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Für einfachere, verständlichere, umsetzbare Gesetze

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dieFurche: Gibt es in Österreich Besorgnis wegen der Gesetzesflut?

Heinrich Neisser: Ja, durchaus. Für mich ist bedrückend, daß sich dieser Prozeß mit einer Automatik entwickelt, deren man sich selbst nicht so recht bewußt wird. Es ist schwer vorstellbar, diese Normenflut auf ein erträgliches Maß zurückzuführen. Was eher geht, ist, Strategien, die gegenwirken, zu entwickeln: Ob eine Gesetzgebung einfach und verständlich ist, liegt in der Verantwortung jedes Parlamentariers. Allerdings ist der Prozeß der Entstehung von Gesetzen sehr komplex. Im Parlament findet oft nur mehr ein formalisierter Abschluß statt.

dieFurche: Hat der Nationalrat also gar nicht die Initiative?

Neisser: Es gilt zu erkennen, wie überhaupt ein Regelungsbedürfnis entsteht. Das ist ja kein juristischer Akt. Ich erinnere mich an das Studentenheimgesetz. Die Forderung, ein solches zu beschließen, wurde zu einer Zeit erhoben, als es enorme Auseinandersetzungen zwischen den Heimleitungen und den Heimbewohnern, etwa in der Frage der Besuchsrechte, gab. Hätte man damals alle Wünsche der Interessierten berücksichtigt, wäre das Studentenheimgesetz ein Konvo-lut geworden. Dann hätte man alles, was sonst in einer Heimordnung geregelt wird, im Gesetz gefunden.

dieFurche: Je divergierender die Interessen, umso heftiger also der Wunsch, Details im Gesetz geregelt zufinden?

Neisser: Ja. Bisher wurden solche Fragen zu wenig untersucht. Wie entsteht das Recht eigentlich? Wer artikuliert Wünsche, wer macht die Gesetze? Wer die Gesetzesflut bekämpfen will, muß da ansetzen. Als realistischen Einstieg in eine Strategie der Eindämmung von Gesetzen sehe ich, daß sich die Parlamentarier überlegen, wie sie gegensteuern können.

dieFurche: Sind die Normen zu wenig klar formuliert? Oder zu detailliert?

Neisser: Da ist zunächst das Problem der Sprache. Für den Bürger allgemeingültige Gesetze müssen vom Bürger auch gelesen werden können. Der zweite Schwerpunkt liegt in der Unübersichtlichkeit. Wir haben Vorschriften aus dem vorigen Jahrhundert, ja noch ältere. Da wäre das Anliegen, die Rechtsordnung möglichst systematisch zu gestalten.

dieFurche: Was heißt das?

Neisser: Man müßte bei jedem Gesetz der Frage nachgehen, in welchem Zusammenhang es mit anderen steht. Und weiters die Frage: Brauche ich das Gesetz überhaupt in dieser Form? Wir haben in Österreich folgende Tendenz: Wann immer ein Problem auftaucht, wird nach einer gesetzlichen Regelung gerufen. Viel zu wenig wird überlegt, ob das nicht ein überflüssiger Zusatz zu bestehenden Rechtsnormen ist. Oder: Nützt die Verrechtlichung dem Problem überhaupt? Einen dritten Schwerpunkt sehe ich in der Frage der Effizienz von Gesetzen. Wir produzieren laufend Normen, die die Verwaltung nicht oder nicht vollständig vollziehen kann. Manchmal gibt es eine Vollzugspraxis, die mit dem Gesetz überhaupt nichts mehr zu tun hat. Manfried We-lan hat vor Jahren geschrieben, das Universitätsorganisationsgesetz bewähre sich nur, weil es nicht so vollzogen wird, wie es beschlossen wurde. Weiters gehört dazu die Frage der Deregulierung. Wir müßten fragen, was wir überhaupt gesetzlich regeln wollen.

dieFurche: Welche Bereiche eignen sich für die Deregulierung?

Neisser: Der ganze Wissenschafts-, der Schulbereich ist für mich überreglementiert. Auch für weite Bereich des Wirtschaftsrechtes trifft das zu. Wir versuchen derzeit, im Parlament in dieser Frage etwas in Gang zu setzen. Ein letzter Punkt ist die Frage, wie man den Bürger besser über das Recht informiert. Die elektronische Datenverarbeitung bietet da große Möglichkeiten. Leider gibt es viele, die diese Technik nicht nutzen können.

dieFurche: Gibt es bezüglich Gesetzesflut im Nationalrat ein Problembewußtsein?

Neisser: Es ist stärker geworden. Da spielt vor allem die Verdoppelung der Problematik durch die EU-Mitgliedschaft eine Rolle. Die österreichische Rechtsordnung hat eine unheimliche Ausweitung erfahren.

dieFurche: Wird die Vollziehbarkev der Gesetze bei ihrer Entstehung berücksichtigt?

Neisser: Das wird weitgehend ver nachlässig! Neuerdings wird wenig stens die Frage gestellt, was die Voll ziehung eines Gesetzes kostet. Kaurr jemals wird gefragt, ob man die Nora sinnvoll anwenden könne. Mir haber Beamte von Bezirkshauptmannschaf ten gesagt, daß sie - würden sie jeder Erlaß lesen - einen Großteil ihrer Dienststuriden allein damit verbrin gen würden. Da stellt sich die Frage Welche Qualität hat eine Rechtsord nung, wenn sie für ihre Umsetzung eir opulentes System von Erlässer braucht. Das Universitätsorganisati onsgesetze aus 1975 hat acht Durch führungserlässe gehabt, die den Um fang des Gesetzestextes haben!

dieFurche: Hat die Deregulierung irgendwofunktioniert?

Neisser: In den USA kam es zu einei Entlastung im Bereich des Wirt Schafts- insbesondere des Wettbe werbsrechtes. Die Diskussion gibt es je denfalls in vielen Ländern: in Deutschland, Frankreich, in der Schweiz, in dei EU. Der große Erfolg ist allerdings noch nirgends eingetreten.

Das Gespräch mit

Zweiten Nationalratspräsidenten führte Christof Gaspari

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