Jahres zogen die europäischen Exportkreditversicherer die Notbremse und versagten dem Projekt jede weitere Unterstützung. Vorausgegangen war die Nichteinhaltung vertraglich vereinbarter Standards für den Umwelt- und Kulturgüterschutz sowie für die sozial verträgliche Umsiedlung der betroffenen Bevölkerung. Der sofortige Rückzug aller ausländischen Kreditgeber war die Folge.

Im Februar 2010 verabschiedete das Europäische Parlament eine Erklärung, in der ein sofortiger Baustopp sowie eine Untersuchung des Ilisu Projekts durch die EU-Kommission verlangt werden. Zur gleichen Zeit erklärt ein türkisches Verwaltungsgericht Teile der bereits durchgeführten Enteignungen im Projektgebiet für ungültig. Und schließlich haben der milliardenschwere Technologiekonzern Alstom und die deutsche Strabag-Tochter Züblin ihre Lieferverträge gekündigt. Man sei damit den Empfehlungen der Exportkreditagenturen gefolgt, heißt es seitens der Firma Alstom.

Der steirische Anlagenbauer Andritz hält ungeachtet aller Proteste an dem Projekt fest und kann das Auftragsvolumen sogar um 100 Millionen Euro vergrößern. Dipl.Ing. Ulrich Eichelmann von der Umweltschutzorganisation ECA Watch Österreich ist darüber empört. Seiner Meinung nach liegt die Zukunft der Natur und der Menschen am Tigris jetzt maßgeblich in der Hand des österreichischen Konzerns: „Kündigt auch Andritz die Verträge, muss der Bau gestoppt und das Projekt neu ausgeschrieben werden.“

Damit würde man Zeit gewinnen, und könnte vielleicht die türkische Regierung doch noch davon überzeugen, die Ernennung von Hasankeyf und dem Tigristal zum UNESCO Weltnatur- und Weltkulturerbe zu beantragen. Laut einer Studie von Dr. Zeynep Ahunbay von der Universität Istanbul erfüllt die Region neun von zehn möglichen Punkten um als Welterbe anerkannt zu werden. Im Vergleich dazu: Die Stadt Venedig erfüllt sechs, die Chinesische Mauer lediglich fünf und die Salzburger Innenstadt gar nur drei dieser Kriterien.

Touristenboom vor dem Untergang

Inzwischen hat in Hasankeyf, ausgelöst durch die internationale Kontroverse um dessen drohenden Untergang, ein regelrechter Touristenboom eingesetzt. Sogar ein neues Hotel wurde heuer in der Stadt eröffnet. Die türkische Regierung gibt sich in Sachen Staudamm jedoch weiter kompromisslos. Fast hat es den Anschein als wolle sie der Welt beweisen, dass man sich keinesfalls von Nichtregierungsorganisationen ins Handwerk pfuschen lassen will. Eine Neubewertung des Projekts anhand der veränderten Umstände – die Pläne für den Ilisu-Staudamm gehen auf eine Idee aus dem Jahr 1954 zurück – steht für das zuständige Umweltministerium offenbar außer Diskussion.

Innerhalb der Türkei regt sich neuer Widerstand gegen den Damm, nicht nur seitens der Betroffenen sondern auch seitens namhafter Künstler und Intellektueller. Darunter befinden sich bekannte Namen wie der Popstar Tarkan und die Sängerin Aynur, der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk und der berühmte Schriftsteller Yasar Kemal. Darüber hinaus haben sich über hundert Wissenschaftler von der Bosporus Universität in Istanbul gegen das Projekt ausgesprochen.

Entwürfe aus Österreich

Die historische Stadt Hasankeyf ist inzwischen auch Thema zahlreicher Veranstaltungen geworden. Unlängst wurden in Istanbul und Barcelona Fotoausstellungen mit Bildern aus Hasankeyf und der Region eröffnet.

Die türkische Umweltschutzorganisation Do gØ a Derne gØ i veranstaltete indes eine Konferenz, bei der nationale und internationale Wissenschaftler ihre Ideen für eine Zukunft der Region ohne Staudamm präsentierten. Neben der Londoner Professorin für Städtebau, Dr. Cassidy Johnson, ist dazu auch Dr. Rita Pirpamer vom Wohnbauinstitut der Technischen Universität Wien nach Hasankeyf gereist. Sie stellte dort die Architekturentwürfe ihrer Studenten vor, die nach einer Exkursion ins Tigristal entstanden sind.

* Der Autor studiert Kultur- und Sozialanthropologie in Wien. Sein Buch „Governance of the Ilisu Dam Project“ erscheint im Herbst.

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